nicht zu regen -- und nun, mit vier scharfen, grossen Nägeln durch die Gewalt des Hammers beyde Hände und Füße angeheftet .. Seine nackte Menschheit so ganz, so sehr wie möglich der sichtbaren und unsichtbaren Welt in der Gestalt eines Sklaven und eines willenlosen, kraft- losen Opfers zur Schau gestellt; Entblößt von allem -- ohn' einen Faden mehr von Eigenthum. Das We- nige, das Er noch hatte -- Keine Schuhe, kein Geld -- nur zwey Kleiderstücke werden noch vor den Augen des Nakten unter seine Kreuziger vertheilt und verlooset. So entsagte Jesus feyrlich, öffentlich und schweigend allem Anspruch auf den Besitz -- irdischer Güter und weltlicher Ehre. So war Er ganz an Gottes unmit- telbare Kraft und Durft gebracht. So war er im voll- kommensten Sinn ein Gottgeweyhtes Opfer. Er stellte sich selbst mit allem seinem Willen, aller seiner Kraft, allen seinen Gliedern, allen seinen Adern, Nerven, Ein- geweiden und Blutstropfen dem Geheimnißvollen, stren- gescheinenden aber väterlichen Willen der Gottheit dar, und ließ an sich alles geschehen, alles erfüllt werden, was je durch leidende und von Leidenden schimpfliches und peinliches ausgesprochen ward. Er hatte sich selbst ausgeleert und Sklavengestalt an sich ge- nommen -- indem Er bis zum Tod am Kreuze gehorsam ward.
235. Ueber-
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Kreuzigung Jeſu.
nicht zu regen — und nun, mit vier ſcharfen, groſſen Nägeln durch die Gewalt des Hammers beyde Hände und Füße angeheftet .. Seine nackte Menſchheit ſo ganz, ſo ſehr wie möglich der ſichtbaren und unſichtbaren Welt in der Geſtalt eines Sklaven und eines willenloſen, kraft- loſen Opfers zur Schau geſtellt; Entblößt von allem — ohn’ einen Faden mehr von Eigenthum. Das We- nige, das Er noch hatte — Keine Schuhe, kein Geld — nur zwey Kleiderſtücke werden noch vor den Augen des Nakten unter ſeine Kreuziger vertheilt und verlooſet. So entſagte Jeſus feyrlich, öffentlich und ſchweigend allem Anſpruch auf den Beſitz — irdiſcher Güter und weltlicher Ehre. So war Er ganz an Gottes unmit- telbare Kraft und Durft gebracht. So war er im voll- kommenſten Sinn ein Gottgeweyhtes Opfer. Er ſtellte ſich ſelbſt mit allem ſeinem Willen, aller ſeiner Kraft, allen ſeinen Gliedern, allen ſeinen Adern, Nerven, Ein- geweiden und Blutstropfen dem Geheimnißvollen, ſtren- geſcheinenden aber väterlichen Willen der Gottheit dar, und ließ an ſich alles geſchehen, alles erfüllt werden, was je durch leidende und von Leidenden ſchimpfliches und peinliches ausgeſprochen ward. Er hatte ſich ſelbſt ausgeleert und Sklavengeſtalt an ſich ge- nommen — indem Er bis zum Tod am Kreuze gehorſam ward.
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[519[539]/0547]
Kreuzigung Jeſu.
nicht zu regen — und nun, mit vier ſcharfen, groſſen
Nägeln durch die Gewalt des Hammers beyde Hände
und Füße angeheftet .. Seine nackte Menſchheit ſo ganz,
ſo ſehr wie möglich der ſichtbaren und unſichtbaren Welt
in der Geſtalt eines Sklaven und eines willenloſen, kraft-
loſen Opfers zur Schau geſtellt; Entblößt von allem
— ohn’ einen Faden mehr von Eigenthum. Das We-
nige, das Er noch hatte — Keine Schuhe, kein Geld
— nur zwey Kleiderſtücke werden noch vor den Augen
des Nakten unter ſeine Kreuziger vertheilt und verlooſet.
So entſagte Jeſus feyrlich, öffentlich und ſchweigend
allem Anſpruch auf den Beſitz — irdiſcher Güter und
weltlicher Ehre. So war Er ganz an Gottes unmit-
telbare Kraft und Durft gebracht. So war er im voll-
kommenſten Sinn ein Gottgeweyhtes Opfer. Er ſtellte
ſich ſelbſt mit allem ſeinem Willen, aller ſeiner Kraft,
allen ſeinen Gliedern, allen ſeinen Adern, Nerven, Ein-
geweiden und Blutstropfen dem Geheimnißvollen, ſtren-
geſcheinenden aber väterlichen Willen der Gottheit dar,
und ließ an ſich alles geſchehen, alles erfüllt werden,
was je durch leidende und von Leidenden ſchimpfliches
und peinliches ausgeſprochen ward. Er hatte ſich
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 519[539]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/547>, abgerufen am 24.11.2024.
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