Heinrich Lips, von Kloten, bey Zürch, eines Landscherers Sohn -- hat sich beynah' ohne allen Unterricht zu einer Fertigkeit, besonders auf dem Kupfer zu arbeiten, empor gehoben, daß er in sei- nem siebenzehnten Jahre jede Zeichnung, und jedes Gemählde, das man ihm vorlegt, mit Cölla's Genauigkeit und Fleiß, aber mit viel mehr Kraft und Genie, nachzeichnet; -- ein Künstler, der täglich und augenscheinlich wächst -- und, ich stehe dafür, immer wachsen, und, was immer Nei- der und Verläumder sagen mögen -- einer der größten, wo nicht der größeste Kupferstecher der Welt werden wird. Jch weiß, der hohnlachende Neid wird dieses Wort auffassen, und sich aufs neue bemühen, das aufkeimende Genie wie ein Jnsekt zu zerknicken; -- mag er! Er wird den Jüngling nicht zerknicken, aber ihn reizen seine Kräfte aufzurufen, und zu leisten was möglich ist. Seine Werke werden reden -- und wenn er einmal durch Reisen und Umgang mit Künstlern ganz reif geworden ist, so wird er in seiner vollen Kraft da stehen, und seine Arbeiten werden die Cabinetter der Fürsten zieren. Dann wird sichs zeigen, wer Jnsekt ist, der Neid -- oder Lips.
Gerade die anfängliche Härte seiner Feder und seiner Nadel, gerade die war mir Pfand seiner Größe. Gerade der freut' ich mich -- um seines runden, sanften Gesichtes willen. Anfäng- liche Härte ist immer die natürlichste Manier kraftvoller Genies; wohl verstanden -- Härte, als Härte, ist nicht Zeichen des Genies. Aber wo sie nichts anders ist, als übertriebene Bestimmtheit; wo sie Folge genauer und scharfer Bemerkung aller Charakter eines Objektes ist; wo das Ver- hältniß dieser Charakter auch in dem zu harten Ausdrucke richtig ist -- -- O ihr Lehrer und Bil- der junger Künstler, verderbt mir diese harten Zeichner nicht durch ewiges Zurufen von weicher Natur -- Jch weiß, daß die Natur nicht hart ist. Behüte Gott, daß ich Härte predigen wol- le -- so wenig, als Schlaffheit -- aber das sag' ich -- tausend gegen eins ist zu setzen: der Künstlerjüngling, dessen sonst richtige, genau darstellende Zeichnung den einzigen Fehler der Härte hat, wird Mann -- Raphael oder Dürer seyn. Der hingegen, dessen Hauptfehler Unbestimmt- heit, Verblasenheit, schwammichte, lockere Manier ist, wird schwerlich als Mann mehr seyn, als Jüngling. O -- die Kraft ist immer eher zu schwächen, als zu stärken. Es ist immer leichter abzuschleifen, als zuzuflicken. -- O daß ihr sie fühltet, die lichte Wahrheit -- Lehrer, Künstler,
Kunst-
XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler.
Zweyte Tafel. Lips.
Heinrich Lips, von Kloten, bey Zuͤrch, eines Landſcherers Sohn — hat ſich beynah’ ohne allen Unterricht zu einer Fertigkeit, beſonders auf dem Kupfer zu arbeiten, empor gehoben, daß er in ſei- nem ſiebenzehnten Jahre jede Zeichnung, und jedes Gemaͤhlde, das man ihm vorlegt, mit Coͤlla’s Genauigkeit und Fleiß, aber mit viel mehr Kraft und Genie, nachzeichnet; — ein Kuͤnſtler, der taͤglich und augenſcheinlich waͤchſt — und, ich ſtehe dafuͤr, immer wachſen, und, was immer Nei- der und Verlaͤumder ſagen moͤgen — einer der groͤßten, wo nicht der groͤßeſte Kupferſtecher der Welt werden wird. Jch weiß, der hohnlachende Neid wird dieſes Wort auffaſſen, und ſich aufs neue bemuͤhen, das aufkeimende Genie wie ein Jnſekt zu zerknicken; — mag er! Er wird den Juͤngling nicht zerknicken, aber ihn reizen ſeine Kraͤfte aufzurufen, und zu leiſten was moͤglich iſt. Seine Werke werden reden — und wenn er einmal durch Reiſen und Umgang mit Kuͤnſtlern ganz reif geworden iſt, ſo wird er in ſeiner vollen Kraft da ſtehen, und ſeine Arbeiten werden die Cabinetter der Fuͤrſten zieren. Dann wird ſichs zeigen, wer Jnſekt iſt, der Neid — oder Lips.
