Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.Schattenrissen sehen lasse. Zehnte Tafel. Drey weibliche Silhouetten Wr. 1. Dieser Kopf scheint beym ersten Anblicke viel zu versprechen; scheint überhaupt betrachtet, wo Aber nun -- diese Person soll nicht cultivirt, weiter nichts als eine gemeine brave, wackere, Allein dieß Profil hat dennoch einerseits positife Spuren, daß die Anlage selbst nicht von 2. Die Silhouette ist zu ernsthaft, und nicht fein genug -- zeigt aber doch viel von dem 3. Verzeichnet; aber in der Zeichnung noch voll wahrer Expression. "Jn der Natur eine wie
Schattenriſſen ſehen laſſe. Zehnte Tafel. Drey weibliche Silhouetten Wr. 1. Dieſer Kopf ſcheint beym erſten Anblicke viel zu verſprechen; ſcheint uͤberhaupt betrachtet, wo Aber nun — dieſe Perſon ſoll nicht cultivirt, weiter nichts als eine gemeine brave, wackere, Allein dieß Profil hat dennoch einerſeits poſitife Spuren, daß die Anlage ſelbſt nicht von 2. Die Silhouette iſt zu ernſthaft, und nicht fein genug — zeigt aber doch viel von dem 3. Verzeichnet; aber in der Zeichnung noch voll wahrer Expreſſion. „Jn der Natur eine wie
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <pb facs="#f0167" n="119"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Schattenriſſen ſehen laſſe.</hi> </fw><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g"> <hi rendition="#fr">Zehnte Tafel.</hi><lb/> <hi rendition="#b">Drey weibliche Silhouetten <hi rendition="#aq">Wr.</hi></hi> </hi> </head><lb/> <p>1. <hi rendition="#in">D</hi>ieſer Kopf ſcheint beym erſten Anblicke viel zu verſprechen; ſcheint uͤberhaupt betrachtet, wo<lb/> nicht etwas von Apoll, doch gewiß etwas Antikes zu haben. — Jch kenne ſie nicht; aber die Anla-<lb/> gen dieſer Perſon koͤnnen nicht gemein ſeyn. Die Stirn hat viel Maͤnnlichkeit; die Naſe, wenn ſie<lb/> untenher (vermuthlich durch des Zeichners Schuld) theils nicht ſo ſchwankend umriſſen, theils nicht<lb/> zu horizontal waͤre — der Uebergang von der Naſe zum Munde — die Oberlippe — und zum Theil<lb/> und im Ganzen genommen das Unterkinn — alles zeigt wenigſtens Anlage zur Groͤße? ...</p><lb/> <p>Aber nun — dieſe Perſon ſoll nicht cultivirt, weiter nichts als eine gemeine brave, wackere,<lb/> kluge Hausmutter ſeyn? Befehleriſch, im Urtheilen ſchnell, ſchwatzhaft; — wie ſich’s gebuͤhrt? Es<lb/> kann ſeyn; das Profil laͤugnet die Moͤglichkeit deſſen nicht — beſtaͤtiget nur, daß <hi rendition="#fr">Anlage</hi> treff-<lb/> lich, die Wuͤrkſamkeit gemein, daß Anlage im Profil ſichtbarer ſeyn koͤnne, als das Erworbene.</p><lb/> <p>Allein dieß Profil hat dennoch einerſeits poſitife Spuren, daß die Anlage ſelbſt nicht von<lb/> derjenigen Kraft ſey, die ſich uͤber alle Beſchraͤnkungen gewoͤhnlicher Erziehung wegſchwinge; —<lb/> anderſeits poſitife Spuren von Vernachlaͤſſigung. Die <hi rendition="#fr">erſten,</hi> in der ganzen Form des Profils,<lb/> welches, die Naſe weggeſchnitten, im Ganzen betrachtet beynahe perpendikular iſt; das heißt, die<lb/> Stirn iſt nicht zuruͤckgehend, der untere Theil des Geſichtes nicht hervorſtechend; die <hi rendition="#fr">andern</hi> —<lb/> in dem fleiſchigen Unterkinn vornehmlich.</p><lb/> <p>2. Die Silhouette iſt zu ernſthaft, und nicht fein genug — zeigt aber doch viel von dem<lb/> Charakter der Perſon. „Kraͤnkelnd, hypochondriſch, — um die Lippen herum — tiefſinnig! ſcharfſin-<lb/> „nig“ — zeigt’s der Uebergang von der Stirn zur Naſe, der tiefes Aug’ vermuthen laͤßt; zeigt’s zum<lb/> Theil die Naſe, vornehmlich der Uebergang von der Naſe zum Munde bis zur Mitte des Kinns —<lb/> „witzig, ſpottend“ — wird nicht beſtimmt von der Silhouette ausgeſprochen, aber nicht wider-<lb/> „ſprochen. Hat viel Geſchicke, Geſchmack, Urtheilskraft.“ — Eben ſo! „ein ſtarkes Gedaͤchtniß!“ —<lb/> vermuthlich in der hohen Stirn! „langſam zuͤrnend und lange“ — vornehmlich in der Ungebo-<lb/> genheit der Stirne — „Freunden treu“ — eben da! ...</p><lb/> <p>3. Verzeichnet; aber in der Zeichnung noch voll wahrer Expreſſion. „Jn der Natur eine<lb/> „ſehr empfindſame, zaͤrtlich guͤtige, fein geiſtreiche Perſon — Jedes leidende und ſeufzende Geſchoͤpfe,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wie</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0167]
Schattenriſſen ſehen laſſe.
