Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Verläugnung von Petrus.
ben einander kennen lernen; Lernen, daß auch das beß-
te, wärmste, treuste Herz, ohne wachen und bethen,
sich nicht halten kann -- und daß nichts als Erbar-
men, daß, der es siehet, wenn der Satan, die red-
lichen Verehrer seines Namens sichten will wie den
Waizen
-- und für sie bittet, daß ihr Glaube
nicht abnehme,
oder zu Grunde gehe -- sie wieder
aufrichten kann.

Wir legten bisher einigemale den Nachdruck auf
das Wort Schwachheit -- wir nannten die Treulo-
sigkeit des Apostels Schwäche -- und warum? -- weil
er nicht fallen wollte. Judas wollte verrathen. Er
sann und dachte darauf. Es war Absicht, Vorsatz,
Plan bey ihm. Das war's was ihn zu dem unglücklich-
sten, verwerfenswürdigsten Menschen machte. Petrus
verläugnete -- zwar dreymahl -- aber Er wollt' es
nicht. Eine Stunde vorher schien es ihm noch die un-
möglichste Sache von der Welt. Er ward, obgleich
gewarnet, dennoch von der Versuchung überfallen -- und
obgleich er zwischen jeder Versuchung Zwischenraum zum
Nachdenken und zur Besinnung hatte -- so war er
doch zu sehr bestürzt, betäubt im Gedränge und im La-
byrinthe -- als daß es ihm möglich gewesen wäre --
sich zu erhohlen. Ohne Zweifel riß ihn das Nachden-
ken über das Schicksal seines Meisters wieder vom Nach-
denken über sich selbst ab. Wer das Erstemahl gefallen
ist, fällt das zweyte und drittemal viel leichter und tie-
fer, wenn er nicht Zeit hatte zur Erhohlung, wenn
kein Blick der Erbarmung ihn gleichsam unmittelbar zu-
rückhohlete.

Ein

Verläugnung von Petrus.
ben einander kennen lernen; Lernen, daß auch das beß-
te, wärmſte, treuſte Herz, ohne wachen und bethen,
ſich nicht halten kann — und daß nichts als Erbar-
men, daß, der es ſiehet, wenn der Satan, die red-
lichen Verehrer ſeines Namens ſichten will wie den
Waizen
— und für ſie bittet, daß ihr Glaube
nicht abnehme,
oder zu Grunde gehe — ſie wieder
aufrichten kann.

Wir legten bisher einigemale den Nachdruck auf
das Wort Schwachheit — wir nannten die Treulo-
ſigkeit des Apoſtels Schwäche — und warum? — weil
er nicht fallen wollte. Judas wollte verrathen. Er
ſann und dachte darauf. Es war Abſicht, Vorſatz,
Plan bey ihm. Das war’s was ihn zu dem unglücklich-
ſten, verwerfenswürdigſten Menſchen machte. Petrus
verläugnete — zwar dreymahl — aber Er wollt’ es
nicht. Eine Stunde vorher ſchien es ihm noch die un-
möglichſte Sache von der Welt. Er ward, obgleich
gewarnet, dennoch von der Verſuchung überfallen — und
obgleich er zwiſchen jeder Verſuchung Zwiſchenraum zum
Nachdenken und zur Beſinnung hatte — ſo war er
doch zu ſehr beſtürzt, betäubt im Gedränge und im La-
byrinthe — als daß es ihm möglich geweſen wäre —
ſich zu erhohlen. Ohne Zweifel riß ihn das Nachden-
ken über das Schickſal ſeines Meiſters wieder vom Nach-
denken über ſich ſelbſt ab. Wer das Erſtemahl gefallen
iſt, fällt das zweyte und drittemal viel leichter und tie-
fer, wenn er nicht Zeit hatte zur Erhohlung, wenn
kein Blick der Erbarmung ihn gleichſam unmittelbar zu-
rückhohlete.

Ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0523" n="495[515]"/><fw place="top" type="header">Verläugnung von Petrus.</fw><lb/>
ben einander kennen lernen; Lernen, daß auch das beß-<lb/>
te, wärm&#x017F;te, treu&#x017F;te Herz, ohne <hi rendition="#fr">wachen</hi> und <hi rendition="#fr">bethen,</hi><lb/>
&#x017F;ich nicht halten kann &#x2014; und daß nichts als Erbar-<lb/>
men, daß, der es &#x017F;iehet, <hi rendition="#fr">wenn der Satan,</hi> die red-<lb/>
lichen Verehrer <hi rendition="#fr">&#x017F;eines Namens &#x017F;ichten will wie den<lb/>
Waizen</hi> &#x2014; und <hi rendition="#fr">für &#x017F;ie bittet, daß ihr Glaube<lb/>
nicht abnehme,</hi> oder zu Grunde gehe &#x2014; &#x017F;ie wieder<lb/>
aufrichten kann.</p><lb/>
            <p>Wir legten bisher einigemale den Nachdruck auf<lb/>
das Wort <hi rendition="#fr">Schwachheit</hi> &#x2014; wir nannten die Treulo-<lb/>
&#x017F;igkeit des Apo&#x017F;tels <hi rendition="#fr">Schwäche</hi> &#x2014; und warum? &#x2014; weil<lb/>
er nicht fallen <hi rendition="#fr">wollte. Judas wollte</hi> verrathen. Er<lb/>
&#x017F;ann und dachte darauf. Es war Ab&#x017F;icht, Vor&#x017F;atz,<lb/>
Plan bey ihm. Das war&#x2019;s was ihn zu dem unglücklich-<lb/>
&#x017F;ten, verwerfenswürdig&#x017F;ten Men&#x017F;chen machte. <hi rendition="#fr">Petrus</hi><lb/>
verläugnete &#x2014; zwar dreymahl &#x2014; aber Er wollt&#x2019; es<lb/>
nicht. Eine Stunde vorher &#x017F;chien es ihm noch die un-<lb/>
möglich&#x017F;te Sache von der Welt. Er ward, obgleich<lb/>
gewarnet, dennoch von der Ver&#x017F;uchung überfallen &#x2014; und<lb/>
obgleich er zwi&#x017F;chen jeder Ver&#x017F;uchung Zwi&#x017F;chenraum zum<lb/>
Nachdenken und zur Be&#x017F;innung hatte &#x2014; &#x017F;o war er<lb/>
doch zu &#x017F;ehr be&#x017F;türzt, betäubt im Gedränge und im La-<lb/>
byrinthe &#x2014; als daß es ihm möglich gewe&#x017F;en wäre &#x2014;<lb/>
&#x017F;ich zu erhohlen. Ohne Zweifel riß ihn das Nachden-<lb/>
ken über das Schick&#x017F;al &#x017F;eines Mei&#x017F;ters wieder vom Nach-<lb/>
denken über &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ab. Wer das Er&#x017F;temahl gefallen<lb/>
i&#x017F;t, fällt das zweyte und drittemal viel leichter und tie-<lb/>
fer, wenn er nicht Zeit hatte zur Erhohlung, wenn<lb/>
kein Blick der Erbarmung ihn gleich&#x017F;am unmittelbar zu-<lb/>
rückhohlete.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Ein</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[495[515]/0523] Verläugnung von Petrus. ben einander kennen lernen; Lernen, daß auch das beß- te, wärmſte, treuſte Herz, ohne wachen und bethen, ſich nicht halten kann — und daß nichts als Erbar- men, daß, der es ſiehet, wenn der Satan, die red- lichen Verehrer ſeines Namens ſichten will wie den Waizen — und für ſie bittet, daß ihr Glaube nicht abnehme, oder zu Grunde gehe — ſie wieder aufrichten kann. Wir legten bisher einigemale den Nachdruck auf das Wort Schwachheit — wir nannten die Treulo- ſigkeit des Apoſtels Schwäche — und warum? — weil er nicht fallen wollte. Judas wollte verrathen. Er ſann und dachte darauf. Es war Abſicht, Vorſatz, Plan bey ihm. Das war’s was ihn zu dem unglücklich- ſten, verwerfenswürdigſten Menſchen machte. Petrus verläugnete — zwar dreymahl — aber Er wollt’ es nicht. Eine Stunde vorher ſchien es ihm noch die un- möglichſte Sache von der Welt. Er ward, obgleich gewarnet, dennoch von der Verſuchung überfallen — und obgleich er zwiſchen jeder Verſuchung Zwiſchenraum zum Nachdenken und zur Beſinnung hatte — ſo war er doch zu ſehr beſtürzt, betäubt im Gedränge und im La- byrinthe — als daß es ihm möglich geweſen wäre — ſich zu erhohlen. Ohne Zweifel riß ihn das Nachden- ken über das Schickſal ſeines Meiſters wieder vom Nach- denken über ſich ſelbſt ab. Wer das Erſtemahl gefallen iſt, fällt das zweyte und drittemal viel leichter und tie- fer, wenn er nicht Zeit hatte zur Erhohlung, wenn kein Blick der Erbarmung ihn gleichſam unmittelbar zu- rückhohlete. Ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/523
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 495[515]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/523>, abgerufen am 24.11.2024.