Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.Achtzehntes Fragment. Vermischtes. Jch eile zum Beschlusse dieses ersten Bandes, obgleich ich noch eine unzählige Menge von Jch habe in diesem ganzen Bande noch wenig oder keine Regeln, keine Schlüssel ge- Jch verachte keine Einwendung; ich werde gewiß manche, werde nach und nach alle Es verhält sich mit den Einwendungen gegen die Physiognomik sehr oft, wie mit Hunderte werden sich Tage lang über die Physiognomik zanken, Einwendungen ma- nuß, M m 2
Achtzehntes Fragment. Vermiſchtes. Jch eile zum Beſchluſſe dieſes erſten Bandes, obgleich ich noch eine unzaͤhlige Menge von Jch habe in dieſem ganzen Bande noch wenig oder keine Regeln, keine Schluͤſſel ge- Jch verachte keine Einwendung; ich werde gewiß manche, werde nach und nach alle Es verhaͤlt ſich mit den Einwendungen gegen die Phyſiognomik ſehr oft, wie mit Hunderte werden ſich Tage lang uͤber die Phyſiognomik zanken, Einwendungen ma- nuß, M m 2
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Achtzehntes Fragment.
Vermiſchtes.
Jch eile zum Beſchluſſe dieſes erſten Bandes, obgleich ich noch eine unzaͤhlige Menge von
Sachen zu ſagen haͤtte, die ich kaum einem zweyten Verſuche aufſparen darf.
Jch habe in dieſem ganzen Bande noch wenig oder keine Regeln, keine Schluͤſſel ge-
geben; noch nichts von dem Wichtigſten, (freylich nicht fuͤr blos neugierige Leſer Wichtig-
ſten,) von der Methode Phyſiognomie zu ſtudiren geſagt; noch wenige Einwendungen
angefuͤhrt und beantwortet; — ich hoff' aber, nicht das, was ich noch nicht geſagt, ſondern
das, was ich geſagt, ſey der Pruͤfung des menſchlichen Leſers nicht unwuͤrdig!
Jch verachte keine Einwendung; ich werde gewiß manche, werde nach und nach alle
beantworten, die mir von einiger Erheblichkeit zu ſeyn duͤnken und bekannt werden. Ueber-
haupt aber duͤnkt mich, daß es beſſer ſey, ein Gebaͤude, oder wenigſtens einige Hauptbruch-
ſtuͤcke des Gebaͤudes darzuſtellen, als mit Worten die Einwendung zu beſtreiten, „daß es un-
„moͤglich ſey, ſo ein Gebaͤude aufzufuͤhren.“
Es verhaͤlt ſich mit den Einwendungen gegen die Phyſiognomik ſehr oft, wie mit
Diſpuͤten uͤber die Pflichtmaͤßigkeit und Moralitaͤt gewiſſer Handlungen. Man kann tauſend
Sophiſtereyen dagegen ſagen, die ſich nicht ſogleich mit Worten beantworten laſſen. Der Tu-
gendhafte, dem nichts unertraͤglicher iſt, als Geſchwaͤtz und Gezaͤnk uͤber Tugend, hoͤrt's,
ſpricht, ſpricht umſonſt, ſchweigt, zuͤrnt oder laͤchelt, und geht ſtille hin und thut, woruͤber an-
dere einen ganzen Tag geſtritten haben: „Ob's recht, ob's gut, ob's moͤglich ſey?“ Und wenn's
dann Schwaͤtzer ſehen, ſo ſagen freylich nicht alle, aber alle empfinden's: Recht! Schoͤn!
Vortrefflich!
Hunderte werden ſich Tage lang uͤber die Phyſiognomik zanken, Einwendungen ma-
chen, die ſich nicht ſogleich beantworten laſſen, der Phyſiognomiſt hoͤrt's, ſchweigt, laͤchelt der
Lacher, und geht, und umfaßt aus der Menge einen mißkennten Menſchen, freut ſich und ruft:
„Mein Bruder! Mein Bruder,“ und fuͤhlt im neugefundenen Menſchen Gewißheit und Ge-
nuß,
M m 2
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