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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Letztes Schicksal der Unverbesserlichen.
im Kleide der Frömmigkeit -- den Verführer der Ein-
falt und Unschuld -- den kalten, vorsetzlichen Mörder
seiner eigensten, besten Einsicht und Ueberzeugung --
diesen straft und richtet Er, diesem reißt Er die Lar-
ve vom Angesicht, diesen brandmarkt Er mit unaus-
löschlichem Brandmahle zur Warnung aller Verführ-
ten und Verführbaren -- Schriftgelehrte und Phari-
säer, Volksverführer, boshafte Narren und Blinde,
Schlangen und Nattern -- Schälke!

Und zwar nur diese. Fasse das, lieber Leser, ma-
che dir das aus der evangelischen Geschichte recht anschau-
lich und gewiß -- Nur boshafte Lügenfreunde und Wahr-
heitsfeinde, nur Gleichsner und Volksverführer, nur
Pharisäer und Pharisäischgesinnte -- richtet das sanfte
Geduldlamm Gottes; Nur dieser schonet Er nicht, nur
diese durchblitzt, durchglühet Er mit dem Lichte Seiner
Herzenskenntniß. Wie Er da mit den Schriftgelehrten
und Pharisäern spricht, spricht Er mit keinem, mit dem
versunkensten verdorbensten Sünder nie, wenn er nur um-
kehren wollte. Sah' sein alles durchdringendes Auge nur
noch den kleinsten Funken der Ehrlichkeit, der Wahrheits-
liebe und Wahrheitempfänglichkeit -- Da war Er nicht
Herr und Richter, nein -- da war Er lauter Schonung,
Langmuth, Erbarmung. Dem tief verdorbensten Sün-
der, dem versunkensten, elendesten Sklaven der Leiden-
schaft, der zu Ihm kam, Gnade und Rettung bey
Ihm suchte, sich Ihm zu Füssen legte, wie er war,
Ihm bekannte, was er wußte, nichts verheimlichte, be-
schönigte -- Siehe, dem macht Er nicht den min-

desten
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Letztes Schickſal der Unverbeſſerlichen.
im Kleide der Frömmigkeit — den Verführer der Ein-
falt und Unſchuld — den kalten, vorſetzlichen Mörder
ſeiner eigenſten, beſten Einſicht und Ueberzeugung —
dieſen ſtraft und richtet Er, dieſem reißt Er die Lar-
ve vom Angeſicht, dieſen brandmarkt Er mit unaus-
löſchlichem Brandmahle zur Warnung aller Verführ-
ten und Verführbaren — Schriftgelehrte und Phari-
ſäer, Volksverführer, boshafte Narren und Blinde,
Schlangen und Nattern — Schälke!

Und zwar nur dieſe. Faſſe das, lieber Leſer, ma-
che dir das aus der evangeliſchen Geſchichte recht anſchau-
lich und gewiß — Nur boshafte Lügenfreunde und Wahr-
heitsfeinde, nur Gleichsner und Volksverführer, nur
Phariſäer und Phariſäiſchgeſinnte — richtet das ſanfte
Geduldlamm Gottes; Nur dieſer ſchonet Er nicht, nur
dieſe durchblitzt, durchglühet Er mit dem Lichte Seiner
Herzenskenntniß. Wie Er da mit den Schriftgelehrten
und Phariſäern ſpricht, ſpricht Er mit keinem, mit dem
verſunkenſten verdorbenſten Sünder nie, wenn er nur um-
kehren wollte. Sah’ ſein alles durchdringendes Auge nur
noch den kleinſten Funken der Ehrlichkeit, der Wahrheits-
liebe und Wahrheitempfänglichkeit — Da war Er nicht
Herr und Richter, nein — da war Er lauter Schonung,
Langmuth, Erbarmung. Dem tief verdorbenſten Sün-
der, dem verſunkenſten, elendeſten Sklaven der Leiden-
ſchaft, der zu Ihm kam, Gnade und Rettung bey
Ihm ſuchte, ſich Ihm zu Füſſen legte, wie er war,
Ihm bekannte, was er wußte, nichts verheimlichte, be-
ſchönigte — Siehe, dem macht Er nicht den min-

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[377[397]/0405] Letztes Schickſal der Unverbeſſerlichen. im Kleide der Frömmigkeit — den Verführer der Ein- falt und Unſchuld — den kalten, vorſetzlichen Mörder ſeiner eigenſten, beſten Einſicht und Ueberzeugung — dieſen ſtraft und richtet Er, dieſem reißt Er die Lar- ve vom Angeſicht, dieſen brandmarkt Er mit unaus- löſchlichem Brandmahle zur Warnung aller Verführ- ten und Verführbaren — Schriftgelehrte und Phari- ſäer, Volksverführer, boshafte Narren und Blinde, Schlangen und Nattern — Schälke! Und zwar nur dieſe. Faſſe das, lieber Leſer, ma- che dir das aus der evangeliſchen Geſchichte recht anſchau- lich und gewiß — Nur boshafte Lügenfreunde und Wahr- heitsfeinde, nur Gleichsner und Volksverführer, nur Phariſäer und Phariſäiſchgeſinnte — richtet das ſanfte Geduldlamm Gottes; Nur dieſer ſchonet Er nicht, nur dieſe durchblitzt, durchglühet Er mit dem Lichte Seiner Herzenskenntniß. Wie Er da mit den Schriftgelehrten und Phariſäern ſpricht, ſpricht Er mit keinem, mit dem verſunkenſten verdorbenſten Sünder nie, wenn er nur um- kehren wollte. Sah’ ſein alles durchdringendes Auge nur noch den kleinſten Funken der Ehrlichkeit, der Wahrheits- liebe und Wahrheitempfänglichkeit — Da war Er nicht Herr und Richter, nein — da war Er lauter Schonung, Langmuth, Erbarmung. Dem tief verdorbenſten Sün- der, dem verſunkenſten, elendeſten Sklaven der Leiden- ſchaft, der zu Ihm kam, Gnade und Rettung bey Ihm ſuchte, ſich Ihm zu Füſſen legte, wie er war, Ihm bekannte, was er wußte, nichts verheimlichte, be- ſchönigte — Siehe, dem macht Er nicht den min- deſten A a 5

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 377[397]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/405>, abgerufen am 23.11.2024.