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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Sechstes Fragment.
Jnsekten.
I. a.
Des III Ban-
des XVI. Ta-
fel.

Wie unaussprechlich mannichfaltig bildet der ewige Schöpfer die Buchstaben aller
seiner Lebenskräfte -- Hier wieder ein Blatt voll aus dem unübersehbaren Alphabeth!

Die Welt der Jnsekten ist eine eigene Welt -- Freylich von der Menschenwelt am weite-
sten entfernt -- und dennoch für die menschliche Physiognomik -- obgleich lange noch nicht, brauch-
bar! Physiognomie aller Jnsekten -- welch neues Fundament wenigstens der Gewißheit der
Menschenphysiognomie!

Wie schwächlich, zart, luftig hingebaut, harmlos die Ephemeride! (14) -- Schon
viel lebendiger, weit würksamer, doch schadlos und leicht und blöde die Mücke (Tipula 19.)

Weiche Genußfähigkeit und Unfähigkeit sich zu vertheidigen -- wie auffallend in der Ho-
nigsaugenden Phalena (1) und der Nachtmücke. (5) Der kleine lichtscheue Kopf zum breiten,
runden, schwammichten Leibe -- wie physiognomisch kleine Menschenköpfe auf großen schwammich-
ten Körpern!

Wie viel mehr festes hat schon die sonst träge Spannenraupe! (3)

Wie offenbar mehr für Licht und Liebe, für Freyheit und Genuß gebildet der bunte
Schmetterling! (4) Ohn' alle Kraft sich zu vertheidigen, ohn' allen Harm, ohn' allen Trieb an-
zugreifen, ohn' alle Furcht, angegriffen zu werden!

Der Raupentöder (16) unfest, künstlich, leicht, unverdrossen; im Kopfe schon mehr
Ausdruck, als 19.
Die Libelle (12) leicht und pfeilartig schwebend. Jn den Füßen -- Ausdruck von ge-
schäfftiger Raubsucht.
Der Tausendfuß (11) aus lauter hartschaaligen Ringen zusammengesetzt -- und dennoch
einförmig! wie ganz ein anderer niedrigerer Ausdruck, als in der Spannenraupe! 3. --
Die
Phys. Fragm. III Versuch. L
Sechstes Fragment.
Jnſekten.
I. a.
Des III Ban-
des XVI. Ta-
fel.

Wie unausſprechlich mannichfaltig bildet der ewige Schoͤpfer die Buchſtaben aller
ſeiner Lebenskraͤfte — Hier wieder ein Blatt voll aus dem unuͤberſehbaren Alphabeth!

Die Welt der Jnſekten iſt eine eigene Welt — Freylich von der Menſchenwelt am weite-
ſten entfernt — und dennoch fuͤr die menſchliche Phyſiognomik — obgleich lange noch nicht, brauch-
bar! Phyſiognomie aller Jnſekten — welch neues Fundament wenigſtens der Gewißheit der
Menſchenphyſiognomie!

Wie ſchwaͤchlich, zart, luftig hingebaut, harmlos die Ephemeride! (14) — Schon
viel lebendiger, weit wuͤrkſamer, doch ſchadlos und leicht und bloͤde die Muͤcke (Tipula 19.)

Weiche Genußfaͤhigkeit und Unfaͤhigkeit ſich zu vertheidigen — wie auffallend in der Ho-
nigſaugenden Phalena (1) und der Nachtmuͤcke. (5) Der kleine lichtſcheue Kopf zum breiten,
runden, ſchwammichten Leibe — wie phyſiognomiſch kleine Menſchenkoͤpfe auf großen ſchwammich-
ten Koͤrpern!

Wie viel mehr feſtes hat ſchon die ſonſt traͤge Spannenraupe! (3)

Wie offenbar mehr fuͤr Licht und Liebe, fuͤr Freyheit und Genuß gebildet der bunte
Schmetterling! (4) Ohn’ alle Kraft ſich zu vertheidigen, ohn’ allen Harm, ohn’ allen Trieb an-
zugreifen, ohn’ alle Furcht, angegriffen zu werden!

Der Raupentoͤder (16) unfeſt, kuͤnſtlich, leicht, unverdroſſen; im Kopfe ſchon mehr
Ausdruck, als 19.
Die Libelle (12) leicht und pfeilartig ſchwebend. Jn den Fuͤßen — Ausdruck von ge-
ſchaͤfftiger Raubſucht.
Der Tauſendfuß (11) aus lauter hartſchaaligen Ringen zuſammengeſetzt — und dennoch
einfoͤrmig! wie ganz ein anderer niedrigerer Ausdruck, als in der Spannenraupe! 3. —
Die
Phyſ. Fragm. III Verſuch. L
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[81/0129] Sechstes Fragment. Jnſekten. I. a. Wie unausſprechlich mannichfaltig bildet der ewige Schoͤpfer die Buchſtaben aller ſeiner Lebenskraͤfte — Hier wieder ein Blatt voll aus dem unuͤberſehbaren Alphabeth! Die Welt der Jnſekten iſt eine eigene Welt — Freylich von der Menſchenwelt am weite- ſten entfernt — und dennoch fuͤr die menſchliche Phyſiognomik — obgleich lange noch nicht, brauch- bar! Phyſiognomie aller Jnſekten — welch neues Fundament wenigſtens der Gewißheit der Menſchenphyſiognomie! Wie ſchwaͤchlich, zart, luftig hingebaut, harmlos die Ephemeride! (14) — Schon viel lebendiger, weit wuͤrkſamer, doch ſchadlos und leicht und bloͤde die Muͤcke (Tipula 19.) Weiche Genußfaͤhigkeit und Unfaͤhigkeit ſich zu vertheidigen — wie auffallend in der Ho- nigſaugenden Phalena (1) und der Nachtmuͤcke. (5) Der kleine lichtſcheue Kopf zum breiten, runden, ſchwammichten Leibe — wie phyſiognomiſch kleine Menſchenkoͤpfe auf großen ſchwammich- ten Koͤrpern! Wie viel mehr feſtes hat ſchon die ſonſt traͤge Spannenraupe! (3) Wie offenbar mehr fuͤr Licht und Liebe, fuͤr Freyheit und Genuß gebildet der bunte Schmetterling! (4) Ohn’ alle Kraft ſich zu vertheidigen, ohn’ allen Harm, ohn’ allen Trieb an- zugreifen, ohn’ alle Furcht, angegriffen zu werden! Der Raupentoͤder (16) unfeſt, kuͤnſtlich, leicht, unverdroſſen; im Kopfe ſchon mehr Ausdruck, als 19. Die Libelle (12) leicht und pfeilartig ſchwebend. Jn den Fuͤßen — Ausdruck von ge- ſchaͤfftiger Raubſucht. Der Tauſendfuß (11) aus lauter hartſchaaligen Ringen zuſammengeſetzt — und dennoch einfoͤrmig! wie ganz ein anderer niedrigerer Ausdruck, als in der Spannenraupe! 3. — Die Phyſ. Fragm. III Verſuch. L

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/129>, abgerufen am 17.11.2024.