stärkt von der Hölle -- das Liebevollste und heiligste Angesicht berühren, küssen -- Jesum umarmen -- mit Ihm sprechen: Sey gegrüßt, Meister! -- Man darf alles, wenn man sich einmahl über die heiligsten Empfindungen weggesetzt und gegen jeden Eindruck gegen- wärtiger Liebe sich verhärtet -- über gewisse Punkte herausgegangen, und Bosheit und Schaamlosigkeit fin- det keine Grenzen mehr.
Und wie beträgt sich Jesus in diesem ernsten Mo- mente? -- Als wenn Er keine Kraft hätte -- wie die ewige Liebe begegnet Er dem Verräther -- Freund! Warum bist du gekommen? -- Juda! Und du verräthest des Menschen Sohn mit einem Kus- se? -- -- Die Weisheit kann nicht weiser, die Huld nicht sanfter sprechen -- Dieß Wort und sein Blick, wie sanft oder ernst er immer gewesen sey -- Wie muß es ihm durch die Seele gegangen seyn! Jedes freund- liche oder ernstliche Wort aus dem Munde des Herrn, wie wird es dem falschen, treulosen Herzen unerträglich werden; Wie das Innerste ewig durchdringen!
Da traten sie hinzu, legten die Hände an Jesum und banden Ihn... Das war gewiß ein zweyter Donnerschlag für Judas, der vermuthlich ver- muthet hatte, daß Jesus dieß nicht werde geschehen las- sen, sondern wie mehrmahls den Händen seiner Feinde entgehen würde. Aber! Nein -- gebunden werden wollte und mußte Jesus, um in der eigentlichsten Skla- vengestalt -- als das Haupt der Gebundenen -- vor Gott im Namen des Menschengeschlechtes zu erscheinen. --
217. Wort
Matthäus XXVI.
ſtärkt von der Hölle — das Liebevollſte und heiligſte Angeſicht berühren, küſſen — Jeſum umarmen — mit Ihm ſprechen: Sey gegrüßt, Meiſter! — Man darf alles, wenn man ſich einmahl über die heiligſten Empfindungen weggeſetzt und gegen jeden Eindruck gegen- wärtiger Liebe ſich verhärtet — über gewiſſe Punkte herausgegangen, und Bosheit und Schaamloſigkeit fin- det keine Grenzen mehr.
Und wie beträgt ſich Jeſus in dieſem ernſten Mo- mente? — Als wenn Er keine Kraft hätte — wie die ewige Liebe begegnet Er dem Verräther — Freund! Warum biſt du gekommen? — Juda! Und du verrätheſt des Menſchen Sohn mit einem Kuſ- ſe? — — Die Weisheit kann nicht weiſer, die Huld nicht ſanfter ſprechen — Dieß Wort und ſein Blick, wie ſanft oder ernſt er immer geweſen ſey — Wie muß es ihm durch die Seele gegangen ſeyn! Jedes freund- liche oder ernſtliche Wort aus dem Munde des Herrn, wie wird es dem falſchen, treuloſen Herzen unerträglich werden; Wie das Innerſte ewig durchdringen!
Da traten ſie hinzu, legten die Hände an Jeſum und banden Ihn... Das war gewiß ein zweyter Donnerſchlag für Judas, der vermuthlich ver- muthet hatte, daß Jeſus dieß nicht werde geſchehen laſ- ſen, ſondern wie mehrmahls den Händen ſeiner Feinde entgehen würde. Aber! Nein — gebunden werden wollte und mußte Jeſus, um in der eigentlichſten Skla- vengeſtalt — als das Haupt der Gebundenen — vor Gott im Namen des Menſchengeſchlechtes zu erſcheinen. —
217. Wort
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[470[490]/0498]
Matthäus XXVI.
ſtärkt von der Hölle — das Liebevollſte und heiligſte
Angeſicht berühren, küſſen — Jeſum umarmen —
mit Ihm ſprechen: Sey gegrüßt, Meiſter! — Man
darf alles, wenn man ſich einmahl über die heiligſten
Empfindungen weggeſetzt und gegen jeden Eindruck gegen-
wärtiger Liebe ſich verhärtet — über gewiſſe Punkte
herausgegangen, und Bosheit und Schaamloſigkeit fin-
det keine Grenzen mehr.
Und wie beträgt ſich Jeſus in dieſem ernſten Mo-
mente? — Als wenn Er keine Kraft hätte — wie die
ewige Liebe begegnet Er dem Verräther — Freund!
Warum biſt du gekommen? — Juda! Und du
verrätheſt des Menſchen Sohn mit einem Kuſ-
ſe? — — Die Weisheit kann nicht weiſer, die Huld
nicht ſanfter ſprechen — Dieß Wort und ſein Blick,
wie ſanft oder ernſt er immer geweſen ſey — Wie muß
es ihm durch die Seele gegangen ſeyn! Jedes freund-
liche oder ernſtliche Wort aus dem Munde des Herrn, wie
wird es dem falſchen, treuloſen Herzen unerträglich
werden; Wie das Innerſte ewig durchdringen!
Da traten ſie hinzu, legten die Hände an
Jeſum und banden Ihn... Das war gewiß ein
zweyter Donnerſchlag für Judas, der vermuthlich ver-
muthet hatte, daß Jeſus dieß nicht werde geſchehen laſ-
ſen, ſondern wie mehrmahls den Händen ſeiner Feinde
entgehen würde. Aber! Nein — gebunden werden
wollte und mußte Jeſus, um in der eigentlichſten Skla-
vengeſtalt — als das Haupt der Gebundenen — vor
Gott im Namen des Menſchengeſchlechtes zu erſcheinen. —
217. Wort
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 470[490]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/498>, abgerufen am 23.11.2024.
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