Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.Auferstehung. denkt und dichtet sich immer kleine Nebenideen, in dieer sich so verliebt, daß er das Wesentliche und Grosse darüber aus dem Gesichte verliert. Christus und sei- ne Apostel -- und alle von seinem Geiste geleiteten Chri- sten gehen immer auf's Grosse, auf die Hauptsache -- Sie führen immer auf die unbegränzte Kraft des All- mächtigen. Sie dringen immer auf den Geist der Schrift. Der Sadduzäische Geist aller Zeiten ist spitz- findig -- Er findet eine Spitze, mögt' ich sagen, ein Dörnchen an der Rose, die er als ein Argument und Gegengrund wider die Schönheit und den Wohlgeruch der Rose angesehen wissen mögte. Christus und sein Geist, wo er immer seyn mag, sehen die ganze schöne Rose, wogegen die hundert kleinen Dörnchen am Ro- senstiel nicht in Betrachtung kommen. Ihr irret sehr, antwortet Christus, darum, daß ihr weder die Schriften noch die Kraft Gottes wisset. Schon in den heiligen, israelitischen Schriften liegt die Ver- heissung der Unsterblichkeit. Aber sie müssen mit Nachden- ken gelesen seyn. Wenn sich Gott, lange nach dem Tode der Patriarchen -- noch ihren Gott nennt; Liegt nicht darinn die Wahrheit, daß sie noch am Leben seyn, wie- wohl sie gestorben sind. Wie könnte Gott sich mit Wahrheit ihren Gott, ihren Freund und Beseeliger heis- sen, wenn sie überall nicht mehr wären? Wär' es nicht ein läres Wortspiel -- Ich bin ihr Gott -- wenn sie weiter nichts als Moder und von der Verwesung verzehrte Gebeine wären? Gott spielt nicht mit Worten. Seine Worte und Verheissungen haben den weitesten, das ist Y 3
Auferſtehung. denkt und dichtet ſich immer kleine Nebenideen, in dieer ſich ſo verliebt, daß er das Weſentliche und Groſſe darüber aus dem Geſichte verliert. Chriſtus und ſei- ne Apoſtel — und alle von ſeinem Geiſte geleiteten Chri- ſten gehen immer auf’s Groſſe, auf die Hauptſache — Sie führen immer auf die unbegränzte Kraft des All- mächtigen. Sie dringen immer auf den Geiſt der Schrift. Der Sadduzäiſche Geiſt aller Zeiten iſt ſpitz- findig — Er findet eine Spitze, mögt’ ich ſagen, ein Dörnchen an der Roſe, die er als ein Argument und Gegengrund wider die Schönheit und den Wohlgeruch der Roſe angeſehen wiſſen mögte. Chriſtus und ſein Geiſt, wo er immer ſeyn mag, ſehen die ganze ſchöne Roſe, wogegen die hundert kleinen Dörnchen am Ro- ſenſtiel nicht in Betrachtung kommen. Ihr irret ſehr, antwortet Chriſtus, darum, daß ihr weder die Schriften noch die Kraft Gottes wiſſet. Schon in den heiligen, iſraelitiſchen Schriften liegt die Ver- heiſſung der Unſterblichkeit. Aber ſie müſſen mit Nachden- ken geleſen ſeyn. Wenn ſich Gott, lange nach dem Tode der Patriarchen — noch ihren Gott nennt; Liegt nicht darinn die Wahrheit, daß ſie noch am Leben ſeyn, wie- wohl ſie geſtorben ſind. Wie könnte Gott ſich mit Wahrheit ihren Gott, ihren Freund und Beſeeliger heiſ- ſen, wenn ſie überall nicht mehr wären? Wär’ es nicht ein läres Wortſpiel — Ich bin ihr Gott — wenn ſie weiter nichts als Moder und von der Verweſung verzehrte Gebeine wären? Gott ſpielt nicht mit Worten. Seine Worte und Verheiſſungen haben den weiteſten, das iſt Y 3
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Auferſtehung.
denkt und dichtet ſich immer kleine Nebenideen, in die
er ſich ſo verliebt, daß er das Weſentliche und Groſſe
darüber aus dem Geſichte verliert. Chriſtus und ſei-
ne Apoſtel — und alle von ſeinem Geiſte geleiteten Chri-
ſten gehen immer auf’s Groſſe, auf die Hauptſache —
Sie führen immer auf die unbegränzte Kraft des All-
mächtigen. Sie dringen immer auf den Geiſt der
Schrift. Der Sadduzäiſche Geiſt aller Zeiten iſt ſpitz-
findig — Er findet eine Spitze, mögt’ ich ſagen, ein
Dörnchen an der Roſe, die er als ein Argument und
Gegengrund wider die Schönheit und den Wohlgeruch
der Roſe angeſehen wiſſen mögte. Chriſtus und ſein
Geiſt, wo er immer ſeyn mag, ſehen die ganze ſchöne
Roſe, wogegen die hundert kleinen Dörnchen am Ro-
ſenſtiel nicht in Betrachtung kommen. Ihr irret ſehr,
antwortet Chriſtus, darum, daß ihr weder die
Schriften noch die Kraft Gottes wiſſet. Schon
in den heiligen, iſraelitiſchen Schriften liegt die Ver-
heiſſung der Unſterblichkeit. Aber ſie müſſen mit Nachden-
ken geleſen ſeyn. Wenn ſich Gott, lange nach dem Tode
der Patriarchen — noch ihren Gott nennt; Liegt nicht
darinn die Wahrheit, daß ſie noch am Leben ſeyn, wie-
wohl ſie geſtorben ſind. Wie könnte Gott ſich mit
Wahrheit ihren Gott, ihren Freund und Beſeeliger heiſ-
ſen, wenn ſie überall nicht mehr wären? Wär’ es nicht
ein läres Wortſpiel — Ich bin ihr Gott — wenn
ſie weiter nichts als Moder und von der Verweſung
verzehrte Gebeine wären? Gott ſpielt nicht mit Worten.
Seine Worte und Verheiſſungen haben den weiteſten, das
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