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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Markus XII.
legte zwey Scherflein ein, die machen einen Hel-
ler. Und Er rief seine Jünger zu sich, und
sprach zu ihnen: Wahrlich Ich sage euch: Die-
se arme Wittwe hat mehr in den Gotteskasten
gelegt, denn alle, die eingelegt haben. Denn sie
haben alle von ihrem Uebrigen eingeleget; Diese
aber hat von ihrem Armuth alles, was sie hat,
ihre ganze Nahrung eingelegt.

Welch ein weiser wahrer Schätzer menschlicher Tu-
genden war unser Herr? Wie sahe Er aufs Herz, die
Absicht und Kern! Wie ließ er sich keine noch so glän-
zende, schöne Schaale täuschen! Wie brachte Er sogar
den Nutzen einer sittlichen Handlung, so sehr dieser
Ihm übrigens am Herzen lag, nicht einmahl in die
Rechnung, wann es Ihm bloß um die Schätzung, um
den sittlichen Werth der Handlung zu thun war. Die
Gaben der Reichen haben mehr Nutzen, als das Scherf-
lein der Wittwe. Aber das Schärflein der Wittwe,
das beynahe gar keinen Werth in Absicht auf seine Wir-
kung hatte, war Ihm mehr werth, als die viel nütz-
licheren Gaben der Reichen. Will Christus damit den
Werth reicher Allmosen, reicher, gottseeliger Steuren
erniedrigen? Durchaus nicht, sondern Er will die deh-
müthige und edle Armuth erhöhen; Will seine Jün-
ger, und, wenn wir seine Jünger seyn wollen, auch
uns auf den innerlichen, sittlichen Werth, auf die Seele
der Handlung mehr als auf ihren äusserlichen Schein,
mehr, als auf ihre gute nützliche Folgen aufmerksam

machen.

Markus XII.
legte zwey Scherflein ein, die machen einen Hel-
ler. Und Er rief ſeine Jünger zu ſich, und
ſprach zu ihnen: Wahrlich Ich ſage euch: Die-
ſe arme Wittwe hat mehr in den Gotteskaſten
gelegt, denn alle, die eingelegt haben. Denn ſie
haben alle von ihrem Uebrigen eingeleget; Dieſe
aber hat von ihrem Armuth alles, was ſie hat,
ihre ganze Nahrung eingelegt.

Welch ein weiſer wahrer Schätzer menſchlicher Tu-
genden war unſer Herr? Wie ſahe Er aufs Herz, die
Abſicht und Kern! Wie ließ er ſich keine noch ſo glän-
zende, ſchöne Schaale täuſchen! Wie brachte Er ſogar
den Nutzen einer ſittlichen Handlung, ſo ſehr dieſer
Ihm übrigens am Herzen lag, nicht einmahl in die
Rechnung, wann es Ihm bloß um die Schätzung, um
den ſittlichen Werth der Handlung zu thun war. Die
Gaben der Reichen haben mehr Nutzen, als das Scherf-
lein der Wittwe. Aber das Schärflein der Wittwe,
das beynahe gar keinen Werth in Abſicht auf ſeine Wir-
kung hatte, war Ihm mehr werth, als die viel nütz-
licheren Gaben der Reichen. Will Chriſtus damit den
Werth reicher Allmoſen, reicher, gottſeeliger Steuren
erniedrigen? Durchaus nicht, ſondern Er will die deh-
müthige und edle Armuth erhöhen; Will ſeine Jün-
ger, und, wenn wir ſeine Jünger ſeyn wollen, auch
uns auf den innerlichen, ſittlichen Werth, auf die Seele
der Handlung mehr als auf ihren äuſſerlichen Schein,
mehr, als auf ihre gute nützliche Folgen aufmerkſam

machen.
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[580[600]/0608] Markus XII. legte zwey Scherflein ein, die machen einen Hel- ler. Und Er rief ſeine Jünger zu ſich, und ſprach zu ihnen: Wahrlich Ich ſage euch: Die- ſe arme Wittwe hat mehr in den Gotteskaſten gelegt, denn alle, die eingelegt haben. Denn ſie haben alle von ihrem Uebrigen eingeleget; Dieſe aber hat von ihrem Armuth alles, was ſie hat, ihre ganze Nahrung eingelegt. Welch ein weiſer wahrer Schätzer menſchlicher Tu- genden war unſer Herr? Wie ſahe Er aufs Herz, die Abſicht und Kern! Wie ließ er ſich keine noch ſo glän- zende, ſchöne Schaale täuſchen! Wie brachte Er ſogar den Nutzen einer ſittlichen Handlung, ſo ſehr dieſer Ihm übrigens am Herzen lag, nicht einmahl in die Rechnung, wann es Ihm bloß um die Schätzung, um den ſittlichen Werth der Handlung zu thun war. Die Gaben der Reichen haben mehr Nutzen, als das Scherf- lein der Wittwe. Aber das Schärflein der Wittwe, das beynahe gar keinen Werth in Abſicht auf ſeine Wir- kung hatte, war Ihm mehr werth, als die viel nütz- licheren Gaben der Reichen. Will Chriſtus damit den Werth reicher Allmoſen, reicher, gottſeeliger Steuren erniedrigen? Durchaus nicht, ſondern Er will die deh- müthige und edle Armuth erhöhen; Will ſeine Jün- ger, und, wenn wir ſeine Jünger ſeyn wollen, auch uns auf den innerlichen, ſittlichen Werth, auf die Seele der Handlung mehr als auf ihren äuſſerlichen Schein, mehr, als auf ihre gute nützliche Folgen aufmerkſam machen.

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 580[600]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/608>, abgerufen am 23.11.2024.