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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

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Von einigen Physiognomisten.
"frappe a la vaue d'un portrait, qui y etoit avec plusieurs autres, qu'il oublia de nous
"suivre; il s'arreta a considerer ce tableau. Environ un quart d'heure apres, ne
"voyant pas venir Mr. Kubisse, nous fumes a lui, & le trouvames les yeux encore fixes
"sur le portrait. Que penses-vous de ce portrait, lui dit Mr. de Langes? n'est-ce pas ce-
"lui d'une belle femme? Oui, repondit Mr. Kubisse. Mais si ce Portrait est bien ressem-
"blant, la personne, qu'il represente, a l'ame la plus noire: ce doit etre une mechante
"diablesse. C'etoit le portrait de la Brinvilliers, celebre empoisonneuse, presqu'aussi
"connu par sa beaute, que par-ses forfaits, qui l'ont conduite sur le bucher."



Von dem verstorbenen Herrn Doctor Kämpf hat mir sein würdiger Sohn, Herr Hofrath
und Medicus Kämpf, der die Schrift von den Temperamenten herausgegeben, die glaubwürdig-
sten und erstaunlichsten Dinge erzählt. Und wo ich nicht irre, sind noch lebende Zeugen seiner bey-
nahe unglaublichen Geschicklichkeit in dergleichen Beurtheilungen vorhanden. Unter diesen soll ein
großer Monarch seyn, der aber selbst, wie man mich zuverläßig versichert, einer der größten Phy-
siognomisten seyn soll, ob gleich ich vermuthe, daß er über diese Versuche, wenn sie ihm je zu Ge-
sichte kommen sollten -- herzlich lächeln würde.



Von einem gewissen Herrn Fielding in England, (wofern ich mich in dem Namen nicht
irre) ward mir von einem glaubwürdigen Reisenden erzählt, daß er, ungeachtet seiner völligen
Blindheit, die Schuldigen und Unschuldigen, blos an dem Ton und Character ihrer Stimme sehr
oft so sicher unterschieden, daß die nachherigen Bestätigungen der Schuldigen dieses sein seines Ge-
fühl dergestalt rechtfertigten, daß er für ein Orakel angesehen ward.



Wie weit es ein Guarrik in der Physiognomik gebracht habe, ist weltbekannt; so weit,
daß er den Character beynahe von jeder Physiognomie durch seine eigne ausdrücken kann! So ein
Gesicht, wie seines, muß es aber auch seyn, um so fein, und so tief zu sehen! Jch vermuthe, das
Bild von ihm in der nachgesetzten Vignette sey äußerst vergröbert, und dennoch, wer kann unbeob-
achtend genug seyn, um nicht noch in diesem unvollkommenen Nachrisse, diesem scharfen Blicke, die-
ser Falte am Vorbug, dieser so kurzen, so schiefen, so umrissenen Stirne, dieser weder stumpfen
noch spitzigen, weder aufgedumpften, noch niederwärts hängenden Nase, diesem horizontalen Nas-
loche diesen von Geist und Empfindungskraft beynahe zitternden Lippen, diesem -- Kinn und dieser

Kinn-
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Von einigen Phyſiognomiſten.
„frappé à la vûe d'un portrait, qui y etoit avec pluſieurs autres, qu'il oublia de nous
„ſuivre; il s'arréta à conſiderer ce tableau. Environ un quart d'heure après, ne
„voyant pas venir Mr. Kubiſſe, nous fumes à lui, & le trouvames les yeux encore fixés
„ſur le portrait. Que penſés-vous de ce portrait, lui dit Mr. de Langes? n'eſt-ce pas ce-
„lui d'une belle femme? Oui, répondit Mr. Kubiſſe. Mais ſi ce Portrait eſt bien reſſem-
„blant, la perſonne, qu'il répréſente, a l'ame la plus noire: ce doit être une mechante
„diableſſe. C'étoit le portrait de la Brinvilliers, cèlebre empoiſonneuſe, prèsqu'auſſi
„connu par ſa beauté, que par-ſes forfaits, qui l'ont conduite ſur le bucher.“



Von dem verſtorbenen Herrn Doctor Kaͤmpf hat mir ſein wuͤrdiger Sohn, Herr Hofrath
und Medicus Kaͤmpf, der die Schrift von den Temperamenten herausgegeben, die glaubwuͤrdig-
ſten und erſtaunlichſten Dinge erzaͤhlt. Und wo ich nicht irre, ſind noch lebende Zeugen ſeiner bey-
nahe unglaublichen Geſchicklichkeit in dergleichen Beurtheilungen vorhanden. Unter dieſen ſoll ein
großer Monarch ſeyn, der aber ſelbſt, wie man mich zuverlaͤßig verſichert, einer der groͤßten Phy-
ſiognomiſten ſeyn ſoll, ob gleich ich vermuthe, daß er uͤber dieſe Verſuche, wenn ſie ihm je zu Ge-
ſichte kommen ſollten — herzlich laͤcheln wuͤrde.



