Vandykisirt -- ein Schüler von Vandyk, ein vortrefflicher Kupferstecher. Was man heißt: "Ein schöner, herrlicher Mann!" -- Für mein Auge hat jedoch der äussere Gränzum- riß des Gesichtes etwas sehr Fleischiges und Fades. Jm ganzen Gesichte nichts von Van- dyks eckigtem Geiste und Kraftwesen. Die Stirn ist offen, frey, und heiter; aber ohn' alle Denkensanstrengung -- und Anstrengbarkeit -- Augen mit Vandyks Blicke tingirt; jedoch ist im Bogen des Auges über dem Augstern gerade wieder etwas von der Kraftlosigkeit des äussern Umrisses. Die Augenbraunen, besonders die rechte, zeigt was; aber die Entfernung der Augenbraunen und die Form der Nase harmonirt vollkommen mit mehr besagtem Umrisse. Jm Munde, sey er nun wahr oder verschönert, ist am meisten Adel und Kunstgeschmack, ob- gleich auch diesem, besonders an den Enden, vermuthlich durch die Schuld des Kupferstechers, noch viele kleine Bestimmungen und Nüancen fehlen ...
Der Mann sieht, und hat Geschmack und Kraft nachzuahmen, aber nicht mit Van- dyks Schöpfergeiste.
Nachstehende Vignette ..... Ein harter Umriß nach einem Vandykischen Kupfer; Fall der Locken -- vollkommen Vandykisch, nicht ganz die Stellung des Kopfes, die sonst
immer
XXIX.Fragment.
Dritte Tafel. Paul Duͤ Pont — nach Vandyk.
Vandykiſirt — ein Schuͤler von Vandyk, ein vortrefflicher Kupferſtecher. Was man heißt: „Ein ſchoͤner, herrlicher Mann!“ — Fuͤr mein Auge hat jedoch der aͤuſſere Graͤnzum- riß des Geſichtes etwas ſehr Fleiſchiges und Fades. Jm ganzen Geſichte nichts von Van- dyks eckigtem Geiſte und Kraftweſen. Die Stirn iſt offen, frey, und heiter; aber ohn’ alle Denkensanſtrengung — und Anſtrengbarkeit — Augen mit Vandyks Blicke tingirt; jedoch iſt im Bogen des Auges uͤber dem Augſtern gerade wieder etwas von der Kraftloſigkeit des aͤuſſern Umriſſes. Die Augenbraunen, beſonders die rechte, zeigt was; aber die Entfernung der Augenbraunen und die Form der Naſe harmonirt vollkommen mit mehr beſagtem Umriſſe. Jm Munde, ſey er nun wahr oder verſchoͤnert, iſt am meiſten Adel und Kunſtgeſchmack, ob- gleich auch dieſem, beſonders an den Enden, vermuthlich durch die Schuld des Kupferſtechers, noch viele kleine Beſtimmungen und Nuͤancen fehlen ...
Der Mann ſieht, und hat Geſchmack und Kraft nachzuahmen, aber nicht mit Van- dyks Schoͤpfergeiſte.
Nachſtehende Vignette ..... Ein harter Umriß nach einem Vandykiſchen Kupfer; Fall der Locken — vollkommen Vandykiſch, nicht ganz die Stellung des Kopfes, die ſonſt
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XXIX. Fragment.
Dritte Tafel.
Paul Duͤ Pont — nach Vandyk.
Vandykiſirt — ein Schuͤler von Vandyk, ein vortrefflicher Kupferſtecher. Was man
heißt: „Ein ſchoͤner, herrlicher Mann!“ — Fuͤr mein Auge hat jedoch der aͤuſſere Graͤnzum-
riß des Geſichtes etwas ſehr Fleiſchiges und Fades. Jm ganzen Geſichte nichts von Van-
dyks eckigtem Geiſte und Kraftweſen. Die Stirn iſt offen, frey, und heiter; aber ohn’ alle
Denkensanſtrengung — und Anſtrengbarkeit — Augen mit Vandyks Blicke tingirt; jedoch
iſt im Bogen des Auges uͤber dem Augſtern gerade wieder etwas von der Kraftloſigkeit des
aͤuſſern Umriſſes. Die Augenbraunen, beſonders die rechte, zeigt was; aber die Entfernung
der Augenbraunen und die Form der Naſe harmonirt vollkommen mit mehr beſagtem Umriſſe.
Jm Munde, ſey er nun wahr oder verſchoͤnert, iſt am meiſten Adel und Kunſtgeſchmack, ob-
gleich auch dieſem, beſonders an den Enden, vermuthlich durch die Schuld des Kupferſtechers,
noch viele kleine Beſtimmungen und Nuͤancen fehlen ...
Der Mann ſieht, und hat Geſchmack und Kraft nachzuahmen, aber nicht mit Van-
dyks Schoͤpfergeiſte.
Nachſtehende Vignette ..... Ein harter Umriß nach einem Vandykiſchen Kupfer;
Fall der Locken — vollkommen Vandykiſch, nicht ganz die Stellung des Kopfes, die ſonſt
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/382>, abgerufen am 23.02.2025.
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