Gerade die anfaͤngliche Haͤrte ſeiner Feder und ſeiner Nadel, gerade die war mir Pfand ſeiner Groͤße. Gerade der freut’ ich mich — um ſeines runden, ſanften Geſichtes willen. Anfaͤng- liche Haͤrte iſt immer die natuͤrlichſte Manier kraftvoller Genies; wohl verſtanden — Haͤrte, als Haͤrte, iſt nicht Zeichen des Genies. Aber wo ſie nichts anders iſt, als uͤbertriebene Beſtimmtheit; wo ſie Folge genauer und ſcharfer Bemerkung aller Charakter eines Objektes iſt; wo das Ver- haͤltniß dieſer Charakter auch in dem zu harten Ausdrucke richtig iſt — — O ihr Lehrer und Bil- der junger Kuͤnſtler, verderbt mir dieſe harten Zeichner nicht durch ewiges Zurufen von weicher Natur — Jch weiß, daß die Natur nicht hart iſt. Behuͤte Gott, daß ich Haͤrte predigen wol- le — ſo wenig, als Schlaffheit — aber das ſag’ ich — tauſend gegen eins iſt zu ſetzen: der Kuͤnſtlerjuͤngling, deſſen ſonſt richtige, genau darſtellende Zeichnung den einzigen Fehler der Haͤrte hat, wird Mann — Raphael oder Duͤrer ſeyn. Der hingegen, deſſen Hauptfehler Unbeſtimmt- heit, Verblaſenheit, ſchwammichte, lockere Manier iſt, wird ſchwerlich als Mann mehr ſeyn, als Juͤngling. O — die Kraft iſt immer eher zu ſchwaͤchen, als zu ſtaͤrken. Es iſt immer leichter abzuſchleifen, als zuzuflicken. — O daß ihr ſie fuͤhltet, die lichte Wahrheit — Lehrer, Kuͤnſtler,
Kunſt-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0366"n="222"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XXVIII.</hi> Fragment. Drey Kuͤnſtler.</hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#g"><hirendition="#fr">Zweyte Tafel.</hi><lb/><hirendition="#b">Lips.</hi></hi></head><lb/><p><hirendition="#fr"><hirendition="#in">H</hi>einrich Lips,</hi> von Kloten, bey Zuͤrch, eines Landſcherers Sohn — hat ſich beynah’ ohne allen<lb/>
Unterricht zu einer Fertigkeit, beſonders auf dem Kupfer zu arbeiten, empor gehoben, daß er in ſei-<lb/>
nem ſiebenzehnten Jahre jede Zeichnung, und jedes Gemaͤhlde, das man ihm vorlegt, mit <hirendition="#fr">Coͤlla’s</hi><lb/>
Genauigkeit und Fleiß, aber mit viel mehr Kraft und Genie, nachzeichnet; — ein Kuͤnſtler, der<lb/>
taͤglich und augenſcheinlich waͤchſt — und, ich ſtehe dafuͤr, immer wachſen, und, was immer Nei-<lb/>
der und Verlaͤumder ſagen moͤgen — einer der groͤßten, wo nicht der groͤßeſte Kupferſtecher der<lb/>
Welt werden wird. Jch weiß, der hohnlachende Neid wird dieſes Wort auffaſſen, und ſich aufs neue<lb/>
bemuͤhen, das aufkeimende Genie wie ein Jnſekt zu zerknicken; — mag er! Er wird den Juͤngling<lb/>
nicht zerknicken, aber ihn reizen ſeine Kraͤfte aufzurufen, und zu leiſten was moͤglich iſt. Seine<lb/>
Werke werden reden — und wenn er einmal durch Reiſen und Umgang mit Kuͤnſtlern ganz reif<lb/>
geworden iſt, ſo wird er in ſeiner vollen Kraft da ſtehen, und ſeine Arbeiten werden die Cabinetter<lb/>
der Fuͤrſten zieren. Dann wird ſichs zeigen, wer Jnſekt iſt, der Neid — oder <hirendition="#fr">Lips.</hi></p><lb/><p>Gerade die anfaͤngliche <hirendition="#fr">Haͤrte</hi>ſeiner Feder und ſeiner Nadel, gerade die war mir Pfand<lb/>ſeiner Groͤße. Gerade der freut’ ich mich — um ſeines runden, ſanften Geſichtes willen. Anfaͤng-<lb/>
liche Haͤrte iſt immer die natuͤrlichſte Manier kraftvoller Genies; wohl verſtanden — Haͤrte, als<lb/>
Haͤrte, iſt nicht Zeichen des Genies. Aber wo ſie nichts anders iſt, als uͤbertriebene Beſtimmtheit;<lb/>
wo ſie Folge genauer und ſcharfer Bemerkung aller Charakter eines Objektes iſt; wo das Ver-<lb/>
haͤltniß dieſer Charakter auch in dem zu harten Ausdrucke richtig iſt —— O ihr Lehrer und Bil-<lb/>
der junger Kuͤnſtler, verderbt mir dieſe harten Zeichner nicht durch ewiges Zurufen von weicher<lb/>
Natur — Jch weiß, daß die Natur nicht hart iſt. Behuͤte Gott, daß ich Haͤrte predigen wol-<lb/>
le —ſo wenig, als Schlaffheit — aber das ſag’ ich — tauſend gegen eins iſt zu ſetzen: der<lb/>
Kuͤnſtlerjuͤngling, deſſen ſonſt richtige, genau darſtellende Zeichnung den einzigen Fehler der Haͤrte<lb/>
hat, wird Mann —<hirendition="#fr">Raphael</hi> oder <hirendition="#fr">Duͤrer</hi>ſeyn. Der hingegen, deſſen Hauptfehler Unbeſtimmt-<lb/>
heit, Verblaſenheit, ſchwammichte, lockere Manier iſt, wird ſchwerlich als Mann mehr ſeyn, als<lb/>
Juͤngling. O — die Kraft iſt immer eher zu ſchwaͤchen, als zu ſtaͤrken. Es iſt immer leichter<lb/>
abzuſchleifen, als zuzuflicken. — O daß ihr ſie fuͤhltet, die lichte Wahrheit — Lehrer, Kuͤnſtler,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Kunſt-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[222/0366]
XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler.
