ten. Möge kein Lehrer, kein Seelsorger, der dieses lieset, sich in diesem Bilde, diesem Worte erkennen! Möge jeder dem reuenden zurückkehrenden Sünder die Hand bieten, und ihm so gut als möglich behülflich seyn zur Beruhigung seines Gewissens, zur Verbesserung sei- nes Herzens, zur Vergütung des von ihm geschehenen Unrechts. Möchte nie die niedrige und schwachmüthige Furcht vor dem lieblosen obgleich gemeinen Vorwurf: "Sich eines schlechten verrufenen Menschen angenom- &q;men zu haben," ihn abhalten, oder es ihm erschwe- ren, den verworfensten Sündern mit Rath und That an die Hand zu gehen, damit errettet werde, was zu retten ist, und kein brennender Vorwurf die Seele zernage, wann die Verzweiflung den rathlosen Sünder ergreift.
5. Er warf die Silberlinge in den Tempel, hub sich davon und erhenkte sich selbst. Am En- de wird der Sünder niemand unerträglicher, als sich selbst. Er wird sein eigener Richter und Henker, so daß ihm niemand anzuklagen übrig bleibt, als er selbst.
Das Gut, das ihn so sehr reizte, über dem er Recht und Pflicht, Vernunft und Tugend vergaß; Gottes Beyfall und Ruhe des Gewissens aufopferte, kann er zuletzt, wenn er's auch in Händen hat, nicht einmahl geniessen. Es wird ihm eckelhaft, er schmeißt es weg. -- O Brüder! Sehet zu, daß niemand durch den Hebr. XII.Betrug der Sünde verstocket werde. Sehet zu, daß nicht Jemand Gottes Gnade versäume, keine Statt der Reue finde, wenn sie auch mit Thränen gesucht wird.
6. Die
Matthäus XXVII.
ten. Möge kein Lehrer, kein Seelſorger, der dieſes lieſet, ſich in dieſem Bilde, dieſem Worte erkennen! Möge jeder dem reuenden zurückkehrenden Sünder die Hand bieten, und ihm ſo gut als möglich behülflich ſeyn zur Beruhigung ſeines Gewiſſens, zur Verbeſſerung ſei- nes Herzens, zur Vergütung des von ihm geſchehenen Unrechts. Möchte nie die niedrige und ſchwachmüthige Furcht vor dem liebloſen obgleich gemeinen Vorwurf: „Sich eines ſchlechten verrufenen Menſchen angenom- &q;men zu haben,“ ihn abhalten, oder es ihm erſchwe- ren, den verworfenſten Sündern mit Rath und That an die Hand zu gehen, damit errettet werde, was zu retten iſt, und kein brennender Vorwurf die Seele zernage, wann die Verzweiflung den rathloſen Sünder ergreift.
5. Er warf die Silberlinge in den Tempel, hub ſich davon und erhenkte ſich ſelbſt. Am En- de wird der Sünder niemand unerträglicher, als ſich ſelbſt. Er wird ſein eigener Richter und Henker, ſo daß ihm niemand anzuklagen übrig bleibt, als er ſelbſt.
Das Gut, das ihn ſo ſehr reizte, über dem er Recht und Pflicht, Vernunft und Tugend vergaß; Gottes Beyfall und Ruhe des Gewiſſens aufopferte, kann er zuletzt, wenn er’s auch in Händen hat, nicht einmahl genieſſen. Es wird ihm eckelhaft, er ſchmeißt es weg. — O Brüder! Sehet zu, daß niemand durch den Hebr. XII.Betrug der Sünde verſtocket werde. Sehet zu, daß nicht Jemand Gottes Gnade verſäume, keine Statt der Reue finde, wenn ſie auch mit Thränen geſucht wird.
6. Die
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[504[524]/0532]
Matthäus XXVII.
ten. Möge kein Lehrer, kein Seelſorger, der dieſes
lieſet, ſich in dieſem Bilde, dieſem Worte erkennen!
Möge jeder dem reuenden zurückkehrenden Sünder die
Hand bieten, und ihm ſo gut als möglich behülflich ſeyn
zur Beruhigung ſeines Gewiſſens, zur Verbeſſerung ſei-
nes Herzens, zur Vergütung des von ihm geſchehenen
Unrechts. Möchte nie die niedrige und ſchwachmüthige
Furcht vor dem liebloſen obgleich gemeinen Vorwurf:
„Sich eines ſchlechten verrufenen Menſchen angenom-
&q;men zu haben,“ ihn abhalten, oder es ihm erſchwe-
ren, den verworfenſten Sündern mit Rath und That an
die Hand zu gehen, damit errettet werde, was zu retten
iſt, und kein brennender Vorwurf die Seele zernage,
wann die Verzweiflung den rathloſen Sünder ergreift.
5. Er warf die Silberlinge in den Tempel,
hub ſich davon und erhenkte ſich ſelbſt. Am En-
de wird der Sünder niemand unerträglicher, als ſich
ſelbſt. Er wird ſein eigener Richter und Henker, ſo
daß ihm niemand anzuklagen übrig bleibt, als er ſelbſt.
Das Gut, das ihn ſo ſehr reizte, über dem er Recht
und Pflicht, Vernunft und Tugend vergaß; Gottes
Beyfall und Ruhe des Gewiſſens aufopferte, kann er
zuletzt, wenn er’s auch in Händen hat, nicht einmahl
genieſſen. Es wird ihm eckelhaft, er ſchmeißt es weg.
— O Brüder! Sehet zu, daß niemand durch den
Betrug der Sünde verſtocket werde. Sehet
zu, daß nicht Jemand Gottes Gnade verſäume,
keine Statt der Reue finde, wenn ſie auch mit
Thränen geſucht wird.
Hebr. XII.
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 504[524]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/532>, abgerufen am 24.11.2024.
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