Von einem gewiſſen Herrn Fielding in England, (wofern ich mich in dem Namen nicht
irre) ward mir von einem glaubwuͤrdigen Reiſenden erzaͤhlt, daß er, ungeachtet ſeiner voͤlligen
Blindheit, die Schuldigen und Unſchuldigen, blos an dem Ton und Character ihrer Stimme ſehr
oft ſo ſicher unterſchieden, daß die nachherigen Beſtaͤtigungen der Schuldigen dieſes ſein ſeines Ge-
fuͤhl dergeſtalt rechtfertigten, daß er fuͤr ein Orakel angeſehen ward.



Wie weit es ein Guarrik in der Phyſiognomik gebracht habe, iſt weltbekannt; ſo weit,
daß er den Character beynahe von jeder Phyſiognomie durch ſeine eigne ausdruͤcken kann! So ein
Geſicht, wie ſeines, muß es aber auch ſeyn, um ſo fein, und ſo tief zu ſehen! Jch vermuthe, das
Bild von ihm in der nachgeſetzten Vignette ſey aͤußerſt vergroͤbert, und dennoch, wer kann unbeob-
achtend genug ſeyn, um nicht noch in dieſem unvollkommenen Nachriſſe, dieſem ſcharfen Blicke, die-
ſer Falte am Vorbug, dieſer ſo kurzen, ſo ſchiefen, ſo umriſſenen Stirne, dieſer weder ſtumpfen
noch ſpitzigen, weder aufgedumpften, noch niederwaͤrts haͤngenden Naſe, dieſem horizontalen Nas-
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[181/0249] Von einigen Phyſiognomiſten. „frappé à la vûe d'un portrait, qui y etoit avec pluſieurs autres, qu'il oublia de nous „ſuivre; il s'arréta à conſiderer ce tableau. Environ un quart d'heure après, ne „voyant pas venir Mr. Kubiſſe, nous fumes à lui, & le trouvames les yeux encore fixés „ſur le portrait. Que penſés-vous de ce portrait, lui dit Mr. de Langes? n'eſt-ce pas ce- „lui d'une belle femme? Oui, répondit Mr. Kubiſſe. Mais ſi ce Portrait eſt bien reſſem- „blant, la perſonne, qu'il répréſente, a l'ame la plus noire: ce doit être une mechante „diableſſe. C'étoit le portrait de la Brinvilliers, cèlebre empoiſonneuſe, prèsqu'auſſi „connu par ſa beauté, que par-ſes forfaits, qui l'ont conduite ſur le bucher.“ Von dem verſtorbenen Herrn Doctor Kaͤmpf hat mir ſein wuͤrdiger Sohn, Herr Hofrath und Medicus Kaͤmpf, der die Schrift von den Temperamenten herausgegeben, die glaubwuͤrdig- ſten und erſtaunlichſten Dinge erzaͤhlt. Und wo ich nicht irre, ſind noch lebende Zeugen ſeiner bey- nahe unglaublichen Geſchicklichkeit in dergleichen Beurtheilungen vorhanden. Unter dieſen ſoll ein großer Monarch ſeyn, der aber ſelbſt, wie man mich zuverlaͤßig verſichert, einer der groͤßten Phy- ſiognomiſten ſeyn ſoll, ob gleich ich vermuthe, daß er uͤber dieſe Verſuche, wenn ſie ihm je zu Ge- ſichte kommen ſollten — herzlich laͤcheln wuͤrde. Von einem gewiſſen Herrn Fielding in England, (wofern ich mich in dem Namen nicht irre) ward mir von einem glaubwuͤrdigen Reiſenden erzaͤhlt, daß er, ungeachtet ſeiner voͤlligen Blindheit, die Schuldigen und Unſchuldigen, blos an dem Ton und Character ihrer Stimme ſehr oft ſo ſicher unterſchieden, daß die nachherigen Beſtaͤtigungen der Schuldigen dieſes ſein ſeines Ge- fuͤhl dergeſtalt rechtfertigten, daß er fuͤr ein Orakel angeſehen ward. Wie weit es ein Guarrik in der Phyſiognomik gebracht habe, iſt weltbekannt; ſo weit, daß er den Character beynahe von jeder Phyſiognomie durch ſeine eigne ausdruͤcken kann! So ein Geſicht, wie ſeines, muß es aber auch ſeyn, um ſo fein, und ſo tief zu ſehen! Jch vermuthe, das Bild von ihm in der nachgeſetzten Vignette ſey aͤußerſt vergroͤbert, und dennoch, wer kann unbeob- achtend genug ſeyn, um nicht noch in dieſem unvollkommenen Nachriſſe, dieſem ſcharfen Blicke, die- ſer Falte am Vorbug, dieſer ſo kurzen, ſo ſchiefen, ſo umriſſenen Stirne, dieſer weder ſtumpfen noch ſpitzigen, weder aufgedumpften, noch niederwaͤrts haͤngenden Naſe, dieſem horizontalen Nas- loche dieſen von Geiſt und Empfindungskraft beynahe zitternden Lippen, dieſem — Kinn und dieſer Kinn- A a 3

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/249>, abgerufen am 23.11.2024.