Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.Beschluß. Erreicht, erreicht also den zweyten Ruhpunkt! Der Höhen Ein' erstiegen wieder -- an deiner Hand Du stiller Führer -- Trager -- Bester! Der Welten lenkt und mich! Zurück seh' ich -- von wo ich ausgieng -- Jm Thale fern ist meine Hütte .... die Aus- sicht Sie öffnet, weidet sich -- wie schön! Zwar ist die Höhe, wo mein Fuß itzt ausruht, Noch tiefe Tiefe! doch weht mich Hier Gottes Kühlung an aus höhrer Höhe; Und stillanbetend froh fühl' ich die Kühlung! O du -- der itzt mich sanft, itzt schneller führt, Zurückhält hier -- dort spornt, dort trägt, Und itzt am stillen Abend mir Vorgeschmack der vollen, Der vollen noch fernen Vollendungsfreude gönnt. Am Abend, dessen Morgen so heiß mir kam; Bet ich mit Kinderfreude dich -- Vater an! O du -- du treuer -- aller Lebenden! Du Vater aller Liebenden! du jeder Wahrheit! O du der Menschheit erster Vater! Anbetung dir für jede Zeile, jedes Wort Der Wahrheit und der Kraft, das du mir gabst! Nimm hin die Wolke noch von meiner Stirn [Spaltenumbruch] Von meiner Brust das drohende Gewitter, Und gieb, gieb frohe freye Anbetung mir -- o du Gedankenschöpfer! Oft zitterte mir im Gebeine tief das Mark, Oft glühte Stirn und Wang und Brust, Nach heißer heißgedrängter ohne Kühlung Bebt' oft mein müdes Haupt und sank Auf meine Hand. Dann -- dann ein Blick auf den zurückgeklimm- ten Pfad! Ein Blick auf deine Menschenschaar; Und all die Freud' am Daseyn, an der Mensch- heit, Die einst entquillen würde meinem Schweiße, Wenn über mein Gebein der Fuß des Enkels wandelt; Dann der Gedank': Auch ich ein Mensch! Auch ich -- ein Kind des Vaters aller! Auch ich -- o daß mit mir die Brüder all Neu durchempfänden das Glück der Mensch- heit! Dieß all in Einem Blick auf dich -- gefaßt; Wie hob mich dieß! Wie quoll mein Blick zurück belebt aus deinem! Wie quoll Erfrischung hin in meine Bänge! Wie Licht in meine Nacht! O du -- wie wardst du Vater mir Von Phys. Fragm. II Versuch. O o
Beſchluß. Erreicht, erreicht alſo den zweyten Ruhpunkt! Der Hoͤhen Ein’ erſtiegen wieder — an deiner Hand Du ſtiller Fuͤhrer — Trager — Beſter! Der Welten lenkt und mich! Zuruͤck ſeh’ ich — von wo ich ausgieng — Jm Thale fern iſt meine Huͤtte .... die Aus- ſicht Sie oͤffnet, weidet ſich — wie ſchoͤn! Zwar iſt die Hoͤhe, wo mein Fuß itzt ausruht, Noch tiefe Tiefe! doch weht mich Hier Gottes Kuͤhlung an aus hoͤhrer Hoͤhe; Und ſtillanbetend froh fuͤhl’ ich die Kuͤhlung! O du — der itzt mich ſanft, itzt ſchneller fuͤhrt, Zuruͤckhaͤlt hier — dort ſpornt, dort traͤgt, Und itzt am ſtillen Abend mir Vorgeſchmack der vollen, Der vollen noch fernen Vollendungsfreude goͤnnt. Am Abend, deſſen Morgen ſo heiß mir kam; Bet ich mit Kinderfreude dich — Vater an! O du — du treuer — aller Lebenden! Du Vater aller Liebenden! du jeder Wahrheit! O du der Menſchheit erſter Vater! Anbetung dir fuͤr jede Zeile, jedes Wort Der Wahrheit und der Kraft, das du mir gabſt! Nimm hin die Wolke noch von meiner Stirn [Spaltenumbruch] Von meiner