Hier haben wir drey Kahlköpfe! was etwa das wenige Haar auftragen mag, abgerechnet, und man wird mit dem Zirkel finden, daß die Höhe des Kopfes der Breite gleich ist. -- O die Natur, wie analogisch ist sie sich bey aller ihrer unendlichen Mannichfaltigkeit!
Jch kenne keinen von allen dreyen, deren Schattenrisse wir vor uns haben. Aber ich glaube A ist sehr wahrscheinlich ein Mann von Geschmack und klugem Verstand; aber er hat nicht die Stirn eines metaphysisch spekulatifen Kopfes.
Vom Augknochen an bis auf die Mitte des Kinns ist am meisten Ausdruck.
B .... Jch irre mich sehr, oder er ist ein trefflicher, freyer, wackerer Selbstdenker. Welch ein Unterschied zwischen einem bloß verständigen Manne, und einem forschenden Denker! die rundere Form des Kopfes, die Stirn, besonders die Nase, die Lippen bis mitten ans Kinn -- alles zusammenstimmend zu demselben Ausdrucke. Das Unterkinn mag etwas vom Ganzen subtrahiren.
C. Ein braver, ehrlicher, betreibsamer Geschäfftsmann.
Nachstehende Silhouette eines sanften, stillen, wenig redenden, vielhörenden, äusserst guten, empfindsamen, redlichen, furchtsamen und Wahrheit suchenden, Wahrheit ahndenden Menschen. Sanftmuth, Güte und furchtsame Bescheidenheit ist in der Stirne besonders. Der feine Verstand in der Nase. Empfindsamkeit im Hinterhaupte.
[Abbildung]
Sechste
O 2
Schattenriſſe ſehen oder nicht ſehen koͤnne.
Fuͤnfte Tafel. Drey maͤnnliche Silhouetten.A. B. C.
Hier haben wir drey Kahlkoͤpfe! was etwa das wenige Haar auftragen mag, abgerechnet, und man wird mit dem Zirkel finden, daß die Hoͤhe des Kopfes der Breite gleich iſt. — O die Natur, wie analogiſch iſt ſie ſich bey aller ihrer unendlichen Mannichfaltigkeit!
Jch kenne keinen von allen dreyen, deren Schattenriſſe wir vor uns haben. Aber ich glaube A iſt ſehr wahrſcheinlich ein Mann von Geſchmack und klugem Verſtand; aber er hat nicht die Stirn eines metaphyſiſch ſpekulatifen Kopfes.
Vom Augknochen an bis auf die Mitte des Kinns iſt am meiſten Ausdruck.
B .... Jch irre mich ſehr, oder er iſt ein trefflicher, freyer, wackerer Selbſtdenker. Welch ein Unterſchied zwiſchen einem bloß verſtaͤndigen Manne, und einem forſchenden Denker! die rundere Form des Kopfes, die Stirn, beſonders die Naſe, die Lippen bis mitten ans Kinn — alles zuſammenſtimmend zu demſelben Ausdrucke. Das Unterkinn mag etwas vom Ganzen ſubtrahiren.
C. Ein braver, ehrlicher, betreibſamer Geſchaͤfftsmann.
Nachſtehende Silhouette eines ſanften, ſtillen, wenig redenden, vielhoͤrenden, aͤuſſerſt guten, empfindſamen, redlichen, furchtſamen und Wahrheit ſuchenden, Wahrheit ahndenden Menſchen. Sanftmuth, Guͤte und furchtſame Beſcheidenheit iſt in der Stirne beſonders. Der feine Verſtand in der Naſe. Empfindſamkeit im Hinterhaupte.
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Sechste
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Schattenriſſe ſehen oder nicht ſehen koͤnne.
Fuͤnfte Tafel.
Drey maͤnnliche Silhouetten. A. B. C.
Hier haben wir drey Kahlkoͤpfe! was etwa das wenige Haar auftragen mag, abgerechnet, und
man wird mit dem Zirkel finden, daß die Hoͤhe des Kopfes der Breite gleich iſt. — O die Natur,
wie analogiſch iſt ſie ſich bey aller ihrer unendlichen Mannichfaltigkeit!
Jch kenne keinen von allen dreyen, deren Schattenriſſe wir vor uns haben. Aber ich glaube
A iſt ſehr wahrſcheinlich ein Mann von Geſchmack und klugem Verſtand; aber er hat nicht die
Stirn eines metaphyſiſch ſpekulatifen Kopfes.
Vom Augknochen an bis auf die Mitte des Kinns iſt am meiſten Ausdruck.
B .... Jch irre mich ſehr, oder er iſt ein trefflicher, freyer, wackerer Selbſtdenker. Welch
ein Unterſchied zwiſchen einem bloß verſtaͤndigen Manne, und einem forſchenden Denker! die
rundere Form des Kopfes, die Stirn, beſonders die Naſe, die Lippen bis mitten ans Kinn — alles
zuſammenſtimmend zu demſelben Ausdrucke. Das Unterkinn mag etwas vom Ganzen ſubtrahiren.
C. Ein braver, ehrlicher, betreibſamer Geſchaͤfftsmann.
Nachſtehende Silhouette eines ſanften, ſtillen, wenig redenden, vielhoͤrenden, aͤuſſerſt guten,
empfindſamen, redlichen, furchtſamen und Wahrheit ſuchenden, Wahrheit ahndenden Menſchen.
Sanftmuth, Guͤte und furchtſame Beſcheidenheit iſt in der Stirne beſonders. Der feine Verſtand
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/145>, abgerufen am 23.02.2025.
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