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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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XXII. Fragment.
Zwey und zwanzigstes Fragment.
Eine Reihe Fürsten und Helden.

Man sollte, sagt, glaub' ich, irgendwo Spon, (der sonst über die römischkaiserlichen Phy-
siognomien den alten italiänischen Physiognomisten ziemlich seichte nachradottirt --) "um in
"der Physiognomik sicher zu gehen, vor allen Dingen die bekanntesten, öffentlichsten, größten
"Personen genau betrachten. Wie sehr diese immer ihre Charakter zu verstellen und zu verber-
"gen suchen -- so sind sie dennoch von so mannichfaltigen Seiten, so scharfen Augen beobachtet,
"müssen so öffentlich handeln, sich oft so sehr vertrauen -- daß ihr Grundcharakter nie ganz
"verborgen bleiben, oder mißkannt werden kann.

Laßt uns also einen Curs durch einige solche Physiognomien machen.

Erste Tafel.
Philipp der gute, Herzog von Burgund.

Kräftiger Thatverstand in der Stirne -- die viel gedacht hat, ohne Anstrengung.

Augen -- voll zarter beweglicher Güte, mehr staunend, als denkend.

Augenbraunen -- so wie sie da sind, gemein und unbedeutend.

Die Nase -- ohn' alle Größe und Kleinheit.

Der Mund, vornehmlich durch die abwärts in die Mitte der Unterlippe eingreifende
Mittellinie, und den Umriß der Oberlippe, gut, ohne Delikatesse -- und wollüstig, wie das
Auge.

Die vielen Falten in diesem Gesichte scheinen Vielfachheit der Ueberlegung und Erfah-
rung anzuzeigen.

Zweyte Tafel.
Wilhelm III. König in England und Schottland.

Eigne Ständigkeit zum Rath und zur That in der im hohen Grade aufgehenden Stirne.

Jm
XXII. Fragment.
Zwey und zwanzigſtes Fragment.
Eine Reihe Fuͤrſten und Helden.

Man ſollte, ſagt, glaub’ ich, irgendwo Spon, (der ſonſt uͤber die roͤmiſchkaiſerlichen Phy-
ſiognomien den alten italiaͤniſchen Phyſiognomiſten ziemlich ſeichte nachradottirt —) „um in
„der Phyſiognomik ſicher zu gehen, vor allen Dingen die bekannteſten, oͤffentlichſten, groͤßten
„Perſonen genau betrachten. Wie ſehr dieſe immer ihre Charakter zu verſtellen und zu verber-
„gen ſuchen — ſo ſind ſie dennoch von ſo mannichfaltigen Seiten, ſo ſcharfen Augen beobachtet,
„muͤſſen ſo oͤffentlich handeln, ſich oft ſo ſehr vertrauen — daß ihr Grundcharakter nie ganz
„verborgen bleiben, oder mißkannt werden kann.

Laßt uns alſo einen Curs durch einige ſolche Phyſiognomien machen.

Erſte Tafel.
Philipp der gute, Herzog von Burgund.

Kraͤftiger Thatverſtand in der Stirne — die viel gedacht hat, ohne Anſtrengung.

Augen — voll zarter beweglicher Guͤte, mehr ſtaunend, als denkend.

Augenbraunen — ſo wie ſie da ſind, gemein und unbedeutend.

Die Naſe — ohn’ alle Groͤße und Kleinheit.

Der Mund, vornehmlich durch die abwaͤrts in die Mitte der Unterlippe eingreifende
Mittellinie, und den Umriß der Oberlippe, gut, ohne Delikateſſe — und wolluͤſtig, wie das
Auge.

Die vielen Falten in dieſem Geſichte ſcheinen Vielfachheit der Ueberlegung und Erfah-
rung anzuzeigen.

Zweyte Tafel.
Wilhelm III. Koͤnig in England und Schottland.

Eigne Staͤndigkeit zum Rath und zur That in der im hohen Grade aufgehenden Stirne.

Jm
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[200/0300] XXII. Fragment. Zwey und zwanzigſtes Fragment. Eine Reihe Fuͤrſten und Helden. Man ſollte, ſagt, glaub’ ich, irgendwo Spon, (der ſonſt uͤber die roͤmiſchkaiſerlichen Phy- ſiognomien den alten italiaͤniſchen Phyſiognomiſten ziemlich ſeichte nachradottirt —) „um in „der Phyſiognomik ſicher zu gehen, vor allen Dingen die bekannteſten, oͤffentlichſten, groͤßten „Perſonen genau betrachten. Wie ſehr dieſe immer ihre Charakter zu verſtellen und zu verber- „gen ſuchen — ſo ſind ſie dennoch von ſo mannichfaltigen Seiten, ſo ſcharfen Augen beobachtet, „muͤſſen ſo oͤffentlich handeln, ſich oft ſo ſehr vertrauen — daß ihr Grundcharakter nie ganz „verborgen bleiben, oder mißkannt werden kann. Laßt uns alſo einen Curs durch einige ſolche Phyſiognomien machen. Erſte Tafel. Philipp der gute, Herzog von Burgund. Kraͤftiger Thatverſtand in der Stirne — die viel gedacht hat, ohne Anſtrengung. Augen — voll zarter beweglicher Guͤte, mehr ſtaunend, als denkend. Augenbraunen — ſo wie ſie da ſind, gemein und unbedeutend. Die Naſe — ohn’ alle Groͤße und Kleinheit. Der Mund, vornehmlich durch die abwaͤrts in die Mitte der Unterlippe eingreifende Mittellinie, und den Umriß der Oberlippe, gut, ohne Delikateſſe — und wolluͤſtig, wie das Auge. Die vielen Falten in dieſem Geſichte ſcheinen Vielfachheit der Ueberlegung und Erfah- rung anzuzeigen. Zweyte Tafel. Wilhelm III. Koͤnig in England und Schottland. Eigne Staͤndigkeit zum Rath und zur That in der im hohen Grade aufgehenden Stirne. Jm

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/300>, abgerufen am 17.11.2024.