Bruſt das drohende Gewitter, Und gieb, gieb frohe freye Anbetung mir — o du Gedankenſchoͤpfer! Oft zitterte mir im Gebeine tief das Mark, Oft gluͤhte Stirn und Wang und Bruſt, Nach heißer heißgedraͤngter ohne Kuͤhlung Bebt’ oft mein muͤdes Haupt und ſank Auf meine Hand. Dann — dann ein Blick auf den zuruͤckgeklimm- ten Pfad! Ein Blick auf deine Menſchenſchaar; Und all die Freud’ am Daſeyn, an der Menſch- heit, Die einſt entquillen wuͤrde meinem Schweiße, Wenn uͤber mein Gebein der Fuß des Enkels wandelt; Dann der Gedank’: Auch ich ein Menſch! Auch ich — ein Kind des Vaters aller! Auch ich — o daß mit mir die Bruͤder all Neu durchempfaͤnden das Gluͤck der Menſch- heit! Dieß all in Einem Blick auf dich — gefaßt; Wie hob mich dieß! Wie quoll mein Blick zuruͤck belebt aus deinem! Wie quoll Erfriſchung hin in meine Baͤnge! Wie Licht in meine Nacht! O du — wie wardſt du Vater mir Von Phyſ. Fragm. II Verſuch. O o
<TEI> <text> <body> <pb facs="#f0517" n="289"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Beſchluß.</hi> </hi> </head><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">E</hi>rreicht, erreicht alſo den zweyten Ruhpunkt!</l><lb/> <l>Der Hoͤhen Ein’ erſtiegen wieder — an deiner<lb/><hi rendition="#et">Hand</hi></l><lb/> <l>Du ſtiller Fuͤhrer — Trager — Beſter!</l><lb/> <l>Der Welten lenkt und mich!</l><lb/> <l>Zuruͤck ſeh’ ich — von wo ich ausgieng —</l><lb/> <l>Jm Thale fern iſt meine Huͤtte .... die Aus-<lb/><hi rendition="#et">ſicht</hi></l><lb/> <l>Sie oͤffnet, weidet ſich — wie ſchoͤn!</l><lb/> <l>Zwar iſt die Hoͤhe, wo mein Fuß itzt ausruht,</l><lb/> <l>Noch tiefe Tiefe! doch weht mich</l><lb/> <l>Hier Gottes Kuͤhlung an aus hoͤhrer Hoͤhe;</l><lb/> <l>Und ſtillanbetend froh fuͤhl’ ich die Kuͤhlung!</l><lb/> <l>O du — der itzt mich ſanft, itzt ſchneller fuͤhrt,</l><lb/> <l>Zuruͤckhaͤlt hier — dort ſpornt, dort traͤgt,</l><lb/> <l>Und itzt am ſtillen Abend mir Vorgeſchmack der<lb/><hi rendition="#et">vollen,</hi></l><lb/> <l>Der vollen noch fernen Vollendungsfreude<lb/><hi rendition="#et">goͤnnt.</hi></l><lb/> <l>Am Abend, deſſen Morgen ſo heiß mir kam;</l><lb/> <l>Bet ich mit Kinderfreude dich — Vater an!</l><lb/> <l>O du — du treuer — aller Lebenden!</l><lb/> <l>Du Vater aller Liebenden! du jeder Wahrheit!</l><lb/> <l>O du der Menſchheit erſter Vater!</l><lb/> <l>Anbetung dir fuͤr jede Zeile, jedes Wort</l><lb/> <l>Der Wahrheit und der Kraft, das du mir gabſt!</l><lb/> <l>Nimm hin die Wolke noch von meiner Stirn</l><lb/> <cb/> <l>Von meiner Bruſt das drohende Gewitter,</l><lb/> <l>Und gieb, gieb frohe freye</l><lb/> <l>Anbetung mir — o du Gedankenſchoͤpfer!</l><lb/> <l>Oft zitterte mir im Gebeine tief das Mark,</l><lb/> <l>Oft gluͤhte Stirn und Wang und Bruſt,</l><lb/> <l>Nach heißer heißgedraͤngter ohne Kuͤhlung</l><lb/> <l>Bebt’ oft mein muͤdes Haupt und ſank</l><lb/> <l>Auf meine Hand.</l><lb/> <l>Dann — dann ein Blick auf den zuruͤckgeklimm-<lb/><hi rendition="#et">ten Pfad!