Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Judas Ischariot.
ner Handlung -- so sind dir die unmenschlichsten Hand-
lungen ein Spiel.

4. Und er suchte von da an Gelegenheit, wie
er Ihn verriethe?

Welch eine bejammernswürdige Gemüthsverfassung!
Immer mit dem Gedanken schwanger: "Einmahl soll's
&q;dieser Dehmüthigungen genug seyn! Das Wort der
&q;Beschämung soll Ihm theu'r genug zu stehen kommen!
&q;Auf seine Schritte und Tritte soll von nun an scharf
&q;gelauert werden. -- Wo will der Meister wohl diese
&q;Nacht hinbringen? Wird Er wohl in Gethsemane schla-
&q;fen?" -- und dann alle Abende in den Pallast des Hohen-
priesters geschlichen -- -- "Noch ist's nicht thunlich ..
&q;Noch weiß ich die Stelle nicht gewiß, wo Er zu treffen
&q;seyn mögte. Gewiß bleibt Er über die Festzeit zu Je-
&q;rusalem. . Haltet euch nur in guter Bereitschaft. Er
&q;hat selten alle Zwölfe um sich; Größtentheils nur
&q;drey seiner Lieblinge -- wir alle haben nicht mehr als
&q;zwey Schwerdter. Des Nachts hat Er niemand um
&q;sich vom Volke, wie häufig es Ihn auch des Tages
&q;begleiten mag. -- Seyd meiner Aufmerksamkeit sicher.
&q;Er vertraut mir manches. Er denkt an nichts Vöses
&q;-- übrigens seh' ich immer mehr ein, daß nichts an
&q;Ihm ist. Er hat eine scharfe Zunge. Man kann
&q;Ihm nichts recht machen. Das Einemahl empfiehlt
&q;Er Barmherzigkeit -- das anderemahl läßt Er sich so
&q;heraus, als ob Ihm an den Armen nichts gelegen
&q;wäre. Wahr ist's, Geld hat Er keines, jemand zu
&q;bestechen oder auf seine Seite zu bringen -- Wie

&q;kann

Judas Iſchariot.
ner Handlung — ſo ſind dir die unmenſchlichſten Hand-
lungen ein Spiel.

4. Und er ſuchte von da an Gelegenheit, wie
er Ihn verriethe?

Welch eine bejammernswürdige Gemüthsverfaſſung!
Immer mit dem Gedanken ſchwanger: „Einmahl ſoll’s
&q;dieſer Dehmüthigungen genug ſeyn! Das Wort der
&q;Beſchämung ſoll Ihm theu’r genug zu ſtehen kommen!
&q;Auf ſeine Schritte und Tritte ſoll von nun an ſcharf
&q;gelauert werden. — Wo will der Meiſter wohl dieſe
&q;Nacht hinbringen? Wird Er wohl in Gethſemane ſchla-
&q;fen?„ — und dann alle Abende in den Pallaſt des Hohen-
prieſters geſchlichen — — „Noch iſt’s nicht thunlich ..
&q;Noch weiß ich die Stelle nicht gewiß, wo Er zu treffen
&q;ſeyn mögte. Gewiß bleibt Er über die Feſtzeit zu Je-
&q;ruſalem. . Haltet euch nur in guter Bereitſchaft. Er
&q;hat ſelten alle Zwölfe um ſich; Größtentheils nur
&q;drey ſeiner Lieblinge — wir alle haben nicht mehr als
&q;zwey Schwerdter. Des Nachts hat Er niemand um
&q;ſich vom Volke, wie häufig es Ihn auch des Tages
&q;begleiten mag. — Seyd meiner Aufmerkſamkeit ſicher.
&q;Er vertraut mir manches. Er denkt an nichts Vöſes
&q;— übrigens ſeh’ ich immer mehr ein, daß nichts an
&q;Ihm iſt. Er hat eine ſcharfe Zunge. Man kann
&q;Ihm nichts recht machen. Das Einemahl empfiehlt
&q;Er Barmherzigkeit — das anderemahl läßt Er ſich ſo
&q;heraus, als ob Ihm an den Armen nichts gelegen
&q;wäre. Wahr iſt’s, Geld hat Er keines, jemand zu
&q;beſtechen oder auf ſeine Seite zu bringen — Wie

