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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XXIII.
169.
Pharisäische Blindheit und Narrheit.
Matth.
XXIII.
16-22.

Wehe euch, ihr blinde Führer, die ihr sa-
get, wer bey dem Tempel schwören wird, das
ist nichts; Wer aber bey des Tempels Gold --
beym Tempelschatze -- schwören wird, der ist
schuldig, seinen Eidschwur zu halten. Ihr
Narren und Blinde! Welches ist doch größer --
das Gold oder der Tempel, der das Gold heiligt?
Und wer bey dem Altare schwören wird, das ist
nichts. Wer aber bey dem Opfer auf dem Al-
tare schwören wird, der ist schuldig. Ihr Nar-
ren und Blinde! Welches ist doch größer -- das
Opfer, oder der Altar, der das Opfer heiligt?
Darum wer bey dem Altare schwöret, der schwö-
ret bey demselben und bey allem was darauf ist.
Und wer bey dem Tempel schwöret, der schwöret
bey demselben und bey dem, der denselben be-
wohnet. Und wer bey dem Himmel schwöret,
der schwöret bey dem Throne Gottes und bey
dem, der darauf sitzet.

Die tiefste Blindheit und Dummheit ist gemeinig-
lich mit der ärgsten Schalkheit und Bosheit gepaaret.
Giebts eine blindere, sinnlosere Behauptung, als diese
der Pharisäer: "Ein Eydschwur beym Tempel darf oh-
&q;ne Strafe unerfüllt bleiben -- aber ein Eidschwur beym
&q;Tempelschatze ist verbindlich?" Der Schatz war ja
nichts heiliges, wenn er's nicht eben durch den Tempel

wurde.
Matthäus XXIII.
169.
Phariſäiſche Blindheit und Narrheit.
Matth.
XXIII.
16-22.

Wehe euch, ihr blinde Führer, die ihr ſa-
get, wer bey dem Tempel ſchwören wird, das
iſt nichts; Wer aber bey des Tempels Gold —
beym Tempelſchatze — ſchwören wird, der iſt
ſchuldig, ſeinen Eidſchwur zu halten. Ihr
Narren und Blinde! Welches iſt doch größer —
das Gold oder der Tempel, der das Gold heiligt?
Und wer bey dem Altare ſchwören wird, das iſt
nichts. Wer aber bey dem Opfer auf dem Al-
tare ſchwören wird, der iſt ſchuldig. Ihr Nar-
ren und Blinde! Welches iſt doch größer — das
Opfer, oder der Altar, der das Opfer heiligt?
Darum wer bey dem Altare ſchwöret, der ſchwö-
ret bey demſelben und bey allem was darauf iſt.
Und wer bey dem Tempel ſchwöret, der ſchwöret
bey demſelben und bey dem, der denſelben be-
wohnet. Und wer bey dem Himmel ſchwöret,
der ſchwöret bey dem Throne Gottes und bey
dem, der darauf ſitzet.

Die tiefſte Blindheit und Dummheit iſt gemeinig-
lich mit der ärgſten Schalkheit und Bosheit gepaaret.
Giebts eine blindere, ſinnloſere Behauptung, als dieſe
der Phariſäer: „Ein Eydſchwur beym Tempel darf oh-
&q;ne Strafe unerfüllt bleiben — aber ein Eidſchwur beym
&q;Tempelſchatze iſt verbindlich?„ Der Schatz war ja
nichts heiliges, wenn er’s nicht eben durch den Tempel

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[362[382]/0390] Matthäus XXIII. 169. Phariſäiſche Blindheit und Narrheit. Wehe euch, ihr blinde Führer, die ihr ſa- get, wer bey dem Tempel ſchwören wird, das iſt nichts; Wer aber bey des Tempels Gold — beym Tempelſchatze — ſchwören wird, der iſt ſchuldig, ſeinen Eidſchwur zu halten. Ihr Narren und Blinde! Welches iſt doch größer — das Gold oder der Tempel, der das Gold heiligt? Und wer bey dem Altare ſchwören wird, das iſt nichts. Wer aber bey dem Opfer auf dem Al- tare ſchwören wird, der iſt ſchuldig. Ihr Nar- ren und Blinde! Welches iſt doch größer — das Opfer, oder der Altar, der das Opfer heiligt? Darum wer bey dem Altare ſchwöret, der ſchwö- ret bey demſelben und bey allem was darauf iſt. Und wer bey dem Tempel ſchwöret, der ſchwöret bey demſelben und bey dem, der denſelben be- wohnet. Und wer bey dem Himmel ſchwöret, der ſchwöret bey dem Throne Gottes und bey dem, der darauf ſitzet. Die tiefſte Blindheit und Dummheit iſt gemeinig- lich mit der ärgſten Schalkheit und Bosheit gepaaret. Giebts eine blindere, ſinnloſere Behauptung, als dieſe der Phariſäer: „Ein Eydſchwur beym Tempel darf oh- &q;ne Strafe unerfüllt bleiben — aber ein Eidſchwur beym &q;Tempelſchatze iſt verbindlich?„ Der Schatz war ja nichts heiliges, wenn er’s nicht eben durch den Tempel wurde.

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 362[382]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/390>, abgerufen am 27.07.2024.