Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
Würde der menschlichen Natur.

"Siehe das schönste Vorbild von Einkleidung und Schönheit! -- den menschlichen
"Körper! Einheit
im Mannichfaltigen! Mannichfaltiges in Einem! -- Wie er da
"steht in seinem hohen Eins! -- Wohlgestalt, Ebenmaße, Symmetrien durch alle Formen
"und Glieder! und welch ein Mannichfaltes! Jmmer Eins und immer, wie sanft wie bieg-
"sam verändert ....

"Betrachte dieß göttliche Seelenvolle Menschenantlitz! Mannichfaltigkeit und Ein-
"heit! Einheit und Mannichfaltigkeit! Der Gedanke dieser Stirn, Blick des Auges, Hauch
"des Mundes, Miene der Wange! wie alles spricht, und zusammenfließt! Einklang! alle
"Farben in Einem Stral der Sonne!
.... Gemälde des sanftesten unermeßlichsten
"Jnnhaltes!

"Gott schuf den Menschen, sein Bild,
"Zum Gleichniß Gottes schuf er ihn,
"Er schuf ihn, Mann und Weib.

"Da steht Er! Jn all seinem Göttlichen! Gleichniß Gottes und der Natur! Jnn-
"begriff aller Rege, Schöpferskraft und Wirkung! Studirt ihn; zeichnet seine Gestalt,
"wie die Sonn' im Wassertropfen -- all Euere Götter, Helden und Göttinnen, weß Alters,
"Zeichens, Stellung, Bedeutung
sie seyn mögen -- disjecti membra Poetae! und das
"höchste aus aller Welt gesammelte Engelsideal, wie's etwa Plato Winkelmann träumen,
"und Appelles-Raphael mit einem zitternden Zuge schaffen kann -- Venus Anadyomene
"und Apollo wirds nimmer werden: Nur schöne Schattenbilder, diese in Einer Gestalt oft
"tiefgeneigte Schatten am Untergange der Sonne -- Lasset Künstler und Dichter, wie Bie-
"nen, den Reichthum, und Kraft und Süßigkeit und Fülle aus der ganzen sichtbaren Natur
"sammeln: Bild Gottes, Jnnbegriff der Schöpfung, Gemächte voll Rege und Be-
"deutung nach hohem Gottesrathschluß
-- Es wird Jdeal der Kunst seyn und bleiben! - - -
"Menschheit! -- Heiliges und entweihetes Bild Gottes! geschwächter und zerrißner
"Jnnbegriff aller Schöpfung!
Tempel, in dem und an dem sich die Gottheit zuerst, und
"nach Wunderzeichen und Propheten, zuletzt, zu offenbaren würdigte -- durch den Sohn!
"den Abglanz der Herrlichkeit Gottes!
den Ein und Erstgebornen! durch den, und in

dem
B 3
Wuͤrde der menſchlichen Natur.

„Siehe das ſchoͤnſte Vorbild von Einkleidung und Schoͤnheit! — den menſchlichen
„Koͤrper! Einheit
im Mannichfaltigen! Mannichfaltiges in Einem! — Wie er da
„ſteht in ſeinem hohen Eins! — Wohlgeſtalt, Ebenmaße, Symmetrien durch alle Formen
„und Glieder! und welch ein Mannichfaltes! Jmmer Eins und immer, wie ſanft wie bieg-
„ſam veraͤndert ....

„Betrachte dieß goͤttliche Seelenvolle Menſchenantlitz! Mannichfaltigkeit und Ein-
„heit! Einheit und Mannichfaltigkeit! Der Gedanke dieſer Stirn, Blick des Auges, Hauch
„des Mundes, Miene der Wange! wie alles ſpricht, und zuſammenfließt! Einklang! alle
„Farben in Einem Stral der Sonne!
.... Gemaͤlde des ſanfteſten unermeßlichſten
„Jnnhaltes!

Gott ſchuf den Menſchen, ſein Bild,
„Zum Gleichniß Gottes ſchuf er ihn,
„Er ſchuf ihn, Mann und Weib.

„Da ſteht Er! Jn all ſeinem Goͤttlichen! Gleichniß Gottes und der Natur! Jnn-
„begriff aller Rege, Schoͤpferskraft und Wirkung! Studirt ihn; zeichnet ſeine Geſtalt,
„wie die Sonn' im Waſſertropfen — all Euere Goͤtter, Helden und Goͤttinnen, weß Alters,
„Zeichens, Stellung, Bedeutung
ſie ſeyn moͤgen — disjecti membra Poëtae! und das
„hoͤchſte aus aller Welt geſammelte Engelsideal, wie's etwa Plato Winkelmann traͤumen,
„und Appelles-Raphael mit einem zitternden Zuge ſchaffen kann — Venus Anadyomene
„und Apollo wirds nimmer werden: Nur ſchoͤne Schattenbilder, dieſe in Einer Geſtalt oft
„tiefgeneigte Schatten am Untergange der Sonne — Laſſet Kuͤnſtler und Dichter, wie Bie-
„nen, den Reichthum, und Kraft und Suͤßigkeit und Fuͤlle aus der ganzen ſichtbaren Natur
„ſammeln: Bild Gottes, Jnnbegriff der Schoͤpfung, Gemaͤchte voll Rege und Be-
„deutung nach hohem Gottesrathſchluß
— Es wird Jdeal der Kunſt ſeyn und bleiben! ‒ ‒ ‒
„Menſchheit! — Heiliges und entweihetes Bild Gottes! geſchwaͤchter und zerrißner
„Jnnbegriff aller Schoͤpfung!
Tempel, in dem und an dem ſich die Gottheit zuerſt, und
„nach Wunderzeichen und Propheten, zuletzt, zu offenbaren wuͤrdigte — durch den Sohn!
„den Abglanz der Herrlichkeit Gottes!
den Ein und Erſtgebornen! durch den, und in

