Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.XXVIII. Fragment. Drey Künstler. Zweyte Tafel. Lips. Heinrich Lips, von Kloten, bey Zürch, eines Landscherers Sohn -- hat sich beynah' ohne allen Gerade die anfängliche Härte seiner Feder und seiner Nadel, gerade die war mir Pfand Kunst-
XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler. Zweyte Tafel. Lips. Heinrich Lips, von Kloten, bey Zuͤrch, eines Landſcherers Sohn — hat ſich beynah’ ohne allen Gerade die anfaͤngliche Haͤrte ſeiner Feder und ſeiner Nadel, gerade die war mir Pfand Kunſt-
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XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler.
Zweyte Tafel.
Lips.
Heinrich Lips, von Kloten, bey Zuͤrch, eines Landſcherers Sohn — hat ſich beynah’ ohne allen
Unterricht zu einer Fertigkeit, beſonders auf dem Kupfer zu arbeiten, empor gehoben, daß er in ſei-
nem ſiebenzehnten Jahre jede Zeichnung, und jedes Gemaͤhlde, das man ihm vorlegt, mit Coͤlla’s
Genauigkeit und Fleiß, aber mit viel mehr Kraft und Genie, nachzeichnet; — ein Kuͤnſtler, der
taͤglich und augenſcheinlich waͤchſt — und, ich ſtehe dafuͤr, immer wachſen, und, was immer Nei-
der und Verlaͤumder ſagen moͤgen — einer der groͤßten, wo nicht der groͤßeſte Kupferſtecher der
Welt werden wird. Jch weiß, der hohnlachende Neid wird dieſes Wort auffaſſen, und ſich aufs neue
bemuͤhen, das aufkeimende Genie wie ein Jnſekt zu zerknicken; — mag er! Er wird den Juͤngling
nicht zerknicken, aber ihn reizen ſeine Kraͤfte aufzurufen, und zu leiſten was moͤglich iſt. Seine
Werke werden reden — und wenn er einmal durch Reiſen und Umgang mit Kuͤnſtlern ganz reif
geworden iſt, ſo wird er in ſeiner vollen Kraft da ſtehen, und ſeine Arbeiten werden die Cabinetter
der Fuͤrſten zieren. Dann wird ſichs zeigen, wer Jnſekt iſt, der Neid — oder Lips.
Gerade die anfaͤngliche Haͤrte ſeiner Feder und ſeiner Nadel, gerade die war mir Pfand
ſeiner Groͤße. Gerade der freut’ ich mich — um ſeines runden, ſanften Geſichtes willen. Anfaͤng-
liche Haͤrte iſt immer die natuͤrlichſte Manier kraftvoller Genies; wohl verſtanden — Haͤrte, als
Haͤrte, iſt nicht Zeichen des Genies. Aber wo ſie nichts anders iſt, als uͤbertriebene Beſtimmtheit;
wo ſie Folge genauer und ſcharfer Bemerkung aller Charakter eines Objektes iſt; wo das Ver-
haͤltniß dieſer Charakter auch in dem zu harten Ausdrucke richtig iſt — — O ihr Lehrer und Bil-
der junger Kuͤnſtler, verderbt mir dieſe harten Zeichner nicht durch ewiges Zurufen von weicher
Natur — Jch weiß, daß die Natur nicht hart iſt. Behuͤte Gott, daß ich Haͤrte predigen wol-
le — ſo wenig, als Schlaffheit — aber das ſag’ ich — tauſend gegen eins iſt zu ſetzen: der
Kuͤnſtlerjuͤngling, deſſen ſonſt richtige, genau darſtellende Zeichnung den einzigen Fehler der Haͤrte
hat, wird Mann — Raphael oder Duͤrer ſeyn. Der hingegen, deſſen Hauptfehler Unbeſtimmt-
heit, Verblaſenheit, ſchwammichte, lockere Manier iſt, wird ſchwerlich als Mann mehr ſeyn, als
Juͤngling. O — die Kraft iſt immer eher zu ſchwaͤchen, als zu ſtaͤrken. Es iſt immer leichter
abzuſchleifen, als zuzuflicken. — O daß ihr ſie fuͤhltet, die lichte Wahrheit — Lehrer, Kuͤnſtler,
Kunſt-
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