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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

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Vorrede.
kostbarer als andere Werke mit Kupfern, weil sehr viele Zeichnungen und Ku-
pferplatten fehlgeschlagen sind -- übrigens, können's verschiedene zusammenkaufen
und gemeinschaftlich besitzen. --

Jch sparte nichts, das Werk nach dem Geschmacke der Leser, für die
ich es bestimmt hatte, einzurichten. Wenn ich zu einem Fürsten gehe, so zieh
ich mein bestes Kleid an. Wenn Pracht nicht Zweck, sondern nur Mittel zu
einem weit wichtigern Zweck ist, sollte sie dann unerlaubt seyn?

Dieß wirst du verstehen, hast du dieß Werk mit Nachdenken gelesen --
und am Ende, wenn dich die Auslage gereut; wenn wegen des Ankaufs des-
selben dir dein Gewissen Vorwürfe der Verschwendung macht; wenn's der Ar-
me, Nothleidende entgelten muß; wenn dieß Werk nichts dazu beyträgt, dich
für die Zukunft, zum Besten dürftiger Nebenmenschen sparsamer zu machen;
o so hab ich Unrecht gethan, ein so kostbares Werk heraus zu geben, welches je-
doch so manchem Künstler in und außer meinem Vaterlande hübschen Verdienst
und Anlaß, sich in seinem Studium zu vervollkommnen, darbot.

Also, Leser! nimm diese Fragmente, die mehr als alle Fragmente in
der Welt diesen Namen verdienen -- nimm sie und lies sie, nicht flüchtig! lies
sie mit stillem, prüfendem Nachdenken. Lies sie im Geiste an meiner Seite --
Laß dir seyn, ich unterhalte dich persönlich mit meinen Beobachtungen, theile
dir meine Empfindungen einfältig mit -- Kalte Beobachtungen, wenn ich kalt
beobachte, warme Empfindungen, wenn ich warm empfinde, ohne allemal erst
meine Beobachtung, Empfindung, oder meinen Ausdruck, irgend einem gefühllo-
sen Journalisten in die Censur zu senden -- Lies, Bruder, als ein Bruder -- lies
und beurtheile mich so, wie du's thun würdest, wenn wir dieselben neben ein-
ander läsen -- Lies sie, willst du sie für dich richtig beurtheilen, wo immer dei-
ne Geschäffte es erlauben, zweymal; und willst du sie öffentlich widerlegen, we-
nigstens -- Einmal.

Lies,
a 3

Vorrede.
koſtbarer als andere Werke mit Kupfern, weil ſehr viele Zeichnungen und Ku-
pferplatten fehlgeſchlagen ſind — uͤbrigens, koͤnnen's verſchiedene zuſammenkaufen
und gemeinſchaftlich beſitzen. —

Jch ſparte nichts, das Werk nach dem Geſchmacke der Leſer, fuͤr die
ich es beſtimmt hatte, einzurichten. Wenn ich zu einem Fuͤrſten gehe, ſo zieh
ich mein beſtes Kleid an. Wenn Pracht nicht Zweck, ſondern nur Mittel zu
einem weit wichtigern Zweck iſt, ſollte ſie dann unerlaubt ſeyn?

Dieß wirſt du verſtehen, haſt du dieß Werk mit Nachdenken geleſen —
und am Ende, wenn dich die Auslage gereut; wenn wegen des Ankaufs deſ-
ſelben dir dein Gewiſſen Vorwuͤrfe der Verſchwendung macht; wenn's der Ar-
me, Nothleidende entgelten muß; wenn dieß Werk nichts dazu beytraͤgt, dich
fuͤr die Zukunft, zum Beſten duͤrftiger Nebenmenſchen ſparſamer zu machen;
o ſo hab ich Unrecht gethan, ein ſo koſtbares Werk heraus zu geben, welches je-
doch ſo manchem Kuͤnſtler in und außer meinem Vaterlande huͤbſchen Verdienſt
und Anlaß, ſich in ſeinem Studium zu vervollkommnen, darbot.

