Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.IX. Fragment. Neuntes Fragment. Ueber die Porträtmahlerey. Die natürlichste, menschlichste, edelste, nützlichste Kunst, -- und die schwerste, so leicht sie Liebe -- hat sie erfunden, diese himmlische Kunst. Ohne Liebe wer kann sie? und der Da ein großer Theil dieses Werkes, und der Wissenschaft, welche den Jnnhalt desselben Ein Wörtchen; denn was ließe sich nicht bloß über diese Kunst für ein ganz neues, wichti- Wer sich die Mühe nehmen mag, über diese Kunst nachzudenken, wird finden, daß sie alle Jch
IX. Fragment. Neuntes Fragment. Ueber die Portraͤtmahlerey. Die natuͤrlichſte, menſchlichſte, edelſte, nuͤtzlichſte Kunſt, — und die ſchwerſte, ſo leicht ſie Liebe — hat ſie erfunden, dieſe himmliſche Kunſt. Ohne Liebe wer kann ſie? und der Da ein großer Theil dieſes Werkes, und der Wiſſenſchaft, welche den Jnnhalt deſſelben Ein Woͤrtchen; denn was ließe ſich nicht bloß uͤber dieſe Kunſt fuͤr ein ganz neues, wichti- Wer ſich die Muͤhe nehmen mag, uͤber dieſe Kunſt nachzudenken, wird finden, daß ſie alle Jch
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IX. Fragment.
Neuntes Fragment.
Ueber die Portraͤtmahlerey.
Die natuͤrlichſte, menſchlichſte, edelſte, nuͤtzlichſte Kunſt, — und die ſchwerſte, ſo leicht ſie
ſcheint, ſo leicht ſie ſeyn ſollte, die Portraͤtmahlerey.
Liebe — hat ſie erfunden, dieſe himmliſche Kunſt. Ohne Liebe wer kann ſie? und der
Liebenden; — wer?
Da ein großer Theil dieſes Werkes, und der Wiſſenſchaft, welche den Jnnhalt deſſelben
ausmacht, auf dieſer Kunſt beruhet; ſo iſt’s natuͤrlich, daß wir, wie wir ſchon verheißen oder —
gedrohet? haben, auch ein Woͤrtchen davon ſagen.
Ein Woͤrtchen; denn was ließe ſich nicht bloß uͤber dieſe Kunſt fuͤr ein ganz neues, wichti-
ges, großes Werk ſchreiben? Und ich hoffe, zur Ehre der Menſchheit und der Kunſt, daß es noch
geſchrieben werden wird. Jch denke nicht, daß es von einem Mahler, ſo geſchickt er in ſeiner Kunſt
ſeyn moͤchte; ich denke, daß es von einem verſtaͤndigen, geſchmackvollen, phyſiognomiſchen Freunde,
einem taͤglich beobachtenden Vertrauten eines großen Portraͤtmahlers, geſchrieben werden ſollte.....
Wenigſtens unter allen mir bekannten Portraͤtmahlern ſcheint keiner zu ſeyn, der dieſe weitlaͤuftige
Materie zu umfaſſen, zu erſchoͤpfen, und ins helleſte Licht zu ſetzen im Stande waͤre .... Sulzer
waͤre vielleicht der einzige Mann, der dieſes zu thun im Stande geweſen waͤre — Philoſoph, Kunſt-
kenner, und Schwiegervater eines der groͤßten Portraͤtmahlers unſerer Zeit, des Herrn Anton
Graf von Winterthur, churfuͤrſtlich ſaͤchſiſchen Hofmahlers zu Dresden. Er, dieſer licht- und
geſchmackvolle Weiſe, der Menſch genug iſt, die Wichtigkeit der Portraͤtmahlerey als Jntereſſe
der Menſchheit zu empfinden — hat in ſeinem Woͤrterbuche unter dem Titel Portraͤt uͤber dieſen
Punkt ſo viel Treffliches geſagt; aber wie wenig laͤßt ſich in einem Woͤrterbuche von dieſer Be-
ſchraͤnktheit eine Materie von dieſem Umfange erſchoͤpfen!
Wer ſich die Muͤhe nehmen mag, uͤber dieſe Kunſt nachzudenken, wird finden, daß ſie alle
erkennenden und wuͤrkenden Kraͤfte der menſchlichen Natur zu beſchaͤfftigen — groß genug iſt; daß
ſie nie ausgelernt werden, nie ſich zu einem Jdeal von Vollkommenheit erheben kann.
Jch
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