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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XXVII.
uns bey dieser Stelle. Jesus rief mit lauter Stimme:
Vater! In deine Hände befehl ich memen Geist,
und gab sogleich den Geist auf.

Erreicht hatt' Er das äusserste Ziel seiner Wall-
fahrt im fremden Lande -- Alle Bitterkeiten des mensch-
lichen Lebens gekostet, sie alle bis auf den letzten Tro-
pfen versucht -- Auch den Tod versucht für einen je-
den der Sterblichen; Er war der Gottheit gehorsam
bis zum Tod am Kreuze -- Sein letztes Wort war Ge-
horsam und Glaube; Glaube an den Vater seines
Geistes war sein letzter kräftiger Seufzer -- der Vater
erhörte Ihn in dem Momente, da der Seufzer laut
und weit hörbar vor den reinen Lippen erscholl, die nie
keine Unwahrheit, kein unaufrichtiges Wort entweiht
hatte. So hatte Er vollendet, was Er angefangen
hatte. So blieb von dem, was Ihm zu thun und zu
leiden aufgetragen war, nichts unerfüllt. Dieser Tod
des Herrn ist der wichtigste, geheimnißvollste, reich-
haltigste, unerschöpflichste Gegenstand unserer Betrach-
tung. Diesem Tode ist von dem Herrn selbst ein Denk-
mahl gesetzt, das sich in seiner Gemeine fortpflanzen
soll bis ans Ende der Tage. Dieser Tod Christi hat so
viele helle Seiten, die Freude in unserm Gemüthe wir-
ken, und so viele dunkle, die uns mit Ehrfurcht er-
füllen sollen -- daß wir von dem Glauben an Christus
und an sein Evangelium unendlich entfernt seyn müssen,
wenn wir mit Leichtsinn oder Gleichgültigkeit an diesen
Tod gedenken, oder desselben vergessen können.

Das

Matthäus XXVII.
uns bey dieſer Stelle. Jeſus rief mit lauter Stimme:
Vater! In deine Hände befehl ich memen Geiſt,
und gab ſogleich den Geiſt auf.

Erreicht hatt’ Er das äuſſerſte Ziel ſeiner Wall-
fahrt im fremden Lande — Alle Bitterkeiten des menſch-
lichen Lebens gekoſtet, ſie alle bis auf den letzten Tro-
pfen verſucht — Auch den Tod verſucht für einen je-
den der Sterblichen; Er war der Gottheit gehorſam
bis zum Tod am Kreuze — Sein letztes Wort war Ge-
horſam und Glaube; Glaube an den Vater ſeines
Geiſtes war ſein letzter kräftiger Seufzer — der Vater
erhörte Ihn in dem Momente, da der Seufzer laut
und weit hörbar vor den reinen Lippen erſcholl, die nie
keine Unwahrheit, kein unaufrichtiges Wort entweiht
hatte. So hatte Er vollendet, was Er angefangen
hatte. So blieb von dem, was Ihm zu thun und zu
leiden aufgetragen war, nichts unerfüllt. Dieſer Tod
des Herrn iſt der wichtigſte, geheimnißvollſte, reich-
haltigſte, unerſchöpflichſte Gegenſtand unſerer Betrach-
tung. Dieſem Tode iſt von dem Herrn ſelbſt ein Denk-
mahl geſetzt, das ſich in ſeiner Gemeine fortpflanzen
ſoll bis ans Ende der Tage. Dieſer Tod Chriſti hat ſo
viele helle Seiten, die Freude in unſerm Gemüthe wir-
ken, und ſo viele dunkle, die uns mit Ehrfurcht er-
füllen ſollen — daß wir von dem Glauben an Chriſtus
und an ſein Evangelium unendlich entfernt ſeyn müſſen,
wenn wir mit Leichtſinn oder Gleichgültigkeit an dieſen
Tod gedenken, oder deſſelben vergeſſen können.

Das
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[526[546]/0554] Matthäus XXVII. uns bey dieſer Stelle. Jeſus rief mit lauter Stimme: Vater! In deine Hände befehl ich memen Geiſt, und gab ſogleich den Geiſt auf. Erreicht hatt’ Er das äuſſerſte Ziel ſeiner Wall- fahrt im fremden Lande — Alle Bitterkeiten des menſch- lichen Lebens gekoſtet, ſie alle bis auf den letzten Tro- pfen verſucht — Auch den Tod verſucht für einen je- den der Sterblichen; Er war der Gottheit gehorſam bis zum Tod am Kreuze — Sein letztes Wort war Ge- horſam und Glaube; Glaube an den Vater ſeines Geiſtes war ſein letzter kräftiger Seufzer — der Vater erhörte Ihn in dem Momente, da der Seufzer laut und weit hörbar vor den reinen Lippen erſcholl, die nie keine Unwahrheit, kein unaufrichtiges Wort entweiht hatte. So hatte Er vollendet, was Er angefangen hatte. So blieb von dem, was Ihm zu thun und zu leiden aufgetragen war, nichts unerfüllt. Dieſer Tod des Herrn iſt der wichtigſte, geheimnißvollſte, reich- haltigſte, unerſchöpflichſte Gegenſtand unſerer Betrach- tung. Dieſem Tode iſt von dem Herrn ſelbſt ein Denk- mahl geſetzt, das ſich in ſeiner Gemeine fortpflanzen ſoll bis ans Ende der Tage. Dieſer Tod Chriſti hat ſo viele helle Seiten, die Freude in unſerm Gemüthe wir- ken, und ſo viele dunkle, die uns mit Ehrfurcht er- füllen ſollen — daß wir von dem Glauben an Chriſtus und an ſein Evangelium unendlich entfernt ſeyn müſſen, wenn wir mit Leichtſinn oder Gleichgültigkeit an dieſen Tod gedenken, oder deſſelben vergeſſen können. Das

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 526[546]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/554>, abgerufen am 23.11.2024.