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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XVIII.
Wenn er härter ist, als du dachtest; Wenn du mehr
Eigensinn und Rechthaberey bey ihn findest, als dein
gutes gelehriges Herz vermuthen dürfte; So sollst du
die Hofnung, ihn gewinnen zu können, noch nicht auf-
geben. Gehe friedlich und Zanklos von ihm weg --
"Laß mich, Bruder, nach einiger Zeit, mit einigen
&q;ehrlichen Zeugen, rechtschaffenen Männern, denen
&q;Wahrheit und Tugend am Herzen liegt, wieder zu dir
&q;kommen. Vielleicht werden diese dich überzeugen kön-
&q;nen, daß du gefehlt habest -- oder sie werden mich
&q;überzeugen, daß der Fehler auf meiner Seite sey --
&q;Nimm noch Einen oder Zween zu dir, auf daß
&q;die Sache bestehe auf zweyer oder dreyer Zeu-
&q;gen Mund.
" Diese Freunde seyen besonders Zeugen
deiner Sanftmuth und von der Billigkeit deiner Fode-
derungen. Sie werden dem Beleidiger herzlich und brü-
derlich zureden. Will er durchaus Recht behalten, und
machen die Vorstellungen von zween unpartheyischen,
rechtschaffenen Männern keinen Eindruck auf ihn -- Bleibt
er durchaus auf seinem Sinne; So appellire an die
Gemeine; Höret er aber diese nicht
und will nicht
gefehlt haben; So bist du von aller weitern Verant-
wortung frey. Du darfst ihn nicht weiter als Freund
oder Bruder behandeln. Er ist ein unverbesserlicher
Mensch, der keiner Belehrung fähig ist. Er hat sich
selbst gerichtet. Er ist durch sein eigenes Betragen selbst
verfällt. Es ist alsdann nicht Lieblosigkeit, nicht Härte
mehr, ihn als einen Heiden und Zöllner zu behandeln.
Ich thue nicht's hinzu, als einen schwehren Seufzer:

Ob

Matthäus XVIII.
Wenn er härter iſt, als du dachteſt; Wenn du mehr
Eigenſinn und Rechthaberey bey ihn findeſt, als dein
gutes gelehriges Herz vermuthen dürfte; So ſollſt du
die Hofnung, ihn gewinnen zu können, noch nicht auf-
geben. Gehe friedlich und Zanklos von ihm weg —
„Laß mich, Bruder, nach einiger Zeit, mit einigen
&q;ehrlichen Zeugen, rechtſchaffenen Männern, denen
&q;Wahrheit und Tugend am Herzen liegt, wieder zu dir
&q;kommen. Vielleicht werden dieſe dich überzeugen kön-
&q;nen, daß du gefehlt habeſt — oder ſie werden mich
&q;überzeugen, daß der Fehler auf meiner Seite ſey —
&q;Nimm noch Einen oder Zween zu dir, auf daß
&q;die Sache beſtehe auf zweyer oder dreyer Zeu-
&q;gen Mund.
„ Dieſe Freunde ſeyen beſonders Zeugen
deiner Sanftmuth und von der Billigkeit deiner Fode-
derungen. Sie werden dem Beleidiger herzlich und brü-
derlich zureden. Will er durchaus Recht behalten, und
machen die Vorſtellungen von zween unpartheyiſchen,
rechtſchaffenen Männern keinen Eindruck auf ihn — Bleibt
er durchaus auf ſeinem Sinne; So appellire an die
Gemeine; Höret er aber dieſe nicht
und will nicht
gefehlt haben; So biſt du von aller weitern Verant-
wortung frey. Du darfſt ihn nicht weiter als Freund
oder Bruder behandeln. Er iſt ein unverbeſſerlicher
Menſch, der keiner Belehrung fähig iſt. Er hat ſich
ſelbſt gerichtet. Er iſt durch ſein eigenes Betragen ſelbſt
verfällt. Es iſt alsdann nicht Liebloſigkeit, nicht Härte
mehr, ihn als einen Heiden und Zöllner zu behandeln.
Ich thue nicht’s hinzu, als einen ſchwehren Seufzer:

Ob
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[264[284]/0292] Matthäus XVIII. Wenn er härter iſt, als du dachteſt; Wenn du mehr Eigenſinn und Rechthaberey bey ihn findeſt, als dein gutes gelehriges Herz vermuthen dürfte; So ſollſt du die Hofnung, ihn gewinnen zu können, noch nicht auf- geben. Gehe friedlich und Zanklos von ihm weg — „Laß mich, Bruder, nach einiger Zeit, mit einigen &q;ehrlichen Zeugen, rechtſchaffenen Männern, denen &q;Wahrheit und Tugend am Herzen liegt, wieder zu dir &q;kommen. Vielleicht werden dieſe dich überzeugen kön- &q;nen, daß du gefehlt habeſt — oder ſie werden mich &q;überzeugen, daß der Fehler auf meiner Seite ſey — &q;Nimm noch Einen oder Zween zu dir, auf daß &q;die Sache beſtehe auf zweyer oder dreyer Zeu- &q;gen Mund.„ Dieſe Freunde ſeyen beſonders Zeugen deiner Sanftmuth und von der Billigkeit deiner Fode- derungen. Sie werden dem Beleidiger herzlich und brü- derlich zureden. Will er durchaus Recht behalten, und machen die Vorſtellungen von zween unpartheyiſchen, rechtſchaffenen Männern keinen Eindruck auf ihn — Bleibt er durchaus auf ſeinem Sinne; So appellire an die Gemeine; Höret er aber dieſe nicht und will nicht gefehlt haben; So biſt du von aller weitern Verant- wortung frey. Du darfſt ihn nicht weiter als Freund oder Bruder behandeln. Er iſt ein unverbeſſerlicher Menſch, der keiner Belehrung fähig iſt. Er hat ſich ſelbſt gerichtet. Er iſt durch ſein eigenes Betragen ſelbſt verfällt. Es iſt alsdann nicht Liebloſigkeit, nicht Härte mehr, ihn als einen Heiden und Zöllner zu behandeln. Ich thue nicht’s hinzu, als einen ſchwehren Seufzer: Ob

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 264[284]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/292>, abgerufen am 25.11.2024.