oder geistige Glücksgaben nennen; Gelegenheiten und Verhältnisse, worinn und wobey man wirksam seyn kann; was aber alles nach dem Sinne des Evangeliums nicht Eigenthum des Menschen, der es sich ja nicht selber ge- geben hat, sondern nur anvertrautes Gut ist, womit er seinem Herrn und seiner Sache dienen soll, und die erst durch guten Gebrauch und durch Vermehrung sein Ei- genthum und sein Glück werden, sonst aber leicht sein Unglück, oder ihm wieder genommen werden können. -- Und diese Talente sind ungleich ausgetheilt. Die- ses läuft für uns Menschen ins Unergründliche hinein, wie und warum der eine mehr, der andere weniger em- pfieng. Wie warnend ist das Gleichniß des Heilands, unsere Gedanken nicht zu lange bey dieser uns unerklär- lichen und oft partheyischscheinenden Verschiedenheit ver- weilen zu lassen, sondern sie immer auf uns selbst, und das Gute, das wir empfangen haben, zurück zu lenken. Wie warnend besonders vor Muthlosigkeit, die bey klei- nen Talenten an ihren Nutzen und Gebrauche verzwei- felt, da doch die kleinern eben so gut, als die grössern, den, der sie empfangen und gebraucht und vermehrt hat, glücklich machen können. Wie warnend und schre- ckend vor dem Neide, dem seine Gaben gleichgültig und ekelhaft werden, weil er Andere mit grössern aus- gestattet sieht, oder mit glänzendern. Wie ermunternd zum Fleisse, durch das Beyspiel derer, die das Ihrige verdoppeln, und wie schreckend vor der Trägheit, die das Ihrige ungebraucht liegen und vermodern läßt.
3. Ueber
Ungleiche Talente.
oder geiſtige Glücksgaben nennen; Gelegenheiten und Verhältniſſe, worinn und wobey man wirkſam ſeyn kann; was aber alles nach dem Sinne des Evangeliums nicht Eigenthum des Menſchen, der es ſich ja nicht ſelber ge- geben hat, ſondern nur anvertrautes Gut iſt, womit er ſeinem Herrn und ſeiner Sache dienen ſoll, und die erſt durch guten Gebrauch und durch Vermehrung ſein Ei- genthum und ſein Glück werden, ſonſt aber leicht ſein Unglück, oder ihm wieder genommen werden können. — Und dieſe Talente ſind ungleich ausgetheilt. Die- ſes läuft für uns Menſchen ins Unergründliche hinein, wie und warum der eine mehr, der andere weniger em- pfieng. Wie warnend iſt das Gleichniß des Heilands, unſere Gedanken nicht zu lange bey dieſer uns unerklär- lichen und oft partheyiſchſcheinenden Verſchiedenheit ver- weilen zu laſſen, ſondern ſie immer auf uns ſelbſt, und das Gute, das wir empfangen haben, zurück zu lenken. Wie warnend beſonders vor Muthloſigkeit, die bey klei- nen Talenten an ihren Nutzen und Gebrauche verzwei- felt, da doch die kleinern eben ſo gut, als die gröſſern, den, der ſie empfangen und gebraucht und vermehrt hat, glücklich machen können. Wie warnend und ſchre- ckend vor dem Neide, dem ſeine Gaben gleichgültig und ekelhaft werden, weil er Andere mit gröſſern aus- geſtattet ſieht, oder mit glänzendern. Wie ermunternd zum Fleiſſe, durch das Beyſpiel derer, die das Ihrige verdoppeln, und wie ſchreckend vor der Trägheit, die das Ihrige ungebraucht liegen und vermodern läßt.
3. Ueber
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[429[449]/0457]
Ungleiche Talente.
oder geiſtige Glücksgaben nennen; Gelegenheiten und
Verhältniſſe, worinn und wobey man wirkſam ſeyn kann;
was aber alles nach dem Sinne des Evangeliums nicht
Eigenthum des Menſchen, der es ſich ja nicht ſelber ge-
geben hat, ſondern nur anvertrautes Gut iſt, womit er
ſeinem Herrn und ſeiner Sache dienen ſoll, und die erſt
durch guten Gebrauch und durch Vermehrung ſein Ei-
genthum und ſein Glück werden, ſonſt aber leicht ſein
Unglück, oder ihm wieder genommen werden können.
— Und dieſe Talente ſind ungleich ausgetheilt. Die-
ſes läuft für uns Menſchen ins Unergründliche hinein,
wie und warum der eine mehr, der andere weniger em-
pfieng. Wie warnend iſt das Gleichniß des Heilands,
unſere Gedanken nicht zu lange bey dieſer uns unerklär-
lichen und oft partheyiſchſcheinenden Verſchiedenheit ver-
weilen zu laſſen, ſondern ſie immer auf uns ſelbſt, und
das Gute, das wir empfangen haben, zurück zu lenken.
Wie warnend beſonders vor Muthloſigkeit, die bey klei-
nen Talenten an ihren Nutzen und Gebrauche verzwei-
felt, da doch die kleinern eben ſo gut, als die gröſſern,
den, der ſie empfangen und gebraucht und vermehrt
hat, glücklich machen können. Wie warnend und ſchre-
ckend vor dem Neide, dem ſeine Gaben gleichgültig
und ekelhaft werden, weil er Andere mit gröſſern aus-
geſtattet ſieht, oder mit glänzendern. Wie ermunternd
zum Fleiſſe, durch das Beyſpiel derer, die das Ihrige
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 429[449]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/457>, abgerufen am 23.11.2024.
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