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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XXIII.
&q;dem ist es Sünde! Wer sich Schätze erwuchert, erpro-
&q;zeßirt, das ist nichts; Aber wer im Hunger ein Brod
&q;entwendet, oder dem unmenschlichen Reichen eine Ga-
&q;be abnöthigen will, dem ist es Sünde! -- Wer
&q;Witwen und Waysen drückt und dem Tagelöhner
&q;seinen Lohn schmählert, das ist nichts; Aber wer eine
&q;Spielschuld nicht bezahlt, dem ist's unaustilgbare Schan-
&q;de!" Denket nach, liebe Leser, und saget: Hätte ein
Johannes, ein Petrus, ein Paulus, hätte Jesus
Christus
unserm Zeitalter, dem aufgeklärten!! Zeit-
alter keine solche Narrheiten und Verblendungen vorzu-
werfen? Ist nicht wenigstens das allgemeine Narr-
heit und Verblendung das Gegenwärtige dem
Künftigen, das Sichtbare dem Unsichtbaren, die
Schätze der Erde den Schätzen des Himmels,
das Vergängliche dem Unvergänglichen vorzu-
ziehen, und dieses über jenem zu vergessen, zu
vernachläßigen!!
O Herr öffne unsre Augen, daß
wir sehen, und unsre Herzen, daß wir merken!

170.
Pharisäische Buchstäbeley und Kleingeisteley.
Matth.
XXIII.
23. 24.
Luc. XI. 42.

Wehe Euch, ihr Schriftgelehrten und
Pharisäer; Ihr Heuchler, darum daß ihr die Münz
und den Anis und den Kümmel
-- (die klein-
sten unbedeutendsten Kräutgen) verzehendet -- und
die schwereren Stücke des Gesetzes habet ihr
verlassen, nämlich das Gericht und die Barm-
herzigkeit und den Glauben. Diese Stücke soll-

te

Matthäus XXIII.
&q;dem iſt es Sünde! Wer ſich Schätze erwuchert, erpro-
&q;zeßirt, das iſt nichts; Aber wer im Hunger ein Brod
&q;entwendet, oder dem unmenſchlichen Reichen eine Ga-
&q;be abnöthigen will, dem iſt es Sünde! — Wer
&q;Witwen und Wayſen drückt und dem Tagelöhner
&q;ſeinen Lohn ſchmählert, das iſt nichts; Aber wer eine
&q;Spielſchuld nicht bezahlt, dem iſt’s unaustilgbare Schan-
&q;de!„ Denket nach, liebe Leſer, und ſaget: Hätte ein
Johannes, ein Petrus, ein Paulus, hätte Jeſus
Chriſtus
unſerm Zeitalter, dem aufgeklärten!! Zeit-
alter keine ſolche Narrheiten und Verblendungen vorzu-
werfen? Iſt nicht wenigſtens das allgemeine Narr-
heit und Verblendung das Gegenwärtige dem
Künftigen, das Sichtbare dem Unſichtbaren, die
Schätze der Erde den Schätzen des Himmels,
das Vergängliche dem Unvergänglichen vorzu-
ziehen, und dieſes über jenem zu vergeſſen, zu
vernachläßigen!!
O Herr öffne unſre Augen, daß
wir ſehen, und unſre Herzen, daß wir merken!

170.
Phariſäiſche Buchſtäbeley und Kleingeiſteley.
Matth.
XXIII.
23. 24.
Luc. XI. 42.

Wehe Euch, ihr Schriftgelehrten und
Phariſäer; Ihr Heuchler, darum daß ihr die Münz
und den Anis und den Kümmel
— (die klein-
ſten unbedeutendſten Kräutgen) verzehendet — und
die ſchwereren Stücke des Geſetzes habet ihr
verlaſſen, nämlich das Gericht und die Barm-
herzigkeit und den Glauben. Dieſe Stücke ſoll-

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[264[384]/0392] Matthäus XXIII. &q;dem iſt es Sünde! Wer ſich Schätze erwuchert, erpro- &q;zeßirt, das iſt nichts; Aber wer im Hunger ein Brod &q;entwendet, oder dem unmenſchlichen Reichen eine Ga- &q;be abnöthigen will, dem iſt es Sünde! — Wer &q;Witwen und Wayſen drückt und dem Tagelöhner &q;ſeinen Lohn ſchmählert, das iſt nichts; Aber wer eine &q;Spielſchuld nicht bezahlt, dem iſt’s unaustilgbare Schan- &q;de!„ Denket nach, liebe Leſer, und ſaget: Hätte ein Johannes, ein Petrus, ein Paulus, hätte Jeſus Chriſtus unſerm Zeitalter, dem aufgeklärten!! Zeit- alter keine ſolche Narrheiten und Verblendungen vorzu- werfen? Iſt nicht wenigſtens das allgemeine Narr- heit und Verblendung das Gegenwärtige dem Künftigen, das Sichtbare dem Unſichtbaren, die Schätze der Erde den Schätzen des Himmels, das Vergängliche dem Unvergänglichen vorzu- ziehen, und dieſes über jenem zu vergeſſen, zu vernachläßigen!! O Herr öffne unſre Augen, daß wir ſehen, und unſre Herzen, daß wir merken! 170. Phariſäiſche Buchſtäbeley und Kleingeiſteley. Wehe Euch, ihr Schriftgelehrten und Phariſäer; Ihr Heuchler, darum daß ihr die Münz und den Anis und den Kümmel — (die klein- ſten unbedeutendſten Kräutgen) verzehendet — und die ſchwereren Stücke des Geſetzes habet ihr verlaſſen, nämlich das Gericht und die Barm- herzigkeit und den Glauben. Dieſe Stücke ſoll- te

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 264[384]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/392>, abgerufen am 27.07.2024.