Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.V. Fragment. Etwas über die Einwendungen "dings zum Sehen gegeben, u. s. f." -- Jch antworte nichts; denn in meinem Leben werd'ich nie auf eine Chikane antworten .... Jch berufe mich nur auf den allgemeinen Menschen- verstand. Jch sehe zehen oder zwanzig Menschen, die alle Augen haben, und sehen, wenn sie Wofern diese Art zu schließen richtig ist, so muß sie auch in Ansehung der Physiogno- Mithin steh' ich in den Gedanken, "daß dem Vertheidiger der Physiognomik eigent- Allein, wird man sagen: "wenn sich dieß auch von gewissen Zügen erweisen ließe -- Wenn ich bemerke, daß der Mensch mit den Augen sieht, und mit den Ohren hört, wenn
V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen „dings zum Sehen gegeben, u. ſ. f.“ — Jch antworte nichts; denn in meinem Leben werd’ich nie auf eine Chikane antworten .... Jch berufe mich nur auf den allgemeinen Menſchen- verſtand. Jch ſehe zehen oder zwanzig Menſchen, die alle Augen haben, und ſehen, wenn ſie Wofern dieſe Art zu ſchließen richtig iſt, ſo muß ſie auch in Anſehung der Phyſiogno- Mithin ſteh’ ich in den Gedanken, „daß dem Vertheidiger der Phyſiognomik eigent- Allein, wird man ſagen: „wenn ſich dieß auch von gewiſſen Zuͤgen erweiſen ließe — Wenn ich bemerke, daß der Menſch mit den Augen ſieht, und mit den Ohren hoͤrt, wenn
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V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen
„dings zum Sehen gegeben, u. ſ. f.“ — Jch antworte nichts; denn in meinem Leben werd’
ich nie auf eine Chikane antworten .... Jch berufe mich nur auf den allgemeinen Menſchen-
verſtand.
Jch ſehe zehen oder zwanzig Menſchen, die alle Augen haben, und ſehen, wenn ſie
bey Tage die Augen aufſchließen, und nicht mehr ſehen, wenn ſie die Augen zuſchließen. Wo-
fern dieſe zehen oder zwanzig nicht ausgeſucht, ſondern zufaͤlliger Weiſe aus dem unzaͤhligen
Haufen der Menſchen herausgegriffen ſind, ſo iſt die hoͤchſtmoͤgliche Wahrſcheinlichkeit da, daß
alle aͤhnlich gebildete Menſchen, die jetzo leben, gelebt haben, und leben werden, mit aͤhnlichen
Gliedern, als die ſind, die wir Augen nennen, ſehen werden. Wenigſtens iſt dieſe Methode
zu ſchließen, die Methode aller Jahrhunderte und aller Menſchengeſchlechter. —
Wofern dieſe Art zu ſchließen richtig iſt, ſo muß ſie auch in Anſehung der Phyſiogno-
mik richtig ſeyn; wofern es da ſich auch ſo verhaͤlt — Jſt ſie’s aber nicht in der Phyſiognomik,
ſo iſt ſie’s auch uͤberall nicht.
Mithin ſteh’ ich in den Gedanken, „daß dem Vertheidiger der Phyſiognomik eigent-
„lich nichts obliege, als darzuthun: daß bey zehen, zwanzig, oder dreyßig aus dem
„Haufen herausgegriffnen Menſchen, nach aller Menſchen Geſtaͤndniß ſo gewiß
„phyſiognomiſcher Ausdruck, oder erweisliches Verhaͤltniß innerer Kraft und Sin-
„nes und aͤuſſerer Geſtalt und Zeichnung ſey, als gewiß es iſt, daß zwanzig aus
„dem Haufen herausgegriffne Menſchen mit ihren Augen ſehen.“ — Hat er dieß
dargethan, ſo hat er die Allgemeinheit der phyſiognomiſchen Wahrheit ſo gut erwieſen, als die
Allgemeinheit des Geſichtes vermittelſt der Augen, wenn erwieſen iſt, daß zwanzig oder dreyßig
Menſchen vermittelſt ihrer Augen ſehen. Von dieſen wenigen mach’ ich den Schluß auf zehen
tauſend Millionen, die ich geſehen oder nicht geſehen habe. —
Allein, wird man ſagen: „wenn ſich dieß auch von gewiſſen Zuͤgen erweiſen ließe —
„folgt denn daraus — von allen?“ — Jch meyn’ es, Freund der Wahrheit! weiſe mich zu-
recht, wenn ich irre.
Wenn ich bemerke, daß der Menſch mit den Augen ſieht, und mit den Ohren hoͤrt,
und gewiß weiß, daß ihm die Augen zum Sehen gegeben ſind, und die Ohren zum Hoͤren; —
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