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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XXIII.
und nicht thut, mit doppelten Streichen geschlagen
werden soll -- wird der, der den Willen seines Herrn
andere lehret, andere zur Befolgung desselben anhält,
und ihn selbst nicht befolget -- wird der nicht mit vier-
fachen
Streichen geschlagen werden?

163.
Härte der Pharisäischen Foderungen.
Matth.
XXIII. 4.

Sie binden schwehre und kümmerlich zu er-
tragende Bürden zusammen, und legen sie auf die
Schultern der Menschen, aber sie selbst wollen
dieselben auch nicht mit einem Finger berühren.

Nicht bloß die klaren ausdrücklichen Foderungen
des mosaischen Gesetzes schärften sie dem Volke ein --
sondern über diese noch -- und ja mit weit mehr Stren-
ge als diese -- eine zahllose Menge Menschensatzungen.
Foderungen über Foderungen, deren Ausübung sehr be-
schwerlich, oft unmöglich, oft wirkliche Uebertretung
des mosaischen Gesetzes ward. Sie gestatteten keine
Ausnahmen, liessen keine Entschuldigung gelten, be-
handelten die Uebertreter mit unerbittlicher Schärfe.
Und sie selbst -- welche unbegreifliche Verblendung? Oder
Bosheit? Sie selbst sagten sich von der Befolgung der
wichtigsten Gebote, ohne das mindeste Bedenken los.

Lege keinem Menschen mehr auf, als er tragen
mag; Fodere von keinem Menschen mehr, als er zu lei-
sten im Stand' ist -- von keinem mehr, als Jesus Chri-
stus von ihm fordert -- von keinem mehr, als du von
dir selbst forderst, als du ihm vorthust -- von dem Kinde

nicht

Matthäus XXIII.
und nicht thut, mit doppelten Streichen geſchlagen
werden ſoll — wird der, der den Willen ſeines Herrn
andere lehret, andere zur Befolgung deſſelben anhält,
und ihn ſelbſt nicht befolget — wird der nicht mit vier-
fachen
Streichen geſchlagen werden?

163.
Härte der Phariſäiſchen Foderungen.
Matth.
XXIII. 4.

Sie binden ſchwehre und kümmerlich zu er-
tragende Bürden zuſammen, und legen ſie auf die
Schultern der Menſchen, aber ſie ſelbſt wollen
dieſelben auch nicht mit einem Finger berühren.

Nicht bloß die klaren ausdrücklichen Foderungen
des moſaiſchen Geſetzes ſchärften ſie dem Volke ein —
ſondern über dieſe noch — und ja mit weit mehr Stren-
ge als dieſe — eine zahlloſe Menge Menſchenſatzungen.
Foderungen über Foderungen, deren Ausübung ſehr be-
ſchwerlich, oft unmöglich, oft wirkliche Uebertretung
des moſaiſchen Geſetzes ward. Sie geſtatteten keine
Ausnahmen, lieſſen keine Entſchuldigung gelten, be-
handelten die Uebertreter mit unerbittlicher Schärfe.
Und ſie ſelbſt — welche unbegreifliche Verblendung? Oder
Bosheit? Sie ſelbſt ſagten ſich von der Befolgung der
wichtigſten Gebote, ohne das mindeſte Bedenken los.

Lege keinem Menſchen mehr auf, als er tragen
mag; Fodere von keinem Menſchen mehr, als er zu lei-
ſten im Stand’ iſt — von keinem mehr, als Jeſus Chri-
ſtus von ihm fordert — von keinem mehr, als du von
dir ſelbſt forderſt, als du ihm vorthuſt — von dem Kinde

nicht
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[348[368]/0376] Matthäus XXIII. und nicht thut, mit doppelten Streichen geſchlagen werden ſoll — wird der, der den Willen ſeines Herrn andere lehret, andere zur Befolgung deſſelben anhält, und ihn ſelbſt nicht befolget — wird der nicht mit vier- fachen Streichen geſchlagen werden? 163. Härte der Phariſäiſchen Foderungen. Sie binden ſchwehre und kümmerlich zu er- tragende Bürden zuſammen, und legen ſie auf die Schultern der Menſchen, aber ſie ſelbſt wollen dieſelben auch nicht mit einem Finger berühren. Nicht bloß die klaren ausdrücklichen Foderungen des moſaiſchen Geſetzes ſchärften ſie dem Volke ein — ſondern über dieſe noch — und ja mit weit mehr Stren- ge als dieſe — eine zahlloſe Menge Menſchenſatzungen. Foderungen über Foderungen, deren Ausübung ſehr be- ſchwerlich, oft unmöglich, oft wirkliche Uebertretung des moſaiſchen Geſetzes ward. Sie geſtatteten keine Ausnahmen, lieſſen keine Entſchuldigung gelten, be- handelten die Uebertreter mit unerbittlicher Schärfe. Und ſie ſelbſt — welche unbegreifliche Verblendung? Oder Bosheit? Sie ſelbſt ſagten ſich von der Befolgung der wichtigſten Gebote, ohne das mindeſte Bedenken los. Lege keinem Menſchen mehr auf, als er tragen mag; Fodere von keinem Menſchen mehr, als er zu lei- ſten im Stand’ iſt — von keinem mehr, als Jeſus Chri- ſtus von ihm fordert — von keinem mehr, als du von dir ſelbſt forderſt, als du ihm vorthuſt — von dem Kinde nicht

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 348[368]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/376>, abgerufen am 23.11.2024.