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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XXV.
wachet; Denn ihr wisset weder Tag noch Stun-
de, in welcher des Menschen Sohn kommen
wird.

Ich gestehe gern, daß mir vieles in diesem Gleich-
nisse dunkel und räthselhaft ist; So klar und einleuch-
tend die Hauptsache ist. Die Summa und der Zweck die-
ses, wie des vorhergehenden und folgenden Gleichnisses
ist offenbar Erweckung zur Wachsamkeit -- zur Bereit-
schaft auf den würdigen frohen Empfang des göttli-
chen Königes. Die Applikation des Herrn ist diese:
Wachet; Denn ihr wisset weder den Tag noch
die Stunde, in welcher der Sohn des Menschen
kommt:
Denkt immer: Es ist die letzte Stunde, die letzte,
wenigstens für mich, da ich mich vorbereiten kann. Ich
weiß nicht wann? Aber ich weiß, daß Er gewiß kommt;
Daß ich bald Ihm entgegen muß -- daß ich nicht oh-
ne Schrecken Ihm entgegen gehen kann, wenn ich un-
bereitet bin -- das ist, nicht so gut bin als ich seyn
soll und kann. Indeß scheinen mir doch auch folgende
Winke deutlich drinn zu liegen:

1. Man kann sich sehr leicht bethören und glau-
ben, man habe alles, wenn einem doch gerade noch das
wesentliche fehlt. Wie wahr ist übrigens dieß Bild
von dem bloß äusserlichen Christenthum, das vollkom-
men den Lampen ohne Oehl gleicht.

2. Man kann dieß einzige nothwendige (dieß Oehl
des Geistes) von niemand -- anderm borgen, weil es
jeder für sich selber braucht, und man es nothwendig
selber besitzen muß.

3. Man

Matthäus XXV.
wachet; Denn ihr wiſſet weder Tag noch Stun-
de, in welcher des Menſchen Sohn kommen
wird.

Ich geſtehe gern, daß mir vieles in dieſem Gleich-
niſſe dunkel und räthſelhaft iſt; So klar und einleuch-
tend die Hauptſache iſt. Die Summa und der Zweck die-
ſes, wie des vorhergehenden und folgenden Gleichniſſes
iſt offenbar Erweckung zur Wachſamkeit — zur Bereit-
ſchaft auf den würdigen frohen Empfang des göttli-
chen Königes. Die Applikation des Herrn iſt dieſe:
Wachet; Denn ihr wiſſet weder den Tag noch
die Stunde, in welcher der Sohn des Menſchen
kommt:
Denkt immer: Es iſt die letzte Stunde, die letzte,
wenigſtens für mich, da ich mich vorbereiten kann. Ich
weiß nicht wann? Aber ich weiß, daß Er gewiß kommt;
Daß ich bald Ihm entgegen muß — daß ich nicht oh-
ne Schrecken Ihm entgegen gehen kann, wenn ich un-
bereitet bin — das iſt, nicht ſo gut bin als ich ſeyn
ſoll und kann. Indeß ſcheinen mir doch auch folgende
Winke deutlich drinn zu liegen:

1. Man kann ſich ſehr leicht bethören und glau-
ben, man habe alles, wenn einem doch gerade noch das
weſentliche fehlt. Wie wahr iſt übrigens dieß Bild
von dem bloß äuſſerlichen Chriſtenthum, das vollkom-
men den Lampen ohne Oehl gleicht.

2. Man kann dieß einzige nothwendige (dieß Oehl
des Geiſtes) von niemand — anderm borgen, weil es
jeder für ſich ſelber braucht, und man es nothwendig
ſelber beſitzen muß.

3. Man
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[426[446]/0454] Matthäus XXV. wachet; Denn ihr wiſſet weder Tag noch Stun- de, in welcher des Menſchen Sohn kommen wird. Ich geſtehe gern, daß mir vieles in dieſem Gleich- niſſe dunkel und räthſelhaft iſt; So klar und einleuch- tend die Hauptſache iſt. Die Summa und der Zweck die- ſes, wie des vorhergehenden und folgenden Gleichniſſes iſt offenbar Erweckung zur Wachſamkeit — zur Bereit- ſchaft auf den würdigen frohen Empfang des göttli- chen Königes. Die Applikation des Herrn iſt dieſe: Wachet; Denn ihr wiſſet weder den Tag noch die Stunde, in welcher der Sohn des Menſchen kommt: Denkt immer: Es iſt die letzte Stunde, die letzte, wenigſtens für mich, da ich mich vorbereiten kann. Ich weiß nicht wann? Aber ich weiß, daß Er gewiß kommt; Daß ich bald Ihm entgegen muß — daß ich nicht oh- ne Schrecken Ihm entgegen gehen kann, wenn ich un- bereitet bin — das iſt, nicht ſo gut bin als ich ſeyn ſoll und kann. Indeß ſcheinen mir doch auch folgende Winke deutlich drinn zu liegen: 1. Man kann ſich ſehr leicht bethören und glau- ben, man habe alles, wenn einem doch gerade noch das weſentliche fehlt. Wie wahr iſt übrigens dieß Bild von dem bloß äuſſerlichen Chriſtenthum, das vollkom- men den Lampen ohne Oehl gleicht. 2. Man kann dieß einzige nothwendige (dieß Oehl des Geiſtes) von niemand — anderm borgen, weil es jeder für ſich ſelber braucht, und man es nothwendig ſelber beſitzen muß. 3. Man

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 426[446]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/454>, abgerufen am 22.11.2024.