folge mir nach! -- Da der Jüngling das Wort hörete, gieng er betrübt von Ihm: Denn er hatte viel Güter. Jesus aber sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich; Ich sage euch: Ein Rei- cher wird schwehrlich in's Himmelreich kommen. Und weiter sage Ich euch: Es ist leichter, daß ein Cameel durch ein Nadelöhr gehe, dann daß ein Reicher in's Reich Gottes komme. Da das seine Jünger höreten, entsatzten sie sich sehr, und sprachen: Ey, wer kann denn seelig werden? Jesus aber sahe sie an, und sprach zu ihnen: Bey den Menschen ist's unmöglich; Aber bey Gott sind alle Dinge möglich.
Die Lehren, die wir aus dieser Stelle herleiten, und dazu sie uns veranlasset, sind folgende:
1. Die wichtigste Frage, die ein Mensch thun kann, und die jeder weise ernsthafte Mensch thut, ist diese: Was muß ich thun, daß ich das ewige Le- ben haben möge? Wem diese Frage nicht die wichtig- ste und angelegenste ist, der ist noch nicht im Lichte. Die Wahrheit ist ihm noch nicht aufgegangen. Er lebt noch in der Finsterniß. Er weiß nicht, wohin er gehet. Er kennt die Würde seiner Natur, und seine Bestimmung noch nicht. Nur, daß der Mensch diese große Frage thun kann, sich zu dem blossen Gedanken an ein ewiges Leben erheben -- nach dem Tode des Cörpers grän- zenlose Fortdauer des Geistes glauben oder hoffen kann, ist schon etwas so grosses, der Menschheit so eignes, daß wir über uns selbst erstaunen sollten.
2. Was
Matthäus XIX.
folge mir nach! — Da der Jüngling das Wort hörete, gieng er betrübt von Ihm: Denn er hatte viel Güter. Jeſus aber ſprach zu ſeinen Jüngern: Wahrlich; Ich ſage euch: Ein Rei- cher wird ſchwehrlich in’s Himmelreich kommen. Und weiter ſage Ich euch: Es iſt leichter, daß ein Cameel durch ein Nadelöhr gehe, dann daß ein Reicher in’s Reich Gottes komme. Da das ſeine Jünger höreten, entſatzten ſie ſich ſehr, und ſprachen: Ey, wer kann denn ſeelig werden? Jeſus aber ſahe ſie an, und ſprach zu ihnen: Bey den Menſchen iſt’s unmöglich; Aber bey Gott ſind alle Dinge möglich.
Die Lehren, die wir aus dieſer Stelle herleiten, und dazu ſie uns veranlaſſet, ſind folgende:
1. Die wichtigſte Frage, die ein Menſch thun kann, und die jeder weiſe ernſthafte Menſch thut, iſt dieſe: Was muß ich thun, daß ich das ewige Le- ben haben möge? Wem dieſe Frage nicht die wichtig- ſte und angelegenſte iſt, der iſt noch nicht im Lichte. Die Wahrheit iſt ihm noch nicht aufgegangen. Er lebt noch in der Finſterniß. Er weiß nicht, wohin er gehet. Er kennt die Würde ſeiner Natur, und ſeine Beſtimmung noch nicht. Nur, daß der Menſch dieſe große Frage thun kann, ſich zu dem bloſſen Gedanken an ein ewiges Leben erheben — nach dem Tode des Cörpers grän- zenloſe Fortdauer des Geiſtes glauben oder hoffen kann, iſt ſchon etwas ſo groſſes, der Menſchheit ſo eignes, daß wir über uns ſelbſt erſtaunen ſollten.
2. Was
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[280[300]/0308]
Matthäus XIX.
folge mir nach! — Da der Jüngling das Wort
hörete, gieng er betrübt von Ihm: Denn er
hatte viel Güter. Jeſus aber ſprach zu ſeinen
Jüngern: Wahrlich; Ich ſage euch: Ein Rei-
cher wird ſchwehrlich in’s Himmelreich kommen.
Und weiter ſage Ich euch: Es iſt leichter, daß
ein Cameel durch ein Nadelöhr gehe, dann daß
ein Reicher in’s Reich Gottes komme. Da das
ſeine Jünger höreten, entſatzten ſie ſich ſehr, und
ſprachen: Ey, wer kann denn ſeelig werden?
Jeſus aber ſahe ſie an, und ſprach zu ihnen: Bey
den Menſchen iſt’s unmöglich; Aber bey Gott
ſind alle Dinge möglich.
Die Lehren, die wir aus dieſer Stelle herleiten, und
dazu ſie uns veranlaſſet, ſind folgende:
1. Die wichtigſte Frage, die ein Menſch thun
kann, und die jeder weiſe ernſthafte Menſch thut, iſt
dieſe: Was muß ich thun, daß ich das ewige Le-
ben haben möge? Wem dieſe Frage nicht die wichtig-
ſte und angelegenſte iſt, der iſt noch nicht im Lichte. Die
Wahrheit iſt ihm noch nicht aufgegangen. Er lebt noch
in der Finſterniß. Er weiß nicht, wohin er gehet. Er
kennt die Würde ſeiner Natur, und ſeine Beſtimmung
noch nicht. Nur, daß der Menſch dieſe große Frage
thun kann, ſich zu dem bloſſen Gedanken an ein ewiges
Leben erheben — nach dem Tode des Cörpers grän-
zenloſe Fortdauer des Geiſtes glauben oder hoffen kann,
iſt ſchon etwas ſo groſſes, der Menſchheit ſo eignes, daß
wir über uns ſelbſt erſtaunen ſollten.
2. Was
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 280[300]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/308>, abgerufen am 24.11.2024.
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