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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Aug des Leibes Licht.
Sachen nicht doppelt, nicht grösser, nicht kleiner sieht --
Ein solch einfältiges, gesundes, argloses Aug ist des
Leibes Licht -- Es leuchtet allen Gliedern und Ver-
richtungen des Leibes vor -- Es ist eben so viel, als ob der
ganze Leib Licht, als ob alle Glieder Augen wären. Das
gesunde Auge siehet statt aller Glieder des Leibes. Ist
aber das Aug bös, ein Schalk,
krank, schief, kurz-
sichtig, doppeltsichtig, oder gar dunkel und lichtlos --
so muß nothwendig der ganze übrige Leib ohne Licht, oh-
ne Führer seyn -- Was das Auge ohne Licht ist, das ist
der ganze Leib ohne das Aug. Wie Lichtlos muß der gan-
ze Leib seyn! Wie unkundig der sichtbaren Dinge, die ihn
umgeben, wenn das Auge sein Führer, und sein Licht
blind, krank, dunkel und Lichtlos ist. So schau also
darauf!
Laß dir's recht angelegen seyn, daß nicht das
Licht in dir Finsterniß sey.
Trage Sorge zu dei-
nem Auge. Laß das, was dich führen soll, nicht erblin-
den und erkranken. Schau recht, so wirst du recht
urtheilen.
Wie dein Anschauen und Betrachten der
Dinge; So dein Urtheil, dein Betragen. Wer den Un-
terschied der Dinge mit gesundem, freyem, einfältigem,
truglosem Blicke bemerkt, der wird nicht leicht sich irre
führen lassen. Sein gesundes Auge wird ihm, wie eine
vorleuchtende Fackel -- ja wie das Sonnenlicht selbst seyn.
Alles übrige wird sich diesem Lichte, der hellen richtigen
Erkenntniß nach bequemen. -- Vom gesunden Auge,
vom rechten Sehen der Dinge hängt alles ab. -- Jede
Tohrheit, jegliche Sünde ist ein Nichtrechtsehen der
Dinge. Wer die Dinge ausser sich für das hält, was sie

sind

Aug des Leibes Licht.
Sachen nicht doppelt, nicht gröſſer, nicht kleiner ſieht —
Ein ſolch einfältiges, geſundes, argloſes Aug iſt des
Leibes Licht — Es leuchtet allen Gliedern und Ver-
richtungen des Leibes vor — Es iſt eben ſo viel, als ob der
ganze Leib Licht, als ob alle Glieder Augen wären. Das
geſunde Auge ſiehet ſtatt aller Glieder des Leibes. Iſt
aber das Aug bös, ein Schalk,
krank, ſchief, kurz-
ſichtig, doppeltſichtig, oder gar dunkel und lichtlos —
ſo muß nothwendig der ganze übrige Leib ohne Licht, oh-
ne Führer ſeyn — Was das Auge ohne Licht iſt, das iſt
der ganze Leib ohne das Aug. Wie Lichtlos muß der gan-
ze Leib ſeyn! Wie unkundig der ſichtbaren Dinge, die ihn
umgeben, wenn das Auge ſein Führer, und ſein Licht
blind, krank, dunkel und Lichtlos iſt. So ſchau alſo
darauf!
Laß dir’s recht angelegen ſeyn, daß nicht das
Licht in dir Finſterniß ſey.
Trage Sorge zu dei-
nem Auge. Laß das, was dich führen ſoll, nicht erblin-
den und erkranken. Schau recht, ſo wirſt du recht
urtheilen.
Wie dein Anſchauen und Betrachten der
Dinge; So dein Urtheil, dein Betragen. Wer den Un-
terſchied der Dinge mit geſundem, freyem, einfältigem,
trugloſem Blicke bemerkt, der wird nicht leicht ſich irre
führen laſſen. Sein geſundes Auge wird ihm, wie eine
vorleuchtende Fackel — ja wie das Sonnenlicht ſelbſt ſeyn.
Alles übrige wird ſich dieſem Lichte, der hellen richtigen
Erkenntniß nach bequemen. — Vom geſunden Auge,
vom rechten Sehen der Dinge hängt alles ab. — Jede
Tohrheit, jegliche Sünde iſt ein Nichtrechtſehen der
Dinge. Wer die Dinge auſſer ſich für das hält, was ſie

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[31[51]/0059] Aug des Leibes Licht. Sachen nicht doppelt, nicht gröſſer, nicht kleiner ſieht — Ein ſolch einfältiges, geſundes, argloſes Aug iſt des Leibes Licht — Es leuchtet allen Gliedern und Ver- richtungen des Leibes vor — Es iſt eben ſo viel, als ob der ganze Leib Licht, als ob alle Glieder Augen wären. Das geſunde Auge ſiehet ſtatt aller Glieder des Leibes. Iſt aber das Aug bös, ein Schalk, krank, ſchief, kurz- ſichtig, doppeltſichtig, oder gar dunkel und lichtlos — ſo muß nothwendig der ganze übrige Leib ohne Licht, oh- ne Führer ſeyn — Was das Auge ohne Licht iſt, das iſt der ganze Leib ohne das Aug. Wie Lichtlos muß der gan- ze Leib ſeyn! Wie unkundig der ſichtbaren Dinge, die ihn umgeben, wenn das Auge ſein Führer, und ſein Licht blind, krank, dunkel und Lichtlos iſt. So ſchau alſo darauf! Laß dir’s recht angelegen ſeyn, daß nicht das Licht in dir Finſterniß ſey. Trage Sorge zu dei- nem Auge. Laß das, was dich führen ſoll, nicht erblin- den und erkranken. Schau recht, ſo wirſt du recht urtheilen. Wie dein Anſchauen und Betrachten der Dinge; So dein Urtheil, dein Betragen. Wer den Un- terſchied der Dinge mit geſundem, freyem, einfältigem, trugloſem Blicke bemerkt, der wird nicht leicht ſich irre führen laſſen. Sein geſundes Auge wird ihm, wie eine vorleuchtende Fackel — ja wie das Sonnenlicht ſelbſt ſeyn. Alles übrige wird ſich dieſem Lichte, der hellen richtigen Erkenntniß nach bequemen. — Vom geſunden Auge, vom rechten Sehen der Dinge hängt alles ab. — Jede Tohrheit, jegliche Sünde iſt ein Nichtrechtſehen der Dinge. Wer die Dinge auſſer ſich für das hält, was ſie ſind

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 31[51]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/59>, abgerufen am 02.09.2024.