Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.Matthäus XXI. Christus läßt keine Gelegenheit vorbey, diese Lehre sei-nen Jüngern zu wiederhohlen. Es ist eine von den auf- fallendsten und eigenthümlichsten Lehren Christi. Wenn irgend ein unbefangener Mensch aus dem Evangelio, als aus einer erstgefundenen Urkunde, oder einem neu herausgekommenen Buche einen Auszug machen müßte -- so könnte er, wenn er auch alles übersehen, oder vor- beygehen könnte, diese Lehre von der unumschränkten Kraft des unumschränkten Glaubens unmöglich übergehen. Wenn es unwidersprechlich gewiß ist, daß Jesus seine Jünger lieben und verzeihen lehrt -- so ist es auch unwidersprechlich gewiß, daß Er sie mit un- umschränkten Vertrauen glauben und bethen lehrt. Eines von beyden leugnen ist, so wie ich's vor Gott ein- sehe -- eine unbegreifliche Unvernunft oder Frechheit. Christus will die Würde und Kraft des göttlichen Eben- bildes in dem Menschen erwecken. Er will alle seine Jünger sich so ähnlich machen, wie möglich. Wir sol- len dulden, wie Er; Geben, wie Er; Verzeihen, wie Er; Glauben, wie Er; Bethen, wie Er -- wirken, wie Er. Es ist unsere Bestimmung, seinem erhabenen Ebenbilde ähnlich zu werden -- und hier und dort durch []m. VIII. 29.den Glauben die Werke zu thun, die Er that. Zwo Sachen können übrigens bey dieser Lehre nicht genug []h. XIV. 12.eingeschärft und beherziget werden; Einmahl: daß der Glaube, die feste Ueberzeugung, daß Gott unsere gu- ten, seinem Willen gleichförmige Gebethe erhören wer- de -- sich nicht erzwingen läßt; Daß er aber durch ein- fältiges, stilles, ruhiges Lesen und Betrachten der gött- lichen,
Matthäus XXI. Chriſtus läßt keine Gelegenheit vorbey, dieſe Lehre ſei-nen Jüngern zu wiederhohlen. Es iſt eine von den auf- fallendſten und eigenthümlichſten Lehren Chriſti. Wenn irgend ein unbefangener Menſch aus dem Evangelio, als aus einer erſtgefundenen Urkunde, oder einem neu herausgekommenen Buche einen Auszug machen müßte — ſo könnte er, wenn er auch alles überſehen, oder vor- beygehen könnte, dieſe Lehre von der unumſchränkten Kraft des unumſchränkten Glaubens unmöglich übergehen. Wenn es unwiderſprechlich gewiß iſt, daß Jeſus ſeine Jünger lieben und verzeihen lehrt — ſo iſt es auch unwiderſprechlich gewiß, daß Er ſie mit un- umſchränkten Vertrauen glauben und bethen lehrt. Eines von beyden leugnen iſt, ſo wie ich’s vor Gott ein- ſehe — eine unbegreifliche Unvernunft oder Frechheit. Chriſtus will die Würde und Kraft des göttlichen Eben- bildes in dem Menſchen erwecken. Er will alle ſeine Jünger ſich ſo ähnlich machen, wie möglich. Wir ſol- len dulden, wie Er; Geben, wie Er; Verzeihen, wie Er; Glauben, wie Er; Bethen, wie Er — wirken, wie Er. Es iſt unſere Beſtimmung, ſeinem erhabenen Ebenbilde ähnlich zu werden — und hier und dort durch []m. VIII. 29.den Glauben die Werke zu thun, die Er that. Zwo Sachen können übrigens bey dieſer Lehre nicht genug []h. XIV. 12.eingeſchärft und beherziget werden; Einmahl: daß der Glaube, die feſte Ueberzeugung, daß Gott unſere gu- ten, ſeinem Willen gleichförmige Gebethe erhören wer- de — ſich nicht erzwingen läßt; Daß er aber durch ein- fältiges, ſtilles, ruhiges Leſen und Betrachten der gött- lichen,
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Matthäus XXI.
Chriſtus läßt keine Gelegenheit vorbey, dieſe Lehre ſei-
nen Jüngern zu wiederhohlen. Es iſt eine von den auf-
fallendſten und eigenthümlichſten Lehren Chriſti. Wenn
irgend ein unbefangener Menſch aus dem Evangelio,
als aus einer erſtgefundenen Urkunde, oder einem neu
herausgekommenen Buche einen Auszug machen müßte
— ſo könnte er, wenn er auch alles überſehen, oder vor-
beygehen könnte, dieſe Lehre von der unumſchränkten
Kraft des unumſchränkten Glaubens unmöglich
übergehen. Wenn es unwiderſprechlich gewiß iſt, daß
Jeſus ſeine Jünger lieben und verzeihen lehrt — ſo
iſt es auch unwiderſprechlich gewiß, daß Er ſie mit un-
umſchränkten Vertrauen glauben und bethen lehrt.
Eines von beyden leugnen iſt, ſo wie ich’s vor Gott ein-
ſehe — eine unbegreifliche Unvernunft oder Frechheit.
Chriſtus will die Würde und Kraft des göttlichen Eben-
bildes in dem Menſchen erwecken. Er will alle ſeine
Jünger ſich ſo ähnlich machen, wie möglich. Wir ſol-
len dulden, wie Er; Geben, wie Er; Verzeihen, wie
Er; Glauben, wie Er; Bethen, wie Er — wirken,
wie Er. Es iſt unſere Beſtimmung, ſeinem erhabenen
Ebenbilde ähnlich zu werden — und hier und dort durch
den Glauben die Werke zu thun, die Er that. Zwo
Sachen können übrigens bey dieſer Lehre nicht genug
eingeſchärft und beherziget werden; Einmahl: daß der
Glaube, die feſte Ueberzeugung, daß Gott unſere gu-
ten, ſeinem Willen gleichförmige Gebethe erhören wer-
de — ſich nicht erzwingen läßt; Daß er aber durch ein-
fältiges, ſtilles, ruhiges Leſen und Betrachten der gött-
lichen,
_ m. VIII.
29.
_ h. XIV.
12.
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