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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XXIII.
168.
Heuchlerische Bekehrungssucht der Pharisäer.
Matth.
XXIII. 15.

Wehe euch, ihr Schriftgelehrten, ihr Heuch-
ler! Darum daß ihr das Meer und das Land
umziehet
-- (die weitesten Reisen unternehmet --)
daß ihr einen Judengenossen machet -- (einen
Heiden' zum Judenthum bekehret); Und wenn er's
denn worden ist, so machet ihr einen Sohn der
Hölle
-- (einen lasterhaften verdammungswürdigen
Menschen) aus ihm, zweyfältig mehr als ihr selbst
seyd.

Unseelig, wer diesen heuchlerischen Proselytenma-
chern in die Hände fiel, wen sie mit Frömmigkeits-
schein an sich locken konnten. Er hoffte Leben zu finden
und fand den Tod, hoffte den Himmel zu erben, und
stürzte in die unterste Hölle; Betrogen, tief verführt sah'
er am Ende, wollt' er nicht im Elende verschmachten,
keinen andern Ausweg, als ein Werkzeug der Ungerech-
tigkeit seiner Bekehrer, ein Unterhändler ihrer Greuel
zu werden. War er vorher schon lasterhaft, so gaben
ihm ihre Grundsätze und ihr Beyspiel neue Nahrung;
Er lernte in ihrer Schule die ungeheursten dem Heyden-
thum selbst unbekannten Werke der Finsterniß -- lernte
die satanische Kunst, seine letzte sittliche Empfindung
zu erwürgen, und ohne Schaam und Gewissensvorwür-
fe, ohne Furcht vor Gott und Menschen aller Wahr-
heit, Tugend und Menschlichkeit Hohn zu sprechen. Es
ist eine traurige, aber wahre Bemerkung: Der Ver-
führte wird zweyfach ärger, als sein Verführet.

Aber
Matthäus XXIII.
168.
Heuchleriſche Bekehrungsſucht der Phariſäer.
Matth.
XXIII. 15.

Wehe euch, ihr Schriftgelehrten, ihr Heuch-
ler! Darum daß ihr das Meer und das Land
umziehet
— (die weiteſten Reiſen unternehmet —)
daß ihr einen Judengenoſſen machet — (einen
Heiden’ zum Judenthum bekehret); Und wenn er’s
denn worden iſt, ſo machet ihr einen Sohn der
Hölle
— (einen laſterhaften verdammungswürdigen
Menſchen) aus ihm, zweyfältig mehr als ihr ſelbſt
ſeyd.

Unſeelig, wer dieſen heuchleriſchen Proſelytenma-
chern in die Hände fiel, wen ſie mit Frömmigkeits-
ſchein an ſich locken konnten. Er hoffte Leben zu finden
und fand den Tod, hoffte den Himmel zu erben, und
ſtürzte in die unterſte Hölle; Betrogen, tief verführt ſah’
er am Ende, wollt’ er nicht im Elende verſchmachten,
keinen andern Ausweg, als ein Werkzeug der Ungerech-
tigkeit ſeiner Bekehrer, ein Unterhändler ihrer Greuel
zu werden. War er vorher ſchon laſterhaft, ſo gaben
ihm ihre Grundſätze und ihr Beyſpiel neue Nahrung;
Er lernte in ihrer Schule die ungeheurſten dem Heyden-
thum ſelbſt unbekannten Werke der Finſterniß — lernte
die ſataniſche Kunſt, ſeine letzte ſittliche Empfindung
zu erwürgen, und ohne Schaam und Gewiſſensvorwür-
fe, ohne Furcht vor Gott und Menſchen aller Wahr-
heit, Tugend und Menſchlichkeit Hohn zu ſprechen. Es
iſt eine traurige, aber wahre Bemerkung: Der Ver-
führte wird zweyfach ärger, als ſein Verführet.

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[360[380]/0388] Matthäus XXIII. 168. Heuchleriſche Bekehrungsſucht der Phariſäer. Wehe euch, ihr Schriftgelehrten, ihr Heuch- ler! Darum daß ihr das Meer und das Land umziehet — (die weiteſten Reiſen unternehmet —) daß ihr einen Judengenoſſen machet — (einen Heiden’ zum Judenthum bekehret); Und wenn er’s denn worden iſt, ſo machet ihr einen Sohn der Hölle — (einen laſterhaften verdammungswürdigen Menſchen) aus ihm, zweyfältig mehr als ihr ſelbſt ſeyd. Unſeelig, wer dieſen heuchleriſchen Proſelytenma- chern in die Hände fiel, wen ſie mit Frömmigkeits- ſchein an ſich locken konnten. Er hoffte Leben zu finden und fand den Tod, hoffte den Himmel zu erben, und ſtürzte in die unterſte Hölle; Betrogen, tief verführt ſah’ er am Ende, wollt’ er nicht im Elende verſchmachten, keinen andern Ausweg, als ein Werkzeug der Ungerech- tigkeit ſeiner Bekehrer, ein Unterhändler ihrer Greuel zu werden. War er vorher ſchon laſterhaft, ſo gaben ihm ihre Grundſätze und ihr Beyſpiel neue Nahrung; Er lernte in ihrer Schule die ungeheurſten dem Heyden- thum ſelbſt unbekannten Werke der Finſterniß — lernte die ſataniſche Kunſt, ſeine letzte ſittliche Empfindung zu erwürgen, und ohne Schaam und Gewiſſensvorwür- fe, ohne Furcht vor Gott und Menſchen aller Wahr- heit, Tugend und Menſchlichkeit Hohn zu ſprechen. Es iſt eine traurige, aber wahre Bemerkung: Der Ver- führte wird zweyfach ärger, als ſein Verführet. Aber

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 360[380]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/388>, abgerufen am 23.11.2024.