Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.XVII. Fragment. Physiognomische Uebungen I. Zween Köpfe nach Le Brün. Daß beyde die allertiefste devoteste Ehrfurcht ausdrücken, ist jedem auch dem gemeinsten Be- Auf der Stirne der erstaunten, frommen, keuschen Seele -- ruht eine tiefe reine Stille! Sonst ist diese Augenbraune nicht weiblich genug .... Schade, daß das verschloßne Aug so schlecht, so hart gezeichnet ist! .... Die Nase ist sicherlich einer keuschen, edlen, jungfräulichen Seele würdig. Sehr expressif ist der äußerste Umriß der Oberlippe, bis wo er sich im Schatten verliert. Aber die Unterlippe -- dieses so oft und so sehr vernachläßigte, und dennoch so beträcht- K. Die zweyte Tafel ist nach demselben Lebrün-audranischen Originale copiert, und es soll da- Der Unterschied ist leichter überhaupt zu bemerken, als besonders anzugeben, und mit Die Augenbraun scheint mir hier merklich weniger expressif. Sie geht nicht völlig so Der
XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen I. Zween Koͤpfe nach Le Bruͤn. Daß beyde die allertiefſte devoteſte Ehrfurcht ausdruͤcken, iſt jedem auch dem gemeinſten Be- Auf der Stirne der erſtaunten, frommen, keuſchen Seele — ruht eine tiefe reine Stille! Sonſt iſt dieſe Augenbraune nicht weiblich genug .... Schade, daß das verſchloßne Aug ſo ſchlecht, ſo hart gezeichnet iſt! .... Die Naſe iſt ſicherlich einer keuſchen, edlen, jungfraͤulichen Seele wuͤrdig. Sehr expreſſif iſt der aͤußerſte Umriß der Oberlippe, bis wo er ſich im Schatten verliert. Aber die Unterlippe — dieſes ſo oft und ſo ſehr vernachlaͤßigte, und dennoch ſo betraͤcht- K. Die zweyte Tafel iſt nach demſelben Lebruͤn-audraniſchen Originale copiert, und es ſoll da- Der Unterſchied iſt leichter uͤberhaupt zu bemerken, als beſonders anzugeben, und mit Die Augenbraun ſcheint mir hier merklich weniger expreſſif. Sie geht nicht voͤllig ſo Der
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XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen
I.
Zween Koͤpfe nach Le Bruͤn.
Daß beyde die allertiefſte devoteſte Ehrfurcht ausdruͤcken, iſt jedem auch dem gemeinſten Be-
obachter ſichtbar. Veneration druͤckt zu wenig aus. Es iſt auch nicht ganz Anbetung; aber
es iſt ſchamvolles Gefuͤhl der Unwuͤrdigkeit vor einer gegenwaͤrtigen Gottheit, oder der Stimme
ihrer Boten. Verſtummen, das laut ſpricht: „Siehe die Magd des Herrn! Mir geſchehe nach
„ſeinem Willen.“
Auf der Stirne der erſtaunten, frommen, keuſchen Seele — ruht eine tiefe reine Stille!
Die Hoͤhlung in der Mitte der Augbraunen iſt dem Herauswoͤlben des Stolzes entgegengeſetzt,
und zeigt Beſcheidenheit und Scham an, die nah an geheimen edlen Schmerz graͤnzt.
Sonſt iſt dieſe Augenbraune nicht weiblich genug ....
Schade, daß das verſchloßne Aug ſo ſchlecht, ſo hart gezeichnet iſt! ....
Die Naſe iſt ſicherlich einer keuſchen, edlen, jungfraͤulichen Seele wuͤrdig.
Sehr expreſſif iſt der aͤußerſte Umriß der Oberlippe, bis wo er ſich im Schatten verliert.
Aber die Unterlippe — dieſes ſo oft und ſo ſehr vernachlaͤßigte, und dennoch ſo betraͤcht-
liche Stuͤck des menſchlichen Angeſichts, iſt ſo bloß rund, ſo geiſt- und bedeutungslos, und der
Uebergang zum Kinne vollends ſo ſchlecht, daß er gar keine Achtung verdienet.
K.
Die zweyte Tafel iſt nach demſelben Lebruͤn-audraniſchen Originale copiert, und es ſoll da-
zu dienen, durch Aufſuchung der kleinen Verſchiedenheiten das phyſiognomiſche Gefuͤhl zu
ſchaͤrfen.
Der Unterſchied iſt leichter uͤberhaupt zu bemerken, als beſonders anzugeben, und mit
Worten genau zu beſtimmen.
Die Augenbraun ſcheint mir hier merklich weniger expreſſif. Sie geht nicht voͤllig ſo
weit gegen den aͤußerſten Umriß der Stirne vor. Die dadurch bewirkte geringe Erweiterung des
Feldes zwiſchen den Augenbraunen, giebt der Stirn etwas mehr Groͤße.
Der
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