dem
B 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0029" n="5"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Wu&#x0364;rde der men&#x017F;chlichen Natur</hi>.</hi> </fw><lb/>
          <p>&#x201E;Siehe das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Vorbild von Einkleidung und Scho&#x0364;nheit! &#x2014; <hi rendition="#fr">den men&#x017F;chlichen<lb/>
&#x201E;Ko&#x0364;rper! Einheit</hi> im <hi rendition="#fr">Mannichfaltigen! Mannichfaltiges in Einem!</hi> &#x2014; Wie er da<lb/>
&#x201E;&#x017F;teht in &#x017F;einem hohen Eins! &#x2014; <hi rendition="#fr">Wohlge&#x017F;talt,</hi> Ebenmaße, Symmetrien durch alle Formen<lb/>
&#x201E;und Glieder! und welch ein Mannichfaltes! Jmmer Eins und immer, wie &#x017F;anft wie bieg-<lb/>
&#x201E;&#x017F;am vera&#x0364;ndert ....</p><lb/>
          <p>&#x201E;Betrachte dieß <hi rendition="#fr">go&#x0364;ttliche Seelenvolle Men&#x017F;chenantlitz!</hi> Mannichfaltigkeit und Ein-<lb/>
&#x201E;heit! Einheit und Mannichfaltigkeit! Der <hi rendition="#fr">Gedanke</hi> die&#x017F;er <hi rendition="#fr">Stirn, Blick</hi> des <hi rendition="#fr">Auges, Hauch</hi><lb/>
&#x201E;des <hi rendition="#fr">Mundes, Miene</hi> der <hi rendition="#fr">Wange!</hi> wie alles &#x017F;pricht, und zu&#x017F;ammenfließt! <hi rendition="#fr">Einklang! alle<lb/>
&#x201E;Farben in Einem Stral der Sonne!</hi> .... Gema&#x0364;lde des &#x017F;anfte&#x017F;ten unermeßlich&#x017F;ten<lb/>
&#x201E;Jnnhaltes!</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>&#x201E;<hi rendition="#fr">Gott &#x017F;chuf den Men&#x017F;chen, &#x017F;ein Bild,</hi></l><lb/>
            <l> <hi rendition="#fr">&#x201E;Zum Gleichniß Gottes &#x017F;chuf er ihn,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#fr">&#x201E;Er &#x017F;chuf ihn, Mann und Weib.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <p>&#x201E;Da &#x017F;teht Er! Jn all &#x017F;einem <hi rendition="#fr">Go&#x0364;ttlichen! Gleichniß Gottes</hi> und <hi rendition="#fr">der Natur!</hi> Jnn-<lb/>
&#x201E;begriff aller <hi rendition="#fr">Rege, Scho&#x0364;pferskraft</hi> und <hi rendition="#fr">Wirkung!</hi> Studirt ihn; zeichnet &#x017F;eine Ge&#x017F;talt,<lb/>
&#x201E;wie die Sonn' im Wa&#x017F;&#x017F;ertropfen &#x2014; all Euere Go&#x0364;tter, Helden und Go&#x0364;ttinnen, weß <hi rendition="#fr">Alters,<lb/>
&#x201E;Zeichens, Stellung, Bedeutung</hi> &#x017F;ie &#x017F;eyn mo&#x0364;gen &#x2014; <hi rendition="#aq">disjecti membra Poëtae!</hi> und das<lb/>
&#x201E;ho&#x0364;ch&#x017F;te aus aller Welt ge&#x017F;ammelte <hi rendition="#fr">Engelsideal,</hi> wie's etwa <hi rendition="#fr">Plato Winkelmann</hi> tra&#x0364;umen,<lb/>
&#x201E;und <hi rendition="#fr">Appelles-Raphael</hi> mit einem zitternden Zuge &#x017F;chaffen kann &#x2014; <hi rendition="#fr">Venus Anadyomene</hi><lb/>
&#x201E;und <hi rendition="#fr">Apollo</hi> wirds nimmer werden: Nur &#x017F;cho&#x0364;ne Schattenbilder, die&#x017F;e in <hi rendition="#fr">Einer</hi> Ge&#x017F;talt oft<lb/>
&#x201E;tiefgeneigte Schatten am Untergange der Sonne &#x2014; La&#x017F;&#x017F;et Ku&#x0364;n&#x017F;tler und Dichter, wie Bie-<lb/>
&#x201E;nen, den Reichthum, und Kraft und Su&#x0364;ßigkeit und Fu&#x0364;lle aus der ganzen &#x017F;ichtbaren Natur<lb/>
