denke einmahl auch die Sache ganz; Es verlohnt sich der Mühe. Man spreche sie aus, man schreibe sie, man setze sie fest die Grundsätze, nach denen man das eine Wort Christi verwirft, und das andere annimmt. Man gefalle sich nicht immer in der Verworrenheit und Unentschiedenheit. Die Vernunft, die nicht untersucht, keine Grundsätze festsetzt, oder vorgebliche Grundsätze nicht auf alle Fälle mit gleicher Unpartheylichkeit anwen- den will -- Nenne die Vernunft, die das fordert, nicht Unvernunft und Schwärmerey. Wer Licht will, und Licht sucht, und Licht giebt, ist nicht Schwärmer, aber wer dem Licht immer ausweicht, wer in demselben Au- genblick, wo es ihm klar wird, daß seine Grundsätze nichts taugen, und daß diese Untauglichkeit dem An- dern einleuchtet, über die festere Vernunft des Andern als Unvernunft wehzuklagen, oder als Schwärmerey zu spotten anfangt der ist -- was ihr wollt, nur kein Schüler der Weisheit und kein Freund der Wahrheit. Wer sich zu Christi Evangelium bekennt, dem schweht bey jeder Ermahnung und Verheissung, die Jesus Chri- stus seinen Aposteln gab, leicht eins von diesen beyden Worten Jesu vor den Augen: Lehret sie alles hal- ten, was ich euch befohlen habe. -- Wer eins von Moses oder meiner kleinsten Gebothe auflö- set, und die Leute also lehret, der wird der Klein- ste heissen in meinen Reich, wer sie aber thun und lehren wird, der wird groß heissen im Himmel- reich.
250. Ge-
Matthäus XXVIII.
denke einmahl auch die Sache ganz; Es verlohnt ſich der Mühe. Man ſpreche ſie aus, man ſchreibe ſie, man ſetze ſie feſt die Grundſätze, nach denen man das eine Wort Chriſti verwirft, und das andere annimmt. Man gefalle ſich nicht immer in der Verworrenheit und Unentſchiedenheit. Die Vernunft, die nicht unterſucht, keine Grundſätze feſtſetzt, oder vorgebliche Grundſätze nicht auf alle Fälle mit gleicher Unpartheylichkeit anwen- den will — Nenne die Vernunft, die das fordert, nicht Unvernunft und Schwärmerey. Wer Licht will, und Licht ſucht, und Licht giebt, iſt nicht Schwärmer, aber wer dem Licht immer ausweicht, wer in demſelben Au- genblick, wo es ihm klar wird, daß ſeine Grundſätze nichts taugen, und daß dieſe Untauglichkeit dem An- dern einleuchtet, über die feſtere Vernunft des Andern als Unvernunft wehzuklagen, oder als Schwärmerey zu ſpotten anfangt der iſt — was ihr wollt, nur kein Schüler der Weisheit und kein Freund der Wahrheit. Wer ſich zu Chriſti Evangelium bekennt, dem ſchweht bey jeder Ermahnung und Verheiſſung, die Jeſus Chri- ſtus ſeinen Apoſteln gab, leicht eins von dieſen beyden Worten Jeſu vor den Augen: Lehret ſie alles hal- ten, was ich euch befohlen habe. — Wer eins von Moſes oder meiner kleinſten Gebothe auflö- ſet, und die Leute alſo lehret, der wird der Klein- ſte heiſſen in meinen Reich, wer ſie aber thun und lehren wird, der wird groß heiſſen im Himmel- reich.
250. Ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0582"n="554[574]"/><fwplace="top"type="header">Matthäus <hirendition="#aq">XXVIII.</hi></fw><lb/>
denke einmahl auch die Sache ganz; Es verlohnt ſich<lb/>
der Mühe. Man ſpreche ſie aus, man ſchreibe ſie,<lb/>
man ſetze ſie feſt die Grundſätze, nach denen man das<lb/>
eine Wort Chriſti verwirft, und das andere annimmt.<lb/>
Man gefalle ſich nicht immer in der Verworrenheit und<lb/>
Unentſchiedenheit. Die Vernunft, die nicht unterſucht,<lb/>
keine Grundſätze feſtſetzt, oder vorgebliche Grundſätze<lb/>
nicht auf alle Fälle mit gleicher Unpartheylichkeit anwen-<lb/>
den will — Nenne die Vernunft, die das fordert, nicht<lb/>
Unvernunft und Schwärmerey. Wer Licht will, und<lb/>
Licht ſucht, und Licht giebt, iſt nicht Schwärmer, aber<lb/>
wer dem Licht immer ausweicht, wer in demſelben Au-<lb/>
genblick, wo es ihm klar wird, daß ſeine Grundſätze<lb/>
nichts taugen, und daß dieſe Untauglichkeit dem An-<lb/>
dern einleuchtet, über die feſtere Vernunft des Andern<lb/>
als Unvernunft wehzuklagen, oder als Schwärmerey<lb/>
zu ſpotten anfangt der iſt — was ihr wollt, nur kein<lb/>
Schüler der Weisheit und kein Freund der Wahrheit.<lb/>
Wer ſich zu Chriſti Evangelium bekennt, dem ſchweht<lb/>
bey jeder Ermahnung und Verheiſſung, die Jeſus Chri-<lb/>ſtus ſeinen Apoſteln gab, leicht eins von dieſen beyden<lb/>
Worten Jeſu vor den Augen: <hirendition="#fr">Lehret ſie alles hal-<lb/>
ten, was ich euch befohlen habe. — Wer eins<lb/>
von Moſes oder meiner</hi> kleinſten <hirendition="#fr">Gebothe auflö-<lb/>ſet, und die Leute alſo lehret, der wird der Klein-<lb/>ſte heiſſen in meinen Reich, wer ſie aber thun und<lb/>
lehren wird, der wird groß heiſſen im Himmel-<lb/>
reich.</hi></p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">250. Ge-</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[554[574]/0582]
Matthäus XXVIII.
denke einmahl auch die Sache ganz; Es verlohnt ſich
der Mühe. Man ſpreche ſie aus, man ſchreibe ſie,
man ſetze ſie feſt die Grundſätze, nach denen man das
eine Wort Chriſti verwirft, und das andere annimmt.
Man gefalle ſich nicht immer in der Verworrenheit und
Unentſchiedenheit. Die Vernunft, die nicht unterſucht,
keine Grundſätze feſtſetzt, oder vorgebliche Grundſätze
nicht auf alle Fälle mit gleicher Unpartheylichkeit anwen-
den will — Nenne die Vernunft, die das fordert, nicht
Unvernunft und Schwärmerey. Wer Licht will, und
Licht ſucht, und Licht giebt, iſt nicht Schwärmer, aber
wer dem Licht immer ausweicht, wer in demſelben Au-
genblick, wo es ihm klar wird, daß ſeine Grundſätze
nichts taugen, und daß dieſe Untauglichkeit dem An-
dern einleuchtet, über die feſtere Vernunft des Andern
als Unvernunft wehzuklagen, oder als Schwärmerey
zu ſpotten anfangt der iſt — was ihr wollt, nur kein
Schüler der Weisheit und kein Freund der Wahrheit.
Wer ſich zu Chriſti Evangelium bekennt, dem ſchweht
bey jeder Ermahnung und Verheiſſung, die Jeſus Chri-
ſtus ſeinen Apoſteln gab, leicht eins von dieſen beyden
Worten Jeſu vor den Augen: Lehret ſie alles hal-
ten, was ich euch befohlen habe. — Wer eins
von Moſes oder meiner kleinſten Gebothe auflö-
ſet, und die Leute alſo lehret, der wird der Klein-
ſte heiſſen in meinen Reich, wer ſie aber thun und
lehren wird, der wird groß heiſſen im Himmel-
reich.
250. Ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 554[574]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/582>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.