Alſo, Leſer! nimm dieſe Fragmente, die mehr als alle Fragmente in
der Welt dieſen Namen verdienen — nimm ſie und lies ſie, nicht fluͤchtig! lies
ſie mit ſtillem, pruͤfendem Nachdenken. Lies ſie im Geiſte an meiner Seite —
Laß dir ſeyn, ich unterhalte dich perſoͤnlich mit meinen Beobachtungen, theile
dir meine Empfindungen einfaͤltig mit — Kalte Beobachtungen, wenn ich kalt
beobachte, warme Empfindungen, wenn ich warm empfinde, ohne allemal erſt
meine Beobachtung, Empfindung, oder meinen Ausdruck, irgend einem gefuͤhllo-
ſen Journaliſten in die Cenſur zu ſenden — Lies, Bruder, als ein Bruder — lies
und beurtheile mich ſo, wie du's thun wuͤrdeſt, wenn wir dieſelben neben ein-
ander laͤſen — Lies ſie, willſt du ſie fuͤr dich richtig beurtheilen, wo immer dei-
ne Geſchaͤffte es erlauben, zweymal; und willſt du ſie oͤffentlich widerlegen, we-
nigſtens — Einmal.

Lies,
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[0017] Vorrede. koſtbarer als andere Werke mit Kupfern, weil ſehr viele Zeichnungen und Ku- pferplatten fehlgeſchlagen ſind — uͤbrigens, koͤnnen's verſchiedene zuſammenkaufen und gemeinſchaftlich beſitzen. — Jch ſparte nichts, das Werk nach dem Geſchmacke der Leſer, fuͤr die ich es beſtimmt hatte, einzurichten. Wenn ich zu einem Fuͤrſten gehe, ſo zieh ich mein beſtes Kleid an. Wenn Pracht nicht Zweck, ſondern nur Mittel zu einem weit wichtigern Zweck iſt, ſollte ſie dann unerlaubt ſeyn? Dieß wirſt du verſtehen, haſt du dieß Werk mit Nachdenken geleſen — und am Ende, wenn dich die Auslage gereut; wenn wegen des Ankaufs deſ- ſelben dir dein Gewiſſen Vorwuͤrfe der Verſchwendung macht; wenn's der Ar- me, Nothleidende entgelten muß; wenn dieß Werk nichts dazu beytraͤgt, dich fuͤr die Zukunft, zum Beſten duͤrftiger Nebenmenſchen ſparſamer zu machen; o ſo hab ich Unrecht gethan, ein ſo koſtbares Werk heraus zu geben, welches je- doch ſo manchem Kuͤnſtler in und außer meinem Vaterlande huͤbſchen Verdienſt und Anlaß, ſich in ſeinem Studium zu vervollkommnen, darbot. Alſo, Leſer! nimm dieſe Fragmente, die mehr als alle Fragmente in der Welt dieſen Namen verdienen — nimm ſie und lies ſie, nicht fluͤchtig! lies ſie mit ſtillem, pruͤfendem Nachdenken. Lies ſie im Geiſte an meiner Seite — Laß dir ſeyn, ich unterhalte dich perſoͤnlich mit meinen Beobachtungen, theile dir meine Empfindungen einfaͤltig mit — Kalte Beobachtungen, wenn ich kalt beobachte, warme Empfindungen, wenn ich warm empfinde, ohne allemal erſt meine Beobachtung, Empfindung, oder meinen Ausdruck, irgend einem gefuͤhllo- ſen Journaliſten in die Cenſur zu ſenden — Lies, Bruder, als ein Bruder — lies und beurtheile mich ſo, wie du's thun wuͤrdeſt, wenn wir dieſelben neben ein- ander laͤſen — Lies ſie, willſt du ſie fuͤr dich richtig beurtheilen, wo immer dei- ne Geſchaͤffte es erlauben, zweymal; und willſt du ſie oͤffentlich widerlegen, we- nigſtens — Einmal. Lies, a 3

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/17>, abgerufen am 21.11.2024.