</hi></l><lb/> <l>Ein Blick auf deine Menſchenſchaar;</l><lb/> <l>Und all die Freud’ am Daſeyn, an der Menſch-<lb/><hi rendition="#et">heit,</hi></l><lb/> <l>Die einſt entquillen wuͤrde meinem Schweiße,</l><lb/> <l>Wenn uͤber mein Gebein der Fuß des Enkels<lb/><hi rendition="#et">wandelt;</hi></l><lb/> <l>Dann der Gedank’: <hi rendition="#fr">Auch ich ein Menſch!</hi></l><lb/> <l>Auch ich — ein Kind des Vaters aller!</l><lb/> <l>Auch ich — o daß mit mir die Bruͤder all</l><lb/> <l>Neu durchempfaͤnden das Gluͤck der Menſch-<lb/><hi rendition="#et">heit!</hi></l><lb/> <l>Dieß all in Einem Blick auf dich — gefaßt;</l><lb/> <l>Wie hob mich dieß!</l><lb/> <l>Wie quoll mein Blick zuruͤck belebt aus deinem!</l><lb/> <l>Wie quoll Erfriſchung hin in meine Baͤnge!</l><lb/> <l>Wie Licht in meine Nacht!</l><lb/> <l>O du — wie wardſt du Vater mir</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Phyſ. Fragm.</hi><hi rendition="#aq">II</hi><hi rendition="#fr">Verſuch.</hi> O o</fw> <fw place="bottom" type="catch">Von</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [289/0517]
Beſchluß.
Erreicht, erreicht alſo den zweyten Ruhpunkt!
Der Hoͤhen Ein’ erſtiegen wieder — an deiner
Hand
Du ſtiller Fuͤhrer — Trager — Beſter!
Der Welten lenkt und mich!
Zuruͤck ſeh’ ich — von wo ich ausgieng —
Jm Thale fern iſt meine Huͤtte .... die Aus-
ſicht
Sie oͤffnet, weidet ſich — wie ſchoͤn!
Zwar iſt die Hoͤhe, wo mein Fuß itzt ausruht,
Noch tiefe Tiefe! doch weht mich
Hier Gottes Kuͤhlung an aus hoͤhrer Hoͤhe;
Und ſtillanbetend froh fuͤhl’ ich die Kuͤhlung!
O du — der itzt mich ſanft, itzt ſchneller fuͤhrt,
Zuruͤckhaͤlt hier — dort ſpornt, dort traͤgt,
Und itzt am ſtillen Abend mir Vorgeſchmack der
vollen,
Der vollen noch fernen Vollendungsfreude
goͤnnt.
Am Abend, deſſen Morgen ſo heiß mir kam;
Bet ich mit Kinderfreude dich — Vater an!
O du — du treuer — aller Lebenden!
Du Vater aller Liebenden! du jeder Wahrheit!
O du der Menſchheit erſter Vater!
Anbetung dir fuͤr jede Zeile, jedes Wort
Der Wahrheit und der Kraft, das du mir gabſt!
Nimm hin die Wolke noch von meiner Stirn
Von meiner Bruſt das drohende Gewitter,
Und gieb, gieb frohe freye
Anbetung mir — o du Gedankenſchoͤpfer!
Oft zitterte mir im Gebeine tief das Mark,
Oft gluͤhte Stirn und Wang und Bruſt,
Nach heißer heißgedraͤngter ohne Kuͤhlung
Bebt’ oft mein muͤdes Haupt und ſank
Auf meine Hand.
Dann — dann ein Blick auf den zuruͤckgeklimm-
ten Pfad!
Ein Blick auf deine Menſchenſchaar;
Und all die Freud’ am Daſeyn, an der Menſch-
heit,
Die einſt entquillen wuͤrde meinem Schweiße,
Wenn uͤber mein Gebein der Fuß des Enkels
wandelt;
Dann der Gedank’: Auch ich ein Menſch!
Auch ich — ein Kind des Vaters aller!
Auch ich — o daß mit mir die Bruͤder all
Neu durchempfaͤnden das Gluͤck der Menſch-
heit!
Dieß all in Einem Blick auf dich — gefaßt;
Wie hob mich dieß!
Wie quoll mein Blick zuruͤck belebt aus deinem!
Wie quoll Erfriſchung hin in meine Baͤnge!
Wie Licht in meine Nacht!
O du — wie wardſt du Vater mir
Von
Phyſ. Fragm. II Verſuch. O o
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |