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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

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IX. Fragment. 9. Zugabe. Von der Harmonie
Neunte Zugabe.
Drey idealische Köpfe. Umrisse.

X. Tafel.

Keiner apostolisch erhaben, und doch in allen was Edles und Schönes! Jmmer Erholung für
das ermüdete Auge des Lesers, und für sein beklommenes Herz beym Anblicke der unmenschlichen
Menschengestalten, die wir so eben betrachtet! Horchende Güte, die herabschaut etwa nach einem
Kinde, das ehrfurchtsvoll an den heiligen Mann heraufstaunt, erblick ich im ganzen Profile zur
Linken! Das Haar von Drat abgerechnet, welches zarten menschlichen Seelen niemals weder mit
dem Pinsel noch mit dem Grabstichel angedichtet werden sollte -- spricht der Bau des Hauptes,
die Stellung und der Mund -- Bonhomie und Menschenfreundlichkeit. Das Naßloch taugt
nichts! Das Aug' ist vornen zu weit geschlossen, und zu unbestimmt gezeichnet.

Das zweyte Gesicht zur Rechten, ebenfalls ganz Profil, ist andächtige Sehnsucht! weni-
ger dumme Bigotterie, als wirklich redliche Frömmigkeit! Wie verschieden vom Pharisäerblicke!
Nicht die erhabenste Andacht -- aber dennoch unnachahmbar dem Heuchler!

Das dritte Vollgesicht leuchtet mir durch seine Offenheit, seine Paralelisme, die Perpen-
dikularität der zwar nicht schönen Nase -- und durch diese Art von hoher Stirn ein -- (wir wer-
den an andern Arten sehen, welche hohe Stirnen und welche kurze vortrefflich sind) Schade, daß
der Mund vom Barte mehr als halb bedeckt uns nur seinen Paralelisme mit den Augen sehen läßt.
Mich dünkt auch, daß diese Falten der Wange nicht ganz vortheilhaft sind. --

[Abbildung]
Zehnte
IX. Fragment. 9. Zugabe. Von der Harmonie
Neunte Zugabe.
Drey idealiſche Koͤpfe. Umriſſe.

X. Tafel.

Keiner apoſtoliſch erhaben, und doch in allen was Edles und Schoͤnes! Jmmer Erholung fuͤr
das ermuͤdete Auge des Leſers, und fuͤr ſein beklommenes Herz beym Anblicke der unmenſchlichen
Menſchengeſtalten, die wir ſo eben betrachtet! Horchende Guͤte, die herabſchaut etwa nach einem
Kinde, das ehrfurchtsvoll an den heiligen Mann heraufſtaunt, erblick ich im ganzen Profile zur
Linken! Das Haar von Drat abgerechnet, welches zarten menſchlichen Seelen niemals weder mit
dem Pinſel noch mit dem Grabſtichel angedichtet werden ſollte — ſpricht der Bau des Hauptes,
die Stellung und der Mund — Bonhomie und Menſchenfreundlichkeit. Das Naßloch taugt
nichts! Das Aug' iſt vornen zu weit geſchloſſen, und zu unbeſtimmt gezeichnet.

Das zweyte Geſicht zur Rechten, ebenfalls ganz Profil, iſt andaͤchtige Sehnſucht! weni-
ger dumme Bigotterie, als wirklich redliche Froͤmmigkeit! Wie verſchieden vom Phariſaͤerblicke!
Nicht die erhabenſte Andacht — aber dennoch unnachahmbar dem Heuchler!

Das dritte Vollgeſicht leuchtet mir durch ſeine Offenheit, ſeine Paralelisme, die Perpen-
dikularitaͤt der zwar nicht ſchoͤnen Naſe — und durch dieſe Art von hoher Stirn ein — (wir wer-
den an andern Arten ſehen, welche hohe Stirnen und welche kurze vortrefflich ſind) Schade, daß
der Mund vom Barte mehr als halb bedeckt uns nur ſeinen Paralelisme mit den Augen ſehen laͤßt.
Mich duͤnkt auch, daß dieſe Falten der Wange nicht ganz vortheilhaft ſind. —

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Zehnte
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[102/0144] IX. Fragment. 9. Zugabe. Von der Harmonie Neunte Zugabe. Drey idealiſche Koͤpfe. Umriſſe. X. Tafel. Keiner apoſtoliſch erhaben, und doch in allen was Edles und Schoͤnes! Jmmer Erholung fuͤr das ermuͤdete Auge des Leſers, und fuͤr ſein beklommenes Herz beym Anblicke der unmenſchlichen Menſchengeſtalten, die wir ſo eben betrachtet! Horchende Guͤte, die herabſchaut etwa nach einem Kinde, das ehrfurchtsvoll an den heiligen Mann heraufſtaunt, erblick ich im ganzen Profile zur Linken! Das Haar von Drat abgerechnet, welches zarten menſchlichen Seelen niemals weder mit dem Pinſel noch mit dem Grabſtichel angedichtet werden ſollte — ſpricht der Bau des Hauptes, die Stellung und der Mund — Bonhomie und Menſchenfreundlichkeit. Das Naßloch taugt nichts! Das Aug' iſt vornen zu weit geſchloſſen, und zu unbeſtimmt gezeichnet. Das zweyte Geſicht zur Rechten, ebenfalls ganz Profil, iſt andaͤchtige Sehnſucht! weni- ger dumme Bigotterie, als wirklich redliche Froͤmmigkeit! Wie verſchieden vom Phariſaͤerblicke! Nicht die erhabenſte Andacht — aber dennoch unnachahmbar dem Heuchler! Das dritte Vollgeſicht leuchtet mir durch ſeine Offenheit, ſeine Paralelisme, die Perpen- dikularitaͤt der zwar nicht ſchoͤnen Naſe — und durch dieſe Art von hoher Stirn ein — (wir wer- den an andern Arten ſehen, welche hohe Stirnen und welche kurze vortrefflich ſind) Schade, daß der Mund vom Barte mehr als halb bedeckt uns nur ſeinen Paralelisme mit den Augen ſehen laͤßt. Mich duͤnkt auch, daß dieſe Falten der Wange nicht ganz vortheilhaft ſind. — [Abbildung] Zehnte

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/144>, abgerufen am 24.11.2024.