Herrn nachfolgten. Ich kann nicht begreifen, wie man so oft und so laut dieß dem Petrus hat zur strafbaren Vorwitzigkeit oder Vermessenheit anrechnen dürfen. -- Was ist der Liebe natür licher und würdiger, als das Schick al des Geliebten zu wissen, wenn sie sich auch zu schwach fühlt, sich mit diesem Schicksal in einen Kampf einzulassen -- Ach! Es war dem Apostel so alles an seinem Meister gelegen -- Er bath den Jünger, der dem obersten Priester bekannt war, für ihn bey der Thürhüterin ein gutes Wort zu reden, und ihn mit sich in den Hof hinein zu nehmen -- da, wie es sich aus diesem Umstande vermuthen läßt, sonst Niemand, der nicht vom Gefolge oder von Caiphas Gesinde war, den Zutritt hatte. Laßt uns, liebe Leser, nie eine Hand- lung, das heißt, den sittlichen Werth derselben, bloß nach den Folgen, die sie gehabt hat, bestimmen. Wenn Petrus den Herrn nicht verläugnet hätte -- wer hätte ihm diesen Schritt anders als gut ausdeuten dürfen? Wer deutet ihn an dem andern Jünger -- sey es nun Johannes, oder ein anderer gewesen, übel? -- War- nungen vor den ersten Schritten zur Sünde -- und zur Gelegenheit zur Sünde sind freylich nie überflüßig, und sie mögen auch bey dieser Stelle füglich angebracht wer- den. Aber, welch ein Unterschied, leichtsinniger Weise böse Gesellschaft besuchen -- und von ferne nachfolgen, um den Ausgang des Schicksals des treusten Freundes und Meisters abzuwarten!
221. Falsche
Petrus.
Herrn nachfolgten. Ich kann nicht begreifen, wie man ſo oft und ſo laut dieß dem Petrus hat zur ſtrafbaren Vorwitzigkeit oder Vermeſſenheit anrechnen dürfen. — Was iſt der Liebe natür licher und würdiger, als das Schick al des Geliebten zu wiſſen, wenn ſie ſich auch zu ſchwach fühlt, ſich mit dieſem Schickſal in einen Kampf einzulaſſen — Ach! Es war dem Apoſtel ſo alles an ſeinem Meiſter gelegen — Er bath den Jünger, der dem oberſten Prieſter bekannt war, für ihn bey der Thürhüterin ein gutes Wort zu reden, und ihn mit ſich in den Hof hinein zu nehmen — da, wie es ſich aus dieſem Umſtande vermuthen läßt, ſonſt Niemand, der nicht vom Gefolge oder von Caiphas Geſinde war, den Zutritt hatte. Laßt uns, liebe Leſer, nie eine Hand- lung, das heißt, den ſittlichen Werth derſelben, bloß nach den Folgen, die ſie gehabt hat, beſtimmen. Wenn Petrus den Herrn nicht verläugnet hätte — wer hätte ihm dieſen Schritt anders als gut ausdeuten dürfen? Wer deutet ihn an dem andern Jünger — ſey es nun Johannes, oder ein anderer geweſen, übel? — War- nungen vor den erſten Schritten zur Sünde — und zur Gelegenheit zur Sünde ſind freylich nie überflüßig, und ſie mögen auch bey dieſer Stelle füglich angebracht wer- den. Aber, welch ein Unterſchied, leichtſinniger Weiſe böſe Geſellſchaft beſuchen — und von ferne nachfolgen, um den Ausgang des Schickſals des treuſten Freundes und Meiſters abzuwarten!
221. Falſche
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[477[497]/0505]
Petrus.
Herrn nachfolgten. Ich kann nicht begreifen, wie man
ſo oft und ſo laut dieß dem Petrus hat zur ſtrafbaren
Vorwitzigkeit oder Vermeſſenheit anrechnen dürfen. —
Was iſt der Liebe natür licher und würdiger, als das
Schick al des Geliebten zu wiſſen, wenn ſie ſich auch zu
ſchwach fühlt, ſich mit dieſem Schickſal in einen Kampf
einzulaſſen — Ach! Es war dem Apoſtel ſo alles an
ſeinem Meiſter gelegen — Er bath den Jünger, der
dem oberſten Prieſter bekannt war, für ihn bey der
Thürhüterin ein gutes Wort zu reden, und ihn mit ſich
in den Hof hinein zu nehmen — da, wie es ſich aus
dieſem Umſtande vermuthen läßt, ſonſt Niemand, der
nicht vom Gefolge oder von Caiphas Geſinde war, den
Zutritt hatte. Laßt uns, liebe Leſer, nie eine Hand-
lung, das heißt, den ſittlichen Werth derſelben, bloß
nach den Folgen, die ſie gehabt hat, beſtimmen. Wenn
Petrus den Herrn nicht verläugnet hätte — wer hätte
ihm dieſen Schritt anders als gut ausdeuten dürfen?
Wer deutet ihn an dem andern Jünger — ſey es nun
Johannes, oder ein anderer geweſen, übel? — War-
nungen vor den erſten Schritten zur Sünde — und zur
Gelegenheit zur Sünde ſind freylich nie überflüßig, und
ſie mögen auch bey dieſer Stelle füglich angebracht wer-
den. Aber, welch ein Unterſchied, leichtſinniger Weiſe
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um den Ausgang des Schickſals des treuſten Freundes
und Meiſters abzuwarten!
221. Falſche
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 477[497]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/505>, abgerufen am 24.11.2024.
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