Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.Gelehrte, Denker. Die Stirn ist zu unbestimmt schattirt; doch ist sie vielfassend und Gedanken schaffend. Markige Nase -- lieblich zufrieden, nicht selbstgefällige Lippe; festes, redliches Kinn. Die rechte, nicht hängende, nicht angestrengte Wange -- wie viel besser, weniger gra- Auffallend ist die Reinheit, die Ruhe des Ganzen, bey der sichtbaren innern Anstrengung -- 2. Das Grobe, Bürgerliche liegt im Verschobenen des Kreuzes, der dadurch zu breiten Ba- Ein Republikaner ist's, der, ohne zu befehlen, herrscht, immer widerstehen muß, viele An der Nase das Aufgezogene gehässige -- und das Fleischige unbedeutende zusammen, 3. Ein Gelehrter mit dem Blicke der Kenntniß ... die -- ach! -- wie unbestimmte Stirn Die Augenbraunen sind näher am Auge, und bey weitem nicht so kräftig, als die obern. Eine reine, aber schwache Nase. -- Liebliche, M m 3
Gelehrte, Denker. Die Stirn iſt zu unbeſtimmt ſchattirt; doch iſt ſie vielfaſſend und Gedanken ſchaffend. Markige Naſe — lieblich zufrieden, nicht ſelbſtgefaͤllige Lippe; feſtes, redliches Kinn. Die rechte, nicht haͤngende, nicht angeſtrengte Wange — wie viel beſſer, weniger gra- Auffallend iſt die Reinheit, die Ruhe des Ganzen, bey der ſichtbaren innern Anſtrengung — 2. Das Grobe, Buͤrgerliche liegt im Verſchobenen des Kreuzes, der dadurch zu breiten Ba- Ein Republikaner iſt’s, der, ohne zu befehlen, herrſcht, immer widerſtehen muß, viele An der Naſe das Aufgezogene gehaͤſſige — und das Fleiſchige unbedeutende zuſammen, 3. Ein Gelehrter mit dem Blicke der Kenntniß ... die — ach! — wie unbeſtimmte Stirn Die Augenbraunen ſind naͤher am Auge, und bey weitem nicht ſo kraͤftig, als die obern. Eine reine, aber ſchwache Naſe. — Liebliche, M m 3
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Gelehrte, Denker.
Die Stirn iſt zu unbeſtimmt ſchattirt; doch iſt ſie vielfaſſend und Gedanken ſchaffend.
Mehr hohes, gewaltiges Denken, als abſtraktes ſcheint ſie auszudruͤcken. Maͤchtiger Drang,
Drang der Zuverſicht und der Gewißheit ſchwebt drauf.
Markige Naſe — lieblich zufrieden, nicht ſelbſtgefaͤllige Lippe; feſtes, redliches Kinn.
Die rechte, nicht haͤngende, nicht angeſtrengte Wange — wie viel beſſer, weniger gra-
vitaͤtiſch, als im zweyten? — wie, obgleich verſchliffen und unbeſtimmt — wie viel zutraulicher,
als der uͤbrigen!
Auffallend iſt die Reinheit, die Ruhe des Ganzen, bey der ſichtbaren innern Anſtrengung —
Anſtrengung mit Glauben an ſich ſelbſt.
2.
Das Grobe, Buͤrgerliche liegt im Verſchobenen des Kreuzes, der dadurch zu breiten Ba-
cke, der Haͤngwange. Nichts als Kraft iſt von Neuton uͤbrig geblieben.
Ein Republikaner iſt’s, der, ohne zu befehlen, herrſcht, immer widerſtehen muß, viele
Geſchaͤffte geordnet, eingerichtet, gebaut hat. Wie feſt ergreift er ſinnlichen Eindruck, — macht
pruͤfenden Entwurf, nicht ohne Zutrauen zu ſich und ſeiner uͤbermannenden Kraft.
An der Naſe das Aufgezogene gehaͤſſige — und das Fleiſchige unbedeutende zuſammen,
machen einen fatalen Effekt.
3.
Ein Gelehrter mit dem Blicke der Kenntniß ... die — ach! — wie unbeſtimmte Stirn
iſt offener und reicher, als die obigen; behaͤlt mehr, aber nicht ſo feſt, nicht ſo tief — zum tiefen
Forſchen iſt ſie uͤberm Auge nicht gedraͤngt genug — zum Gedaͤchtniß oben nicht gewoͤlbt genug.
Die Augenbraunen ſind naͤher am Auge, und bey weitem nicht ſo kraͤftig, als die obern.
Die Naͤhe kontraſtirt mit der Offenheit der Stirn.
Eine reine, aber ſchwache Naſe. —
Liebliche,
M m 3
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Zitationshilfe: | Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/491>, abgerufen am 23.02.2025. |