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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XXVI.
daran denken, daß sie dem Herrn durch ihre Salbung
-- die letzte Ehre erwies! Mögten wir alles, was
wir gegen andere thun, so thun, daß wir nicht erschre-
cken dürften, wenn es unsere letzte Handlung gegen sie
wäre. Wie schön -- jede That so zu thun, als ob sie
für uns oder andere die letzte wäre, wenn wir auch
nicht daran denken, daß es wirklich die Letzte sey.

7. Sie hat das gethan, daß man mich be-
graben wird
-- Mit anderen Worten -- Mich zum
Begräbniß vorbereitet. "Ihr hättet doch, nach jüdi-
&q;schen Sitten nichts darwider, wenn sie an meinen
&q;todten Leichnam diese Salbe verwendet hätte -- und
&q;es sollte Verbrechen seyn, daß sie das an dem Leben-
&q;den that -- der ohnehin schon den Einen Fuß im
&q;Grabe hat -- schon so viel als dem Tode heimgefal-
&q;len ist?"

8. Die Armen habt ihr allezeit bey euch,
und wenn ihr wollet; So könnet ihr ihnen Gu-
tes thun -- Mich aber habet ihr nicht allezeit
--
Sagt er denen, oder dem, dem weder die Armen noch
Er angelegen waren -- wem es darum zu thun ist,
wer Freude daran hat, Gutes zu thun, dem wird es
nie an Gelegenheiten, selten an allen Kräften fehlen.
Uebrigens ist's eine der gemeinsten und schrecklichsten
Heucheleyen, die unser Herr hier beschämen will -- daß
man am liebsten von denjenigen Tugenden den Schein
annehmen will, von welchen uns das Wesen fehlet.
Der Geitzigste spricht von Wohlthätigkeit gegen die

Armen

Matthäus XXVI.
daran denken, daß ſie dem Herrn durch ihre Salbung
— die letzte Ehre erwies! Mögten wir alles, was
wir gegen andere thun, ſo thun, daß wir nicht erſchre-
cken dürften, wenn es unſere letzte Handlung gegen ſie
wäre. Wie ſchön — jede That ſo zu thun, als ob ſie
für uns oder andere die letzte wäre, wenn wir auch
nicht daran denken, daß es wirklich die Letzte ſey.

7. Sie hat das gethan, daß man mich be-
graben wird
— Mit anderen Worten — Mich zum
Begräbniß vorbereitet. „Ihr hättet doch, nach jüdi-
&q;ſchen Sitten nichts darwider, wenn ſie an meinen
&q;todten Leichnam dieſe Salbe verwendet hätte — und
&q;es ſollte Verbrechen ſeyn, daß ſie das an dem Leben-
&q;den that — der ohnehin ſchon den Einen Fuß im
&q;Grabe hat — ſchon ſo viel als dem Tode heimgefal-
&q;len iſt?„

8. Die Armen habt ihr allezeit bey euch,
und wenn ihr wollet; So könnet ihr ihnen Gu-
tes thun — Mich aber habet ihr nicht allezeit

Sagt er denen, oder dem, dem weder die Armen noch
Er angelegen waren — wem es darum zu thun iſt,
wer Freude daran hat, Gutes zu thun, dem wird es
nie an Gelegenheiten, ſelten an allen Kräften fehlen.
Uebrigens iſt’s eine der gemeinſten und ſchrecklichſten
Heucheleyen, die unſer Herr hier beſchämen will — daß
man am liebſten von denjenigen Tugenden den Schein
annehmen will, von welchen uns das Weſen fehlet.
Der Geitzigſte ſpricht von Wohlthätigkeit gegen die

Armen
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[444[464]/0472] Matthäus XXVI. daran denken, daß ſie dem Herrn durch ihre Salbung — die letzte Ehre erwies! Mögten wir alles, was wir gegen andere thun, ſo thun, daß wir nicht erſchre- cken dürften, wenn es unſere letzte Handlung gegen ſie wäre. Wie ſchön — jede That ſo zu thun, als ob ſie für uns oder andere die letzte wäre, wenn wir auch nicht daran denken, daß es wirklich die Letzte ſey. 7. Sie hat das gethan, daß man mich be- graben wird — Mit anderen Worten — Mich zum Begräbniß vorbereitet. „Ihr hättet doch, nach jüdi- &q;ſchen Sitten nichts darwider, wenn ſie an meinen &q;todten Leichnam dieſe Salbe verwendet hätte — und &q;es ſollte Verbrechen ſeyn, daß ſie das an dem Leben- &q;den that — der ohnehin ſchon den Einen Fuß im &q;Grabe hat — ſchon ſo viel als dem Tode heimgefal- &q;len iſt?„ 8. Die Armen habt ihr allezeit bey euch, und wenn ihr wollet; So könnet ihr ihnen Gu- tes thun — Mich aber habet ihr nicht allezeit — Sagt er denen, oder dem, dem weder die Armen noch Er angelegen waren — wem es darum zu thun iſt, wer Freude daran hat, Gutes zu thun, dem wird es nie an Gelegenheiten, ſelten an allen Kräften fehlen. Uebrigens iſt’s eine der gemeinſten und ſchrecklichſten Heucheleyen, die unſer Herr hier beſchämen will — daß man am liebſten von denjenigen Tugenden den Schein annehmen will, von welchen uns das Weſen fehlet. Der Geitzigſte ſpricht von Wohlthätigkeit gegen die Armen

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 444[464]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/472>, abgerufen am 22.11.2024.