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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

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der moralischen und körperlichen Schönheit.
ses Stück, und besonders die drey Hauptfiguren empfunden. Der vörderste gekrümmtstehende ist
der Urheber und Ausführer der ganzen That. Nicht widrig sind an ihm Mund und Auge, aber
dieses Verhältniß von Stirn und Nase, das tückische Beugen, das durch die überstrebenden Fal-
ten noch vermehrt wird, bezeichnen ihn hinlänglich. Er winkt dem gegen ihm über Sitzenden die
Hoffnung der wohl zu vollendenden That zu, der ihm mit innigfreudigem Blicke antwortet. Stirn
und Nase dieses Sitzenden sind edel, aber in dem Auge liegt Tücke und Kleinmuth, aus der Wan-
ge lächelt niedrige Gefälligkeit, und eine kindische Hoffnung schwebt auf der Unterlippe. Judas
bemerkt nicht, daß diese beyde sich über ihn beschäfftigen. Der Ausdruck der niedrigsten Haab-
sucht ist seinem Gesichte eingeprägt. Vergangene Niederträchtigkeit und zukünftige macht ihm
bange, und der Anblick des Geldes ist ihm nur ein Moment ängstlicher Erholung. Der mit der
großen Mütze scheint mir allein unbedeutend. Der letzte steht in der schändlichsten Selbstgenug-
samkeit da, und scheint sich über die Bettelgestalt des Judas innerlich aufzuhalten. Jn dem Auge
welche Kleinheit der Seele, die eingedrückte Stirn halb Wahnsinn, die oben vorspringende Nase
stumpfe Thierheit, und dann der Spott, die trutzige Schwäche, das Wohlbehagen, von dem
Naßläppchen bis zum Hals herab. Es ist eine der scheußlichsten und bedeutendsten Carrikaturen.

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Siebzehnte

der moraliſchen und koͤrperlichen Schoͤnheit.
ſes Stuͤck, und beſonders die drey Hauptfiguren empfunden. Der voͤrderſte gekruͤmmtſtehende iſt
der Urheber und Ausfuͤhrer der ganzen That. Nicht widrig ſind an ihm Mund und Auge, aber
dieſes Verhaͤltniß von Stirn und Naſe, das tuͤckiſche Beugen, das durch die uͤberſtrebenden Fal-
ten noch vermehrt wird, bezeichnen ihn hinlaͤnglich. Er winkt dem gegen ihm uͤber Sitzenden die
Hoffnung der wohl zu vollendenden That zu, der ihm mit innigfreudigem Blicke antwortet. Stirn
und Naſe dieſes Sitzenden ſind edel, aber in dem Auge liegt Tuͤcke und Kleinmuth, aus der Wan-
ge laͤchelt niedrige Gefaͤlligkeit, und eine kindiſche Hoffnung ſchwebt auf der Unterlippe. Judas
bemerkt nicht, daß dieſe beyde ſich uͤber ihn beſchaͤfftigen. Der Ausdruck der niedrigſten Haab-
ſucht iſt ſeinem Geſichte eingepraͤgt. Vergangene Niedertraͤchtigkeit und zukuͤnftige macht ihm
bange, und der Anblick des Geldes iſt ihm nur ein Moment aͤngſtlicher Erholung. Der mit der
großen Muͤtze ſcheint mir allein unbedeutend. Der letzte ſteht in der ſchaͤndlichſten Selbſtgenug-
ſamkeit da, und ſcheint ſich uͤber die Bettelgeſtalt des Judas innerlich aufzuhalten. Jn dem Auge
welche Kleinheit der Seele, die eingedruͤckte Stirn halb Wahnſinn, die oben vorſpringende Naſe
ſtumpfe Thierheit, und dann der Spott, die trutzige Schwaͤche, das Wohlbehagen, von dem
Naßlaͤppchen bis zum Hals herab. Es iſt eine der ſcheußlichſten und bedeutendſten Carrikaturen.

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Siebzehnte
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[119/0177] der moraliſchen und koͤrperlichen Schoͤnheit. ſes Stuͤck, und beſonders die drey Hauptfiguren empfunden. Der voͤrderſte gekruͤmmtſtehende iſt der Urheber und Ausfuͤhrer der ganzen That. Nicht widrig ſind an ihm Mund und Auge, aber dieſes Verhaͤltniß von Stirn und Naſe, das tuͤckiſche Beugen, das durch die uͤberſtrebenden Fal- ten noch vermehrt wird, bezeichnen ihn hinlaͤnglich. Er winkt dem gegen ihm uͤber Sitzenden die Hoffnung der wohl zu vollendenden That zu, der ihm mit innigfreudigem Blicke antwortet. Stirn und Naſe dieſes Sitzenden ſind edel, aber in dem Auge liegt Tuͤcke und Kleinmuth, aus der Wan- ge laͤchelt niedrige Gefaͤlligkeit, und eine kindiſche Hoffnung ſchwebt auf der Unterlippe. Judas bemerkt nicht, daß dieſe beyde ſich uͤber ihn beſchaͤfftigen. Der Ausdruck der niedrigſten Haab- ſucht iſt ſeinem Geſichte eingepraͤgt. Vergangene Niedertraͤchtigkeit und zukuͤnftige macht ihm bange, und der Anblick des Geldes iſt ihm nur ein Moment aͤngſtlicher Erholung. Der mit der großen Muͤtze ſcheint mir allein unbedeutend. Der letzte ſteht in der ſchaͤndlichſten Selbſtgenug- ſamkeit da, und ſcheint ſich uͤber die Bettelgeſtalt des Judas innerlich aufzuhalten. Jn dem Auge welche Kleinheit der Seele, die eingedruͤckte Stirn halb Wahnſinn, die oben vorſpringende Naſe ſtumpfe Thierheit, und dann der Spott, die trutzige Schwaͤche, das Wohlbehagen, von dem Naßlaͤppchen bis zum Hals herab. Es iſt eine der ſcheußlichſten und bedeutendſten Carrikaturen. [Abbildung] Siebzehnte

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/177>, abgerufen am 22.11.2024.