Wehe euch, ihr Schriftgelehrten, ihr Heuch- ler! Darum daß ihr das Meer und das Land umziehet -- (die weitesten Reisen unternehmet --) daß ihr einen Judengenossen machet -- (einen Heiden' zum Judenthum bekehret); Und wenn er's denn worden ist, so machet ihr einen Sohn der Hölle -- (einen lasterhaften verdammungswürdigen Menschen) aus ihm, zweyfältig mehr als ihr selbst seyd.
Unseelig, wer diesen heuchlerischen Proselytenma- chern in die Hände fiel, wen sie mit Frömmigkeits- schein an sich locken konnten. Er hoffte Leben zu finden und fand den Tod, hoffte den Himmel zu erben, und stürzte in die unterste Hölle; Betrogen, tief verführt sah' er am Ende, wollt' er nicht im Elende verschmachten, keinen andern Ausweg, als ein Werkzeug der Ungerech- tigkeit seiner Bekehrer, ein Unterhändler ihrer Greuel zu werden. War er vorher schon lasterhaft, so gaben ihm ihre Grundsätze und ihr Beyspiel neue Nahrung; Er lernte in ihrer Schule die ungeheursten dem Heyden- thum selbst unbekannten Werke der Finsterniß -- lernte die satanische Kunst, seine letzte sittliche Empfindung zu erwürgen, und ohne Schaam und Gewissensvorwür- fe, ohne Furcht vor Gott und Menschen aller Wahr- heit, Tugend und Menschlichkeit Hohn zu sprechen. Es ist eine traurige, aber wahre Bemerkung: Der Ver- führte wird zweyfach ärger, als sein Verführet.
Aber
Matthäus XXIII.
168. Heuchleriſche Bekehrungsſucht der Phariſäer.
Matth. XXIII. 15.
Wehe euch, ihr Schriftgelehrten, ihr Heuch- ler! Darum daß ihr das Meer und das Land umziehet — (die weiteſten Reiſen unternehmet —) daß ihr einen Judengenoſſen machet — (einen Heiden’ zum Judenthum bekehret); Und wenn er’s denn worden iſt, ſo machet ihr einen Sohn der Hölle — (einen laſterhaften verdammungswürdigen Menſchen) aus ihm, zweyfältig mehr als ihr ſelbſt ſeyd.
Unſeelig, wer dieſen heuchleriſchen Proſelytenma- chern in die Hände fiel, wen ſie mit Frömmigkeits- ſchein an ſich locken konnten. Er hoffte Leben zu finden und fand den Tod, hoffte den Himmel zu erben, und ſtürzte in die unterſte Hölle; Betrogen, tief verführt ſah’ er am Ende, wollt’ er nicht im Elende verſchmachten, keinen andern Ausweg, als ein Werkzeug der Ungerech- tigkeit ſeiner Bekehrer, ein Unterhändler ihrer Greuel zu werden. War er vorher ſchon laſterhaft, ſo gaben ihm ihre Grundſätze und ihr Beyſpiel neue Nahrung; Er lernte in ihrer Schule die ungeheurſten dem Heyden- thum ſelbſt unbekannten Werke der Finſterniß — lernte die ſataniſche Kunſt, ſeine letzte ſittliche Empfindung zu erwürgen, und ohne Schaam und Gewiſſensvorwür- fe, ohne Furcht vor Gott und Menſchen aller Wahr- heit, Tugend und Menſchlichkeit Hohn zu ſprechen. Es iſt eine traurige, aber wahre Bemerkung: Der Ver- führte wird zweyfach ärger, als ſein Verführet.
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[360[380]/0388]
Matthäus XXIII.
168.
Heuchleriſche Bekehrungsſucht der Phariſäer.
Wehe euch, ihr Schriftgelehrten, ihr Heuch-
ler! Darum daß ihr das Meer und das Land
umziehet — (die weiteſten Reiſen unternehmet —)
daß ihr einen Judengenoſſen machet — (einen
Heiden’ zum Judenthum bekehret); Und wenn er’s
denn worden iſt, ſo machet ihr einen Sohn der
Hölle — (einen laſterhaften verdammungswürdigen
Menſchen) aus ihm, zweyfältig mehr als ihr ſelbſt
ſeyd.
Unſeelig, wer dieſen heuchleriſchen Proſelytenma-
chern in die Hände fiel, wen ſie mit Frömmigkeits-
ſchein an ſich locken konnten. Er hoffte Leben zu finden
und fand den Tod, hoffte den Himmel zu erben, und
ſtürzte in die unterſte Hölle; Betrogen, tief verführt ſah’
er am Ende, wollt’ er nicht im Elende verſchmachten,
keinen andern Ausweg, als ein Werkzeug der Ungerech-
tigkeit ſeiner Bekehrer, ein Unterhändler ihrer Greuel
zu werden. War er vorher ſchon laſterhaft, ſo gaben
ihm ihre Grundſätze und ihr Beyſpiel neue Nahrung;
Er lernte in ihrer Schule die ungeheurſten dem Heyden-
thum ſelbſt unbekannten Werke der Finſterniß — lernte
die ſataniſche Kunſt, ſeine letzte ſittliche Empfindung
zu erwürgen, und ohne Schaam und Gewiſſensvorwür-
fe, ohne Furcht vor Gott und Menſchen aller Wahr-
heit, Tugend und Menſchlichkeit Hohn zu ſprechen. Es
iſt eine traurige, aber wahre Bemerkung: Der Ver-
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