die Wahrheit nicht liebt, haßt sie. Wer sie haßt, haßt den Zeugen der Wahrheit. Ueber diesem Hasse vergißt er Himmel und Hölle, Zeit und Ewigkeit. Man wird unsinnig. -- Wie einer dehmüthigende belehrende Wahr- heit aufnimmt, so ist sein Herz beschaffen. Die Annah- me der Wahrheit oder die Rache gegen den Zeugen der verworfenen Wahrheit bestimmt allein schon den Werth oder Unwerth unsers Herzens.
2. Wer sich wider die Wahrheit und Tugend mit ihrem Feinde vereinigt und verschwört, der ist vom Gei- ste Judas Ischariots beseelt.
3. Was wollet ihr mir geben, und ich will Ihn euch in die Hände liefern. -- Statt aller hier vielleicht erwarteten, hier natürlichen Ausrufungen über das ungeheuer niedrige Betragen des undankbar- sten und rachevollsten Menschen -- Lieber eine Frage an unser Herz: -- "würde keiner von uns, keiner unsern &q;Herrn auf keine Weise um dreyßig Gulden verkau- &q;fen? -- Keiner um diesen oder einen ähnlichen Preis &q;gegen seine Ueberzeugung auf eine solche Weise wider &q;Christus oder einen Jünger Christi reden -- daß der Eine oder der andere dadurch wie preis gegeben, wie verkauft wäre?" -- Sprich nie, mein Freund! So was ist mir unmöglich! Solch einer Abscheulichkeit ist mein Herz unfähig -- so lange du der Rache und des Geitzes fähig bist. Jegliche dieser Leidenschaften für sich allein schon ist eine Mutter solcher Abscheulichkei- ten. Vereinigen sich Beyde zu Einem Grundtriebe ei-
ner
Matthäus XXVI.
die Wahrheit nicht liebt, haßt ſie. Wer ſie haßt, haßt den Zeugen der Wahrheit. Ueber dieſem Haſſe vergißt er Himmel und Hölle, Zeit und Ewigkeit. Man wird unſinnig. — Wie einer dehmüthigende belehrende Wahr- heit aufnimmt, ſo iſt ſein Herz beſchaffen. Die Annah- me der Wahrheit oder die Rache gegen den Zeugen der verworfenen Wahrheit beſtimmt allein ſchon den Werth oder Unwerth unſers Herzens.
2. Wer ſich wider die Wahrheit und Tugend mit ihrem Feinde vereinigt und verſchwört, der iſt vom Gei- ſte Judas Iſchariots beſeelt.
3. Was wollet ihr mir geben, und ich will Ihn euch in die Hände liefern. — Statt aller hier vielleicht erwarteten, hier natürlichen Ausrufungen über das ungeheuer niedrige Betragen des undankbar- ſten und rachevollſten Menſchen — Lieber eine Frage an unſer Herz: — „würde keiner von uns, keiner unſern &q;Herrn auf keine Weiſe um dreyßig Gulden verkau- &q;fen? — Keiner um dieſen oder einen ähnlichen Preis &q;gegen ſeine Ueberzeugung auf eine ſolche Weiſe wider &q;Chriſtus oder einen Jünger Chriſti reden — daß der Eine oder der andere dadurch wie preis gegeben, wie verkauft wäre?„ — Sprich nie, mein Freund! So was iſt mir unmöglich! Solch einer Abſcheulichkeit iſt mein Herz unfähig — ſo lange du der Rache und des Geitzes fähig biſt. Jegliche dieſer Leidenſchaften für ſich allein ſchon iſt eine Mutter ſolcher Abſcheulichkei- ten. Vereinigen ſich Beyde zu Einem Grundtriebe ei-
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[446[466]/0474]
Matthäus XXVI.
die Wahrheit nicht liebt, haßt ſie. Wer ſie haßt, haßt
den Zeugen der Wahrheit. Ueber dieſem Haſſe vergißt
er Himmel und Hölle, Zeit und Ewigkeit. Man wird
unſinnig. — Wie einer dehmüthigende belehrende Wahr-
heit aufnimmt, ſo iſt ſein Herz beſchaffen. Die Annah-
me der Wahrheit oder die Rache gegen den Zeugen der
verworfenen Wahrheit beſtimmt allein ſchon den Werth
oder Unwerth unſers Herzens.
2. Wer ſich wider die Wahrheit und Tugend mit
ihrem Feinde vereinigt und verſchwört, der iſt vom Gei-
ſte Judas Iſchariots beſeelt.
3. Was wollet ihr mir geben, und ich will
Ihn euch in die Hände liefern. — Statt aller
hier vielleicht erwarteten, hier natürlichen Ausrufungen
über das ungeheuer niedrige Betragen des undankbar-
ſten und rachevollſten Menſchen — Lieber eine Frage an
unſer Herz: — „würde keiner von uns, keiner unſern
&q;Herrn auf keine Weiſe um dreyßig Gulden verkau-
&q;fen? — Keiner um dieſen oder einen ähnlichen Preis
&q;gegen ſeine Ueberzeugung auf eine ſolche Weiſe wider
&q;Chriſtus oder einen Jünger Chriſti reden — daß
der Eine oder der andere dadurch wie preis gegeben, wie
verkauft wäre?„ — Sprich nie, mein Freund! So
was iſt mir unmöglich! Solch einer Abſcheulichkeit iſt
mein Herz unfähig — ſo lange du der Rache und des
Geitzes fähig biſt. Jegliche dieſer Leidenſchaften für
ſich allein ſchon iſt eine Mutter ſolcher Abſcheulichkei-
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 446[466]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/474>, abgerufen am 23.11.2024.
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