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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XIX.
gesehen werden soll. Das Eheband soll nicht leicht auf-
gelöset oder zerschnitten werden. Gottes Absicht war-
Daß Ein Mann lebenslang Eines Weibes sey: Ein
Weib Eines Mannes. Das Eheband ist nach der gött-
lichen Absicht das innigste -- Mit Vater und Mutter
stehet der Mensch nicht in dem innigen unauflöslichen
Verhältnisse, wie mit seinem rechtmäßigen Ehegenossen.
Ehegenossen sollten sich nur als Eine Person ansehen;
Eines für das Andere so besorgt seyn, wie jeder Mensch
für seine eigne Person besorgt ist. So sehe sie Gott an.
Wie Gott die Sachen ansehe, so solle der Mensch alles
ansehen. Was Gott als ein unzertrennliches Eins an-
gesehen wissen will, das soll der Mensch nicht als zer-
trennbar gedenken. Keine willkührliche Menschengese-
tze können die ersten auf die Natur der Dinge gegrün-
deten Gesetze und Ordnungen Gottes aufheben. Der Ein-
zige Fall der Ehescheidung, der nach Gottes Absicht er-
laubt ist, ist, wenn ein Theil ehebrecherisch wird. Alle
andern Ehescheidungen sind bloß um der Härtigkeit des
Herzens leidenlich, das heißt, sind bloß nothwendige
Uebel durch die Unbiegsamkeit und den Eigensinn der
Menschen verursacht. Uebrigens sind wenige Menschen,
die über den Punkt des Ehestandes erleuchtet genug sind.
Es giebt Menschen, die für die eheliche Liebe keinen Sinn
haben; Die von Jugend an eine Abneigung dagegen ha-
ben -- Andern ist eine Abneigung dagegen von andern
Menschen beygebracht worden; Oder sie sind ausser Stand
gesetzt worden, sich zu verehelichen, und dem Zwecke des
Ehestandes zu entsprechen. Noch andere haben sich,

obwohl

Matthäus XIX.
geſehen werden ſoll. Das Eheband ſoll nicht leicht auf-
gelöſet oder zerſchnitten werden. Gottes Abſicht war-
Daß Ein Mann lebenslang Eines Weibes ſey: Ein
Weib Eines Mannes. Das Eheband iſt nach der gött-
lichen Abſicht das innigſte — Mit Vater und Mutter
ſtehet der Menſch nicht in dem innigen unauflöslichen
Verhältniſſe, wie mit ſeinem rechtmäßigen Ehegenoſſen.
Ehegenoſſen ſollten ſich nur als Eine Perſon anſehen;
Eines für das Andere ſo beſorgt ſeyn, wie jeder Menſch
für ſeine eigne Perſon beſorgt iſt. So ſehe ſie Gott an.
Wie Gott die Sachen anſehe, ſo ſolle der Menſch alles
anſehen. Was Gott als ein unzertrennliches Eins an-
geſehen wiſſen will, das ſoll der Menſch nicht als zer-
trennbar gedenken. Keine willkührliche Menſchengeſe-
tze können die erſten auf die Natur der Dinge gegrün-
deten Geſetze und Ordnungen Gottes aufheben. Der Ein-
zige Fall der Eheſcheidung, der nach Gottes Abſicht er-
laubt iſt, iſt, wenn ein Theil ehebrecheriſch wird. Alle
andern Eheſcheidungen ſind bloß um der Härtigkeit des
Herzens leidenlich, das heißt, ſind bloß nothwendige
Uebel durch die Unbiegſamkeit und den Eigenſinn der
Menſchen verurſacht. Uebrigens ſind wenige Menſchen,
die über den Punkt des Eheſtandes erleuchtet genug ſind.
Es giebt Menſchen, die für die eheliche Liebe keinen Sinn
haben; Die von Jugend an eine Abneigung dagegen ha-
ben — Andern iſt eine Abneigung dagegen von andern
Menſchen beygebracht worden; Oder ſie ſind auſſer Stand
geſetzt worden, ſich zu verehelichen, und dem Zwecke des
Eheſtandes zu entſprechen. Noch andere haben ſich,

obwohl
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[276[296]/0304] Matthäus XIX. geſehen werden ſoll. Das Eheband ſoll nicht leicht auf- gelöſet oder zerſchnitten werden. Gottes Abſicht war- Daß Ein Mann lebenslang Eines Weibes ſey: Ein Weib Eines Mannes. Das Eheband iſt nach der gött- lichen Abſicht das innigſte — Mit Vater und Mutter ſtehet der Menſch nicht in dem innigen unauflöslichen Verhältniſſe, wie mit ſeinem rechtmäßigen Ehegenoſſen. Ehegenoſſen ſollten ſich nur als Eine Perſon anſehen; Eines für das Andere ſo beſorgt ſeyn, wie jeder Menſch für ſeine eigne Perſon beſorgt iſt. So ſehe ſie Gott an. Wie Gott die Sachen anſehe, ſo ſolle der Menſch alles anſehen. Was Gott als ein unzertrennliches Eins an- geſehen wiſſen will, das ſoll der Menſch nicht als zer- trennbar gedenken. Keine willkührliche Menſchengeſe- tze können die erſten auf die Natur der Dinge gegrün- deten Geſetze und Ordnungen Gottes aufheben. Der Ein- zige Fall der Eheſcheidung, der nach Gottes Abſicht er- laubt iſt, iſt, wenn ein Theil ehebrecheriſch wird. Alle andern Eheſcheidungen ſind bloß um der Härtigkeit des Herzens leidenlich, das heißt, ſind bloß nothwendige Uebel durch die Unbiegſamkeit und den Eigenſinn der Menſchen verurſacht. Uebrigens ſind wenige Menſchen, die über den Punkt des Eheſtandes erleuchtet genug ſind. Es giebt Menſchen, die für die eheliche Liebe keinen Sinn haben; Die von Jugend an eine Abneigung dagegen ha- ben — Andern iſt eine Abneigung dagegen von andern Menſchen beygebracht worden; Oder ſie ſind auſſer Stand geſetzt worden, ſich zu verehelichen, und dem Zwecke des Eheſtandes zu entſprechen. Noch andere haben ſich, obwohl

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 276[296]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/304>, abgerufen am 24.11.2024.