Zehnte Tafel.
Drey weibliche Silhouetten Wr.
1. Dieſer Kopf ſcheint beym erſten Anblicke viel zu verſprechen; ſcheint uͤberhaupt betrachtet, wo
nicht etwas von Apoll, doch gewiß etwas Antikes zu haben. — Jch kenne ſie nicht; aber die Anla-
gen dieſer Perſon koͤnnen nicht gemein ſeyn. Die Stirn hat viel Maͤnnlichkeit; die Naſe, wenn ſie
untenher (vermuthlich durch des Zeichners Schuld) theils nicht ſo ſchwankend umriſſen, theils nicht
zu horizontal waͤre — der Uebergang von der Naſe zum Munde — die Oberlippe — und zum Theil
und im Ganzen genommen das Unterkinn — alles zeigt wenigſtens Anlage zur Groͤße? ...
Aber nun — dieſe Perſon ſoll nicht cultivirt, weiter nichts als eine gemeine brave, wackere,
kluge Hausmutter ſeyn? Befehleriſch, im Urtheilen ſchnell, ſchwatzhaft; — wie ſich’s gebuͤhrt? Es
kann ſeyn; das Profil laͤugnet die Moͤglichkeit deſſen nicht — beſtaͤtiget nur, daß Anlage treff-
lich, die Wuͤrkſamkeit gemein, daß Anlage im Profil ſichtbarer ſeyn koͤnne, als das Erworbene.
Allein dieß Profil hat dennoch einerſeits poſitife Spuren, daß die Anlage ſelbſt nicht von
derjenigen Kraft ſey, die ſich uͤber alle Beſchraͤnkungen gewoͤhnlicher Erziehung wegſchwinge; —
anderſeits poſitife Spuren von Vernachlaͤſſigung. Die erſten, in der ganzen Form des Profils,
welches, die Naſe weggeſchnitten, im Ganzen betrachtet beynahe perpendikular iſt; das heißt, die
Stirn iſt nicht zuruͤckgehend, der untere Theil des Geſichtes nicht hervorſtechend; die andern —
in dem fleiſchigen Unterkinn vornehmlich.
2. Die Silhouette iſt zu ernſthaft, und nicht fein genug — zeigt aber doch viel von dem
Charakter der Perſon. „Kraͤnkelnd, hypochondriſch, — um die Lippen herum — tiefſinnig! ſcharfſin-
„nig“ — zeigt’s der Uebergang von der Stirn zur Naſe, der tiefes Aug’ vermuthen laͤßt; zeigt’s zum
Theil die Naſe, vornehmlich der Uebergang von der Naſe zum Munde bis zur Mitte des Kinns —
„witzig, ſpottend“ — wird nicht beſtimmt von der Silhouette ausgeſprochen, aber nicht wider-
„ſprochen. Hat viel Geſchicke, Geſchmack, Urtheilskraft.“ — Eben ſo! „ein ſtarkes Gedaͤchtniß!“ —
vermuthlich in der hohen Stirn! „langſam zuͤrnend und lange“ — vornehmlich in der Ungebo-
genheit der Stirne — „Freunden treu“ — eben da! ...
3. Verzeichnet; aber in der Zeichnung noch voll wahrer Expreſſion. „Jn der Natur eine
„ſehr empfindſame, zaͤrtlich guͤtige, fein geiſtreiche Perſon — Jedes leidende und ſeufzende Geſchoͤpfe,
wie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |