cher Mensch oft in wenigen Augenblicken im Innersten seiner Natur leiden kann! Wer sich vermessen, auszu- sprechen, was der edelste; der empfindlichste, der liebe- vollste aller, diese drey Stunden durch leiden mußte?
Bange, leidende, schwehrbeladene, geheimschmach- tende Seelen, die Ihr dieß leset, wendet mit mir -- dem wahrscheinlich nicht unerfahrnen in tiefen unbe- schreiblichen Seelenleiden -- die Blicke des Glaubens auf den, der in der bängsten Stunde ausrief: Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich ver- lassen? Er ward in allem versucht. Der erfahrne, der mitleidige Hohepriester sey unsere Hoffnung und Zu- versicht. Er in jedem Kampf unser Vorbild -- in je- dem Durst unsere Erquickung -- bey jeder Verhöh- nung, die uns nicht fehlen wird, auch dann nicht, wann wir am meisten leiden, unser Augenmerk! Die Feinde Christi kennen kein Erbarmen. Sie lachen der Schmach- tenden, und spotten des Dürstenden. Ihre Weisheit und Tohrheit zeigt sich persönlich auf Gabbatha und Golgatha. Und, wie ihrer nicht geachtet werden soll, zeigst du, göttliche Weisheit! himmlische Geduld! ge- kreuzigte Liebe -- Jesus Christus, in dem alle gött- lichen Gesinnungen sich vereinigen, auf dem alle sata- nischen Bosheiten in vereinigten gedrängten Haufen zudringen!
238. Tod Jesu.
Aber Jesus schrye abermahl und verschied.Matth. XXVII. 50. Schweigen, nicht reden, anbethen, nicht regen sollten wir
uns
Finſterniß. Angſt Jeſu. Durſt.
cher Menſch oft in wenigen Augenblicken im Innerſten ſeiner Natur leiden kann! Wer ſich vermeſſen, auszu- ſprechen, was der edelſte; der empfindlichſte, der liebe- vollſte aller, dieſe drey Stunden durch leiden mußte?
Bange, leidende, ſchwehrbeladene, geheimſchmach- tende Seelen, die Ihr dieß leſet, wendet mit mir — dem wahrſcheinlich nicht unerfahrnen in tiefen unbe- ſchreiblichen Seelenleiden — die Blicke des Glaubens auf den, der in der bängſten Stunde ausrief: Mein Gott! Mein Gott! Warum haſt du mich ver- laſſen? Er ward in allem verſucht. Der erfahrne, der mitleidige Hoheprieſter ſey unſere Hoffnung und Zu- verſicht. Er in jedem Kampf unſer Vorbild — in je- dem Durſt unſere Erquickung — bey jeder Verhöh- nung, die uns nicht fehlen wird, auch dann nicht, wann wir am meiſten leiden, unſer Augenmerk! Die Feinde Chriſti kennen kein Erbarmen. Sie lachen der Schmach- tenden, und ſpotten des Dürſtenden. Ihre Weisheit und Tohrheit zeigt ſich perſönlich auf Gabbatha und Golgatha. Und, wie ihrer nicht geachtet werden ſoll, zeigſt du, göttliche Weisheit! himmliſche Geduld! ge- kreuzigte Liebe — Jeſus Chriſtus, in dem alle gött- lichen Geſinnungen ſich vereinigen, auf dem alle ſata- niſchen Bosheiten in vereinigten gedrängten Haufen zudringen!
238. Tod Jeſu.
Aber Jeſus ſchrye abermahl und verſchied.Matth. XXVII. 50. Schweigen, nicht reden, anbethen, nicht regen ſollten wir
uns
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[525[545]/0553]
Finſterniß. Angſt Jeſu. Durſt.
cher Menſch oft in wenigen Augenblicken im Innerſten
ſeiner Natur leiden kann! Wer ſich vermeſſen, auszu-
ſprechen, was der edelſte; der empfindlichſte, der liebe-
vollſte aller, dieſe drey Stunden durch leiden mußte?
Bange, leidende, ſchwehrbeladene, geheimſchmach-
tende Seelen, die Ihr dieß leſet, wendet mit mir —
dem wahrſcheinlich nicht unerfahrnen in tiefen unbe-
ſchreiblichen Seelenleiden — die Blicke des Glaubens
auf den, der in der bängſten Stunde ausrief: Mein
Gott! Mein Gott! Warum haſt du mich ver-
laſſen? Er ward in allem verſucht. Der erfahrne,
der mitleidige Hoheprieſter ſey unſere Hoffnung und Zu-
verſicht. Er in jedem Kampf unſer Vorbild — in je-
dem Durſt unſere Erquickung — bey jeder Verhöh-
nung, die uns nicht fehlen wird, auch dann nicht, wann
wir am meiſten leiden, unſer Augenmerk! Die Feinde
Chriſti kennen kein Erbarmen. Sie lachen der Schmach-
tenden, und ſpotten des Dürſtenden. Ihre Weisheit
und Tohrheit zeigt ſich perſönlich auf Gabbatha und
Golgatha. Und, wie ihrer nicht geachtet werden ſoll,
zeigſt du, göttliche Weisheit! himmliſche Geduld! ge-
kreuzigte Liebe — Jeſus Chriſtus, in dem alle gött-
lichen Geſinnungen ſich vereinigen, auf dem alle ſata-
niſchen Bosheiten in vereinigten gedrängten Haufen
zudringen!
238.
Tod Jeſu.
Aber Jeſus ſchrye abermahl und verſchied.
Schweigen, nicht reden, anbethen, nicht regen ſollten wir
uns
Matth.
XXVII. 50.
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 525[545]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/553>, abgerufen am 23.11.2024.
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