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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Weg zur Glückseeligkeit. Reichthum.
hielt, hatte der Tod kein Recht. Der Fürst dieser Welt,
der Gewalthaber des Todes, Satan hatte gar nichts
an Ihm zu fordern.

5. Welche Gebote soll ich halten? Fragt der
Jüngling -- der Mensch sucht gemeiniglich etwas an-
ders, als das, was er schon vor sich hat. Er forschet
immer nach einem neuen Wege. Der alte Jedermann
bekannte Weg scheinet ihm zu gemein. Christus legte
ihm die Gebote ans Herz, die ihm bereits hinlänglich be-
kannt waren -- Das: Du sollst nicht tödten! Du
sollst nicht ehebrechen! Du sollst nicht stehlen!
Du sollst nicht falsche Zeugniß sagen! Ehre dei-
nen Vater und die Mutter -- und du sollst dei-
nen Nächsten lieben, wie dich selbst! Christus

war nicht gekommen, irgend ein sittliches Gottesgebot
aufzulösen, sondern alle und jede in jedem möglichen
Sinne zu erfüllen. Er hatte einen innerlichen Abschen
ab allem, was unrecht, unrein, Sünde heissen mögte --
und diesen aufrichtigen Abscheu wollte Er allen seinen
Schülern beybringen. Sein Herz war voll von der rein-
sten und wärmsten Menschenliebe -- von der reinsten und
wärmsten Bruderliebe sollte das Herz aller seiner Jün-
ger durchdrungen seyn. Er wußte, daß diese Gesinnun-
gen in sich selbst Vergnügen, Quelle von ewigem Ver-
gnügen seyen.

6. Dieß alles, antwortet der Jüngling, hab'
ich von meiner Jugend auf bewahret. Was
mangelt mit dann noch?
Manches vom pharisäischen

Geiste

Weg zur Glückſeeligkeit. Reichthum.
hielt, hatte der Tod kein Recht. Der Fürſt dieſer Welt,
der Gewalthaber des Todes, Satan hatte gar nichts
an Ihm zu fordern.

5. Welche Gebote ſoll ich halten? Fragt der
Jüngling — der Menſch ſucht gemeiniglich etwas an-
ders, als das, was er ſchon vor ſich hat. Er forſchet
immer nach einem neuen Wege. Der alte Jedermann
bekannte Weg ſcheinet ihm zu gemein. Chriſtus legte
ihm die Gebote ans Herz, die ihm bereits hinlänglich be-
kannt waren — Das: Du ſollſt nicht tödten! Du
ſollſt nicht ehebrechen! Du ſollſt nicht ſtehlen!
Du ſollſt nicht falſche Zeugniß ſagen! Ehre dei-
nen Vater und die Mutter — und du ſollſt dei-
nen Nächſten lieben, wie dich ſelbſt! Chriſtus

war nicht gekommen, irgend ein ſittliches Gottesgebot
aufzulöſen, ſondern alle und jede in jedem möglichen
Sinne zu erfüllen. Er hatte einen innerlichen Abſchen
ab allem, was unrecht, unrein, Sünde heiſſen mögte —
und dieſen aufrichtigen Abſcheu wollte Er allen ſeinen
Schülern beybringen. Sein Herz war voll von der rein-
ſten und wärmſten Menſchenliebe — von der reinſten und
wärmſten Bruderliebe ſollte das Herz aller ſeiner Jün-
ger durchdrungen ſeyn. Er wußte, daß dieſe Geſinnun-
gen in ſich ſelbſt Vergnügen, Quelle von ewigem Ver-
gnügen ſeyen.

6. Dieß alles, antwortet der Jüngling, hab’
ich von meiner Jugend auf bewahret. Was
mangelt mit dann noch?
Manches vom phariſäiſchen

Geiſte
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[283[303]/0311] Weg zur Glückſeeligkeit. Reichthum. hielt, hatte der Tod kein Recht. Der Fürſt dieſer Welt, der Gewalthaber des Todes, Satan hatte gar nichts an Ihm zu fordern. 5. Welche Gebote ſoll ich halten? Fragt der Jüngling — der Menſch ſucht gemeiniglich etwas an- ders, als das, was er ſchon vor ſich hat. Er forſchet immer nach einem neuen Wege. Der alte Jedermann bekannte Weg ſcheinet ihm zu gemein. Chriſtus legte ihm die Gebote ans Herz, die ihm bereits hinlänglich be- kannt waren — Das: Du ſollſt nicht tödten! Du ſollſt nicht ehebrechen! Du ſollſt nicht ſtehlen! Du ſollſt nicht falſche Zeugniß ſagen! Ehre dei- nen Vater und die Mutter — und du ſollſt dei- nen Nächſten lieben, wie dich ſelbſt! Chriſtus war nicht gekommen, irgend ein ſittliches Gottesgebot aufzulöſen, ſondern alle und jede in jedem möglichen Sinne zu erfüllen. Er hatte einen innerlichen Abſchen ab allem, was unrecht, unrein, Sünde heiſſen mögte — und dieſen aufrichtigen Abſcheu wollte Er allen ſeinen Schülern beybringen. Sein Herz war voll von der rein- ſten und wärmſten Menſchenliebe — von der reinſten und wärmſten Bruderliebe ſollte das Herz aller ſeiner Jün- ger durchdrungen ſeyn. Er wußte, daß dieſe Geſinnun- gen in ſich ſelbſt Vergnügen, Quelle von ewigem Ver- gnügen ſeyen. 6. Dieß alles, antwortet der Jüngling, hab’ ich von meiner Jugend auf bewahret. Was mangelt mit dann noch? Manches vom phariſäiſchen Geiſte

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 283[303]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/311>, abgerufen am 24.11.2024.