thun; So ihr nicht vergebet von euren Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.
Wenn sich diese Stelle in irgend einer alten Urkun- de vorsände! Wenn irgend ein Pergament aus den Schä- tzen einer königlichen Bibliothek zum Vorschein käme, das diese Stelle enthielt; Wenn die Antwort und das Gleich- niß irgend einem römischen oder griechischen Weisen in den Mund gelegt würde, welch ein gerechtes Lobgeschrey würde sich von allen Seiten erheben! -- Aber was der arme Nazarener sagt, und was so tausendmahl gehört worden ist -- das gilt nicht mehr. Liebe Leser! Wer von uns kann diese Stelle ohne Schaam und ohne Er- staunen lesen? Versöhnliche und Unversohnliche! Könnt ihr sie ohne Rührung überdenken? Wer beleidigt hat -- soll der verzagen, wenn der Beleidigte ein Christ ist? Wer beleidigt worden -- kann er noch an Rache den- ken, wenn er ein Christ ist? Wer von uns hat nur siebenmahl beleidigt? -- Wer, ich sage nicht, sieben- zigmahl siebenmahl -- wer nur siebenmahl ganz und von Herzen vergeben! O ihr alle mit mir -- die ihr täg- lich bethet, oder bethen solltet -- vergieb uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuld- neren! Habt ihr von diesen Worten des Herrn verge- ben gelernt? Unbeschreibliche Betrübniß sollte uns be- fallen, wenn wir nachdächten -- wie mit dem unwider- ruflichen Worte des Herrn, der hier in dem Namen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und Billigkeit spricht, gespielt wird. Alles in dieser Stelle ist so klar, wie der helle Mittag. Vom Könige bis zum Bettler, vom
Welt-
Matthäus XVIII.
thun; So ihr nicht vergebet von euren Herzen, ein jeglicher ſeinem Bruder ſeine Fehler.
Wenn ſich dieſe Stelle in irgend einer alten Urkun- de vorſände! Wenn irgend ein Pergament aus den Schä- tzen einer königlichen Bibliothek zum Vorſchein käme, das dieſe Stelle enthielt; Wenn die Antwort und das Gleich- niß irgend einem römiſchen oder griechiſchen Weiſen in den Mund gelegt würde, welch ein gerechtes Lobgeſchrey würde ſich von allen Seiten erheben! — Aber was der arme Nazarener ſagt, und was ſo tauſendmahl gehört worden iſt — das gilt nicht mehr. Liebe Leſer! Wer von uns kann dieſe Stelle ohne Schaam und ohne Er- ſtaunen leſen? Verſöhnliche und Unverſohnliche! Könnt ihr ſie ohne Rührung überdenken? Wer beleidigt hat — ſoll der verzagen, wenn der Beleidigte ein Chriſt iſt? Wer beleidigt worden — kann er noch an Rache den- ken, wenn er ein Chriſt iſt? Wer von uns hat nur ſiebenmahl beleidigt? — Wer, ich ſage nicht, ſieben- zigmahl ſiebenmahl — wer nur ſiebenmahl ganz und von Herzen vergeben! O ihr alle mit mir — die ihr täg- lich bethet, oder bethen ſolltet — vergieb uns unſere Schulden, wie auch wir vergeben unſern Schuld- neren! Habt ihr von dieſen Worten des Herrn verge- ben gelernt? Unbeſchreibliche Betrübniß ſollte uns be- fallen, wenn wir nachdächten — wie mit dem unwider- ruflichen Worte des Herrn, der hier in dem Namen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und Billigkeit ſpricht, geſpielt wird. Alles in dieſer Stelle iſt ſo klar, wie der helle Mittag. Vom Könige bis zum Bettler, vom
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Matthäus XVIII.
thun; So ihr nicht vergebet von euren Herzen,
ein jeglicher ſeinem Bruder ſeine Fehler.
Wenn ſich dieſe Stelle in irgend einer alten Urkun-
de vorſände! Wenn irgend ein Pergament aus den Schä-
tzen einer königlichen Bibliothek zum Vorſchein käme, das
dieſe Stelle enthielt; Wenn die Antwort und das Gleich-
niß irgend einem römiſchen oder griechiſchen Weiſen in
den Mund gelegt würde, welch ein gerechtes Lobgeſchrey
würde ſich von allen Seiten erheben! — Aber was der
arme Nazarener ſagt, und was ſo tauſendmahl gehört
worden iſt — das gilt nicht mehr. Liebe Leſer! Wer
von uns kann dieſe Stelle ohne Schaam und ohne Er-
ſtaunen leſen? Verſöhnliche und Unverſohnliche! Könnt
ihr ſie ohne Rührung überdenken? Wer beleidigt hat —
ſoll der verzagen, wenn der Beleidigte ein Chriſt iſt?
Wer beleidigt worden — kann er noch an Rache den-
ken, wenn er ein Chriſt iſt? Wer von uns hat nur
ſiebenmahl beleidigt? — Wer, ich ſage nicht, ſieben-
zigmahl ſiebenmahl — wer nur ſiebenmahl ganz und
von Herzen vergeben! O ihr alle mit mir — die ihr täg-
lich bethet, oder bethen ſolltet — vergieb uns unſere
Schulden, wie auch wir vergeben unſern Schuld-
neren! Habt ihr von dieſen Worten des Herrn verge-
ben gelernt? Unbeſchreibliche Betrübniß ſollte uns be-
fallen, wenn wir nachdächten — wie mit dem unwider-
ruflichen Worte des Herrn, der hier in dem Namen der
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 270[290]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/298>, abgerufen am 25.11.2024.
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