&#x201E;&#x017F;ammeln: <hi rendition="#fr">Bild Gottes, Jnnbegriff der Scho&#x0364;pfung, Gema&#x0364;chte voll Rege und Be-<lb/>
&#x201E;deutung nach hohem Gottesrath&#x017F;chluß</hi> &#x2014; Es wird <hi rendition="#fr">Jdeal</hi> der Kun&#x017F;t &#x017F;eyn und bleiben! &#x2012; &#x2012; &#x2012;<lb/>
&#x201E;Men&#x017F;chheit! &#x2014; <hi rendition="#fr">Heiliges und entweihetes Bild Gottes! ge&#x017F;chwa&#x0364;chter und zerrißner<lb/>
&#x201E;Jnnbegriff aller Scho&#x0364;pfung!</hi> Tempel, <hi rendition="#fr">in dem</hi> und <hi rendition="#fr">an dem</hi> &#x017F;ich die Gottheit zuer&#x017F;t, und<lb/>
&#x201E;nach Wunderzeichen und Propheten, zuletzt, zu offenbaren wu&#x0364;rdigte &#x2014; durch den <hi rendition="#fr">Sohn!<lb/>
&#x201E;den Abglanz der Herrlichkeit Gottes!</hi> den <hi rendition="#fr">Ein und Er&#x017F;tgebornen! durch den, und in</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">dem</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0029] Wuͤrde der menſchlichen Natur. „Siehe das ſchoͤnſte Vorbild von Einkleidung und Schoͤnheit! — den menſchlichen „Koͤrper! Einheit im Mannichfaltigen! Mannichfaltiges in Einem! — Wie er da „ſteht in ſeinem hohen Eins! — Wohlgeſtalt, Ebenmaße, Symmetrien durch alle Formen „und Glieder! und welch ein Mannichfaltes! Jmmer Eins und immer, wie ſanft wie bieg- „ſam veraͤndert .... „Betrachte dieß goͤttliche Seelenvolle Menſchenantlitz! Mannichfaltigkeit und Ein- „heit! Einheit und Mannichfaltigkeit! Der Gedanke dieſer Stirn, Blick des Auges, Hauch „des Mundes, Miene der Wange! wie alles ſpricht, und zuſammenfließt! Einklang! alle „Farben in Einem Stral der Sonne! .... Gemaͤlde des ſanfteſten unermeßlichſten „Jnnhaltes! „Gott ſchuf den Menſchen, ſein Bild, „Zum Gleichniß Gottes ſchuf er ihn, „Er ſchuf ihn, Mann und Weib. „Da ſteht Er! Jn all ſeinem Goͤttlichen! Gleichniß Gottes und der Natur! Jnn- „begriff aller Rege, Schoͤpferskraft und Wirkung! Studirt ihn; zeichnet ſeine Geſtalt, „wie die Sonn' im Waſſertropfen — all Euere Goͤtter, Helden und Goͤttinnen, weß Alters, „Zeichens, Stellung, Bedeutung ſie ſeyn moͤgen — disjecti membra Poëtae! und das „hoͤchſte aus aller Welt geſammelte Engelsideal, wie's etwa Plato Winkelmann traͤumen, „und Appelles-Raphael mit einem zitternden Zuge ſchaffen kann — Venus Anadyomene „und Apollo wirds nimmer werden: Nur ſchoͤne Schattenbilder, dieſe in Einer Geſtalt oft „tiefgeneigte Schatten am Untergange der Sonne — Laſſet Kuͤnſtler und Dichter, wie Bie- „nen, den Reichthum, und Kraft und Suͤßigkeit und Fuͤlle aus der ganzen ſichtbaren Natur „ſammeln: Bild Gottes, Jnnbegriff der Schoͤpfung, Gemaͤchte voll Rege und Be- „deutung nach hohem Gottesrathſchluß — Es wird Jdeal der Kunſt ſeyn und bleiben! ‒ ‒ ‒ „Menſchheit! — Heiliges und entweihetes Bild Gottes! geſchwaͤchter und zerrißner „Jnnbegriff aller Schoͤpfung! Tempel, in dem und an dem ſich die Gottheit zuerſt, und „nach Wunderzeichen und Propheten, zuletzt, zu offenbaren wuͤrdigte — durch den Sohn! „den Abglanz der Herrlichkeit Gottes! den Ein und Erſtgebornen! durch den, und in dem B 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/29
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/29>, abgerufen am 26.12.2024.