&q;kann
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0475" n="447[467]"/><fw place="top" type="header">Judas I&#x017F;chariot.</fw><lb/>
ner Handlung &#x2014; &#x017F;o &#x017F;ind dir die unmen&#x017F;chlich&#x017F;ten Hand-<lb/>
lungen ein Spiel.</p><lb/>
            <p>4. <hi rendition="#fr">Und er &#x017F;uchte von da an Gelegenheit, wie<lb/>
er Ihn verriethe?</hi></p><lb/>
            <p>Welch eine bejammernswürdige Gemüthsverfa&#x017F;&#x017F;ung!<lb/>
Immer mit dem Gedanken &#x017F;chwanger: &#x201E;Einmahl &#x017F;oll&#x2019;s<lb/>
&amp;q;die&#x017F;er Dehmüthigungen genug &#x017F;eyn! Das Wort der<lb/>
&amp;q;Be&#x017F;chämung &#x017F;oll Ihm theu&#x2019;r genug zu &#x017F;tehen kommen!<lb/>
&amp;q;Auf &#x017F;eine Schritte und Tritte &#x017F;oll von nun an &#x017F;charf<lb/>
&amp;q;gelauert werden. &#x2014; Wo will der Mei&#x017F;ter wohl die&#x017F;e<lb/>
&amp;q;Nacht hinbringen? Wird Er wohl in Geth&#x017F;emane &#x017F;chla-<lb/>
&amp;q;fen?&#x201E; &#x2014; und dann alle Abende in den Palla&#x017F;t des Hohen-<lb/>
prie&#x017F;ters ge&#x017F;chlichen &#x2014; &#x2014; &#x201E;Noch i&#x017F;t&#x2019;s nicht thunlich ..<lb/>
&amp;q;Noch weiß ich die Stelle nicht gewiß, wo Er zu treffen<lb/>
&amp;q;&#x017F;eyn mögte. Gewiß bleibt Er über die Fe&#x017F;tzeit zu Je-<lb/>
&amp;q;ru&#x017F;alem. . Haltet euch nur in guter Bereit&#x017F;chaft. Er<lb/>
&amp;q;hat &#x017F;elten alle Zwölfe um &#x017F;ich; Größtentheils nur<lb/>
&amp;q;drey &#x017F;einer Lieblinge &#x2014; wir alle haben nicht mehr als<lb/>
&amp;q;zwey Schwerdter. Des Nachts hat Er niemand um<lb/>
&amp;q;&#x017F;ich vom Volke, wie häufig es Ihn auch des Tages<lb/>
&amp;q;begleiten mag. &#x2014; Seyd meiner Aufmerk&#x017F;amkeit &#x017F;icher.<lb/>
&amp;q;Er vertraut mir manches. Er denkt an nichts Vö&#x017F;es<lb/>
&amp;q;&#x2014; übrigens &#x017F;eh&#x2019; ich immer mehr ein, daß nichts an<lb/>
&amp;q;Ihm i&#x017F;t. Er hat eine &#x017F;charfe Zunge. Man kann<lb/>
&amp;q;Ihm nichts recht machen. Das Einemahl empfiehlt<lb/>
&amp;q;Er Barmherzigkeit &#x2014; das anderemahl läßt Er &#x017F;ich &#x017F;o<lb/>
&amp;q;heraus, als ob Ihm an den Armen nichts gelegen<lb/>
&amp;q;wäre. Wahr i&#x017F;t&#x2019;s, Geld hat Er keines, jemand zu<lb/>
&amp;q;be&#x017F;techen oder auf &#x017F;eine Seite zu bringen &#x2014; Wie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&amp;q;kann</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[447[467]/0475] Judas Iſchariot. ner Handlung — ſo ſind dir die unmenſchlichſten Hand- lungen ein Spiel. 4. Und er ſuchte von da an Gelegenheit, wie er Ihn verriethe? Welch eine bejammernswürdige Gemüthsverfaſſung! Immer mit dem Gedanken ſchwanger: „Einmahl ſoll’s &q;dieſer Dehmüthigungen genug ſeyn! Das Wort der &q;Beſchämung ſoll Ihm theu’r genug zu ſtehen kommen! &q;Auf ſeine Schritte und Tritte ſoll von nun an ſcharf &q;gelauert werden. — Wo will der Meiſter wohl dieſe &q;Nacht hinbringen? Wird Er wohl in Gethſemane ſchla- &q;fen?„ — und dann alle Abende in den Pallaſt des Hohen- prieſters geſchlichen — — „Noch iſt’s nicht thunlich .. &q;Noch weiß ich die Stelle nicht gewiß, wo Er zu treffen &q;ſeyn mögte. Gewiß bleibt Er über die Feſtzeit zu Je- &q;ruſalem. . Haltet euch nur in guter Bereitſchaft. Er &q;hat ſelten alle Zwölfe um ſich; Größtentheils nur &q;drey ſeiner Lieblinge — wir alle haben nicht mehr als &q;zwey Schwerdter. Des Nachts hat Er niemand um &q;ſich vom Volke, wie häufig es Ihn auch des Tages &q;begleiten mag. — Seyd meiner Aufmerkſamkeit ſicher. &q;Er vertraut mir manches. Er denkt an nichts Vöſes &q;— übrigens ſeh’ ich immer mehr ein, daß nichts an &q;Ihm iſt. Er hat eine ſcharfe Zunge. Man kann &q;Ihm nichts recht machen. Das Einemahl empfiehlt &q;Er Barmherzigkeit — das anderemahl läßt Er ſich ſo &q;heraus, als ob Ihm an den Armen nichts gelegen &q;wäre. Wahr iſt’s, Geld hat Er keines, jemand zu &q;beſtechen oder auf ſeine Seite zu bringen — Wie &q;kann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/475
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 447[467]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/475>, abgerufen am 23.11.2024.