Zweyte Tafel.
Lips.
Heinrich Lips, von Kloten, bey Zuͤrch, eines Landſcherers Sohn — hat ſich beynah’ ohne allen
Unterricht zu einer Fertigkeit, beſonders auf dem Kupfer zu arbeiten, empor gehoben, daß er in ſei-
nem ſiebenzehnten Jahre jede Zeichnung, und jedes Gemaͤhlde, das man ihm vorlegt, mit Coͤlla’s
Genauigkeit und Fleiß, aber mit viel mehr Kraft und Genie, nachzeichnet; — ein Kuͤnſtler, der
taͤglich und augenſcheinlich waͤchſt — und, ich ſtehe dafuͤr, immer wachſen, und, was immer Nei-
der und Verlaͤumder ſagen moͤgen — einer der groͤßten, wo nicht der groͤßeſte Kupferſtecher der
Welt werden wird. Jch weiß, der hohnlachende Neid wird dieſes Wort auffaſſen, und ſich aufs neue
bemuͤhen, das aufkeimende Genie wie ein Jnſekt zu zerknicken; — mag er! Er wird den Juͤngling
nicht zerknicken, aber ihn reizen ſeine Kraͤfte aufzurufen, und zu leiſten was moͤglich iſt. Seine
Werke werden reden — und wenn er einmal durch Reiſen und Umgang mit Kuͤnſtlern ganz reif
geworden iſt, ſo wird er in ſeiner vollen Kraft da ſtehen, und ſeine Arbeiten werden die Cabinetter
der Fuͤrſten zieren. Dann wird ſichs zeigen, wer Jnſekt iſt, der Neid — oder Lips.
Gerade die anfaͤngliche Haͤrte ſeiner Feder und ſeiner Nadel, gerade die war mir Pfand
ſeiner Groͤße. Gerade der freut’ ich mich — um ſeines runden, ſanften Geſichtes willen. Anfaͤng-
liche Haͤrte iſt immer die natuͤrlichſte Manier kraftvoller Genies; wohl verſtanden — Haͤrte, als
Haͤrte, iſt nicht Zeichen des Genies. Aber wo ſie nichts anders iſt, als uͤbertriebene Beſtimmtheit;
wo ſie Folge genauer und ſcharfer Bemerkung aller Charakter eines Objektes iſt; wo das Ver-
haͤltniß dieſer Charakter auch in dem zu harten Ausdrucke richtig iſt — — O ihr Lehrer und Bil-
der junger Kuͤnſtler, verderbt mir dieſe harten Zeichner nicht durch ewiges Zurufen von weicher
Natur — Jch weiß, daß die Natur nicht hart iſt. Behuͤte Gott, daß ich Haͤrte predigen wol-
le — ſo wenig, als Schlaffheit — aber das ſag’ ich — tauſend gegen eins iſt zu ſetzen: der
Kuͤnſtlerjuͤngling, deſſen ſonſt richtige, genau darſtellende Zeichnung den einzigen Fehler der Haͤrte
hat, wird Mann — Raphael oder Duͤrer ſeyn. Der hingegen, deſſen Hauptfehler Unbeſtimmt-
heit, Verblaſenheit, ſchwammichte, lockere Manier iſt, wird ſchwerlich als Mann mehr ſeyn, als
Juͤngling. O — die Kraft iſt immer eher zu ſchwaͤchen, als zu ſtaͤrken. Es iſt immer leichter
abzuſchleifen, als zuzuflicken. — O daß ihr ſie fuͤhltet, die lichte Wahrheit — Lehrer, Kuͤnſtler,
Kunſt-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/366>, abgerufen am 23.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.