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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XXVI.
-- wenn seine Seele um und um bis auf den Tod
bekümmert ist.
Die Sünden anderer also mußten
Ihm bange machen, da es unmöglich war, daß eigene
felbstbegangene Sünden Ihm hätten bange machen kön-
nen. In diesem Sinne konnte Er doch ziemlich buch-
stäblich die Sünden der Welt tragen. Je unem-
pfindlicher und gleichgültiger die Menschen gegen Tu-
gend und Laster, gegen Belohnungen und Strafen der
Zukunft waren und sind -- desto weniger gleichgültig,
desto empfindlicher mußte Er dagegen seyn -- wenn Ihn
nichts gedrückt hätte, als diese allgemeine Schlafsucht
und Gleichgültigkeit der Menschen, wie unermeßlich
viel hätte Er schon in einem einzigen Momente, wo sich
das Ihm klärer als je, gleichsam in Einer Summe dar-
stellt -- bloß daran zu tragen gehabt. --

2. Aber wie verhält sich Jesus unter der unge-
heuren Last peinlicher Vorstellungen, die sich in seiner
Seele heisser als nie, zusammen drängten? Er bethet.
Er beugt seine Kniee vor dem Allmächtigen; Er neigt
sein Angesicht zur Erde vor seinem Vater. Sein Va-
ter
ist allmächtig; Der Allmächtige ist sein Vater.
Der Allerbeste kann alles. Der alles kann, will das
Allerbeste. Der Allmächtige Vater hat sein Schicksal
in seiner Hand. Er kann den bittern Kelch der Lei-
den
(Schönes Bild -- Leiden ist ein Kelch voll
Arzney
) von Ihm nehmen. Aber, Er will es nicht
erzwingen, nicht erstürmen. Kindlich dehmüthig schmiegt
Er sich unter den weisesten Willen des Vaters. -- --
Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!

Nicht,

Matthäus XXVI.
— wenn ſeine Seele um und um bis auf den Tod
bekümmert iſt.
Die Sünden anderer alſo mußten
Ihm bange machen, da es unmöglich war, daß eigene
felbſtbegangene Sünden Ihm hätten bange machen kön-
nen. In dieſem Sinne konnte Er doch ziemlich buch-
ſtäblich die Sünden der Welt tragen. Je unem-
pfindlicher und gleichgültiger die Menſchen gegen Tu-
gend und Laſter, gegen Belohnungen und Strafen der
Zukunft waren und ſind — deſto weniger gleichgültig,
deſto empfindlicher mußte Er dagegen ſeyn — wenn Ihn
nichts gedrückt hätte, als dieſe allgemeine Schlafſucht
und Gleichgültigkeit der Menſchen, wie unermeßlich
viel hätte Er ſchon in einem einzigen Momente, wo ſich
das Ihm klärer als je, gleichſam in Einer Summe dar-
ſtellt — bloß daran zu tragen gehabt. —

2. Aber wie verhält ſich Jeſus unter der unge-
heuren Laſt peinlicher Vorſtellungen, die ſich in ſeiner
Seele heiſſer als nie, zuſammen drängten? Er bethet.
Er beugt ſeine Kniee vor dem Allmächtigen; Er neigt
ſein Angeſicht zur Erde vor ſeinem Vater. Sein Va-
ter
iſt allmächtig; Der Allmächtige iſt ſein Vater.
Der Allerbeſte kann alles. Der alles kann, will das
Allerbeſte. Der Allmächtige Vater hat ſein Schickſal
in ſeiner Hand. Er kann den bittern Kelch der Lei-
den
(Schönes Bild — Leiden iſt ein Kelch voll
Arzney
) von Ihm nehmen. Aber, Er will es nicht
erzwingen, nicht erſtürmen. Kindlich dehmüthig ſchmiegt
Er ſich unter den weiſeſten Willen des Vaters. — —
Doch nicht mein, ſondern dein Wille geſchehe!

Nicht,
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[464[484]/0492] Matthäus XXVI. — wenn ſeine Seele um und um bis auf den Tod bekümmert iſt. Die Sünden anderer alſo mußten Ihm bange machen, da es unmöglich war, daß eigene felbſtbegangene Sünden Ihm hätten bange machen kön- nen. In dieſem Sinne konnte Er doch ziemlich buch- ſtäblich die Sünden der Welt tragen. Je unem- pfindlicher und gleichgültiger die Menſchen gegen Tu- gend und Laſter, gegen Belohnungen und Strafen der Zukunft waren und ſind — deſto weniger gleichgültig, deſto empfindlicher mußte Er dagegen ſeyn — wenn Ihn nichts gedrückt hätte, als dieſe allgemeine Schlafſucht und Gleichgültigkeit der Menſchen, wie unermeßlich viel hätte Er ſchon in einem einzigen Momente, wo ſich das Ihm klärer als je, gleichſam in Einer Summe dar- ſtellt — bloß daran zu tragen gehabt. — 2. Aber wie verhält ſich Jeſus unter der unge- heuren Laſt peinlicher Vorſtellungen, die ſich in ſeiner Seele heiſſer als nie, zuſammen drängten? Er bethet. Er beugt ſeine Kniee vor dem Allmächtigen; Er neigt ſein Angeſicht zur Erde vor ſeinem Vater. Sein Va- ter iſt allmächtig; Der Allmächtige iſt ſein Vater. Der Allerbeſte kann alles. Der alles kann, will das Allerbeſte. Der Allmächtige Vater hat ſein Schickſal in ſeiner Hand. Er kann den bittern Kelch der Lei- den (Schönes Bild — Leiden iſt ein Kelch voll Arzney) von Ihm nehmen. Aber, Er will es nicht erzwingen, nicht erſtürmen. Kindlich dehmüthig ſchmiegt Er ſich unter den weiſeſten Willen des Vaters. — — Doch nicht mein, ſondern dein Wille geſchehe! Nicht,

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 464[484]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/492>, abgerufen am 22.11.2024.