Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.Petrus. Zinsgroschen. Aergerniß. arm waren, daß sie keinen Stater oder Zwölfkreuzerstückvorräthig hatten; So wollt Er's doch nicht unterlassen, zu geben, was Er vor Gott nicht schuldig -- und aus eignem wirklichem Vermögen nicht zu geben im Stande war. Damit wir sie aber nicht ärgern! -- Das heißt, sie nicht beleidigen -- oder noch besser, durch unser Beyspiel verleiten etwas zu unterlassen, welches zu unter- lassen sie das Recht nicht haben, dessen wir uns vor Gott bedienen könnten -- damit wir sie nicht ärgern -- der allerfreyste Gottessohn will sich gern zu jedermanns Knecht machen -- von seiner Freyheit und seinem Rechte vor Gott keinen Gebrauch machen, keinen Vortheil für sich daraus ziehen. Welche große Lehre für uns freyere, erleuchtetere Christen oft auch das zu unterlassen, was wir ohne Verletzung unsers Gewissens vor Gott thun dürfen -- oder das zu thun, was wir ohne Verletzung unsers Gewissens vor Gott unterlassen dürften -- wenn wir dadurch dem Aergerniß vorkommen, das ist, andere vor etwas verwahren können, was ihnen, nach ihrem schwä- chern unerleuchtetern Gewissen, als sündlich vorkommen mußte. Diese erhabene Weisheit hatte Paulus seinem Herrn abgelernt, und auch besonders in dieser Absicht gelte uns sein Wort: Seyd meine Nachfolger, gleich- wie auch ich Christi. Die Stellen verdienen sehr be- herzigt zu werden. Man wird mir also erlauben, ein ganzes Capitel hier einzurücken, welches meines Bedün- kens eines der wichtigsten, lehrreichsten und -- verges- sensten im Neuen Testament ist. Den schwachenRöm. XIV. Glauben (den unerleuchteteren Muthlosen) nehmet auf Q 4
Petrus. Zinsgroſchen. Aergerniß. arm waren, daß ſie keinen Stater oder Zwölfkreuzerſtückvorräthig hatten; So wollt Er’s doch nicht unterlaſſen, zu geben, was Er vor Gott nicht ſchuldig — und aus eignem wirklichem Vermögen nicht zu geben im Stande war. Damit wir ſie aber nicht ärgern! — Das heißt, ſie nicht beleidigen — oder noch beſſer, durch unſer Beyſpiel verleiten etwas zu unterlaſſen, welches zu unter- laſſen ſie das Recht nicht haben, deſſen wir uns vor Gott bedienen könnten — damit wir ſie nicht ärgern — der allerfreyſte Gottesſohn will ſich gern zu jedermanns Knecht machen — von ſeiner Freyheit und ſeinem Rechte vor Gott keinen Gebrauch machen, keinen Vortheil für ſich daraus ziehen. Welche große Lehre für uns freyere, erleuchtetere Chriſten oft auch das zu unterlaſſen, was wir ohne Verletzung unſers Gewiſſens vor Gott thun dürfen — oder das zu thun, was wir ohne Verletzung unſers Gewiſſens vor Gott unterlaſſen dürften — wenn wir dadurch dem Aergerniß vorkommen, das iſt, andere vor etwas verwahren können, was ihnen, nach ihrem ſchwä- chern unerleuchtetern Gewiſſen, als ſündlich vorkommen mußte. Dieſe erhabene Weisheit hatte Paulus ſeinem Herrn abgelernt, und auch beſonders in dieſer Abſicht gelte uns ſein Wort: Seyd meine Nachfolger, gleich- wie auch ich Chriſti. Die Stellen verdienen ſehr be- herzigt zu werden. Man wird mir alſo erlauben, ein ganzes Capitel hier einzurücken, welches meines Bedün- kens eines der wichtigſten, lehrreichſten und — vergeſ- ſenſten im Neuen Teſtament iſt. Den ſchwachenRöm. XIV. Glauben (den unerleuchteteren Muthloſen) nehmet auf Q 4
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Petrus. Zinsgroſchen. Aergerniß.
arm waren, daß ſie keinen Stater oder Zwölfkreuzerſtück
vorräthig hatten; So wollt Er’s doch nicht unterlaſſen,
zu geben, was Er vor Gott nicht ſchuldig — und aus
eignem wirklichem Vermögen nicht zu geben im Stande
war. Damit wir ſie aber nicht ärgern! — Das
heißt, ſie nicht beleidigen — oder noch beſſer, durch unſer
Beyſpiel verleiten etwas zu unterlaſſen, welches zu unter-
laſſen ſie das Recht nicht haben, deſſen wir uns vor Gott
bedienen könnten — damit wir ſie nicht ärgern — der
allerfreyſte Gottesſohn will ſich gern zu jedermanns Knecht
machen — von ſeiner Freyheit und ſeinem Rechte vor
Gott keinen Gebrauch machen, keinen Vortheil für
ſich daraus ziehen. Welche große Lehre für uns freyere,
erleuchtetere Chriſten oft auch das zu unterlaſſen, was
wir ohne Verletzung unſers Gewiſſens vor Gott thun
dürfen — oder das zu thun, was wir ohne Verletzung
unſers Gewiſſens vor Gott unterlaſſen dürften — wenn
wir dadurch dem Aergerniß vorkommen, das iſt, andere
vor etwas verwahren können, was ihnen, nach ihrem ſchwä-
chern unerleuchtetern Gewiſſen, als ſündlich vorkommen
mußte. Dieſe erhabene Weisheit hatte Paulus ſeinem
Herrn abgelernt, und auch beſonders in dieſer Abſicht
gelte uns ſein Wort: Seyd meine Nachfolger, gleich-
wie auch ich Chriſti. Die Stellen verdienen ſehr be-
herzigt zu werden. Man wird mir alſo erlauben, ein
ganzes Capitel hier einzurücken, welches meines Bedün-
kens eines der wichtigſten, lehrreichſten und — vergeſ-
ſenſten im Neuen Teſtament iſt. Den ſchwachen
Glauben (den unerleuchteteren Muthloſen) nehmet
auf
Röm. XIV.
Q 4
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