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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XVII.
sprachen: Pflegt euer Meister nicht den Zinsgro-
schen zu geben? Er sprach: Ja! Und als Er heim
kam, kam Ihm Jesus zuvor, und sprach: Was
dünket dich, Simon? Von wem nehmen die Kö-
nige auf Erden den Zoll oder Zinse? Von ihren
Söhnen, oder von den Fremden? Petrus ant-
wortete: Von den Fremden! -- Jesus: So sind
ja die Söhne frey? Auf daß wir sie aber nicht
ärgern, so gehe hin an das Meer, und wirf den
Angel aus, und den ersten Fisch, der herauf-
fährt, den nimm, und wenn du seinen Mund
aufthust, wirst du einen Stater
(Pfenning) fin-
den, denselben nimm, und gieb ihn für mich und
dich!

In zehen oder zwölf Zeilen, welche Geschichte!
Welch ein Text! -- Wenn wir auch nichts von Je-
sus
wüßten, als dieß einzige, wie viel wüßten wir
schon von Ihm! Wie liebenswürdig erscheint Er uns
hier! Man sieht so ganz seine Manier, die lauter Frey-
heit, Natur -- und Dehmuth und Gefälligkeit zugleich
ist. Soll ein Sohn an das Haus seines Vaters steuern?
Soll Ich zu des Tempels Unterhaltung steuern? Wär
Ich als Sohn nicht frey von aller Abgabe an meinen
Vater? Aechte Kinder Gottes -- sollten sie nicht dieses
Zolles und Zinses überhoben seyn? Sollten sie ihn nicht
den Unterthanen, den Fremden, die nicht so eigentlich
zur Familie Gottes gehören, überlassen dürfen? -- Un-
geachtet aber diese Frage sich selbst mit Ja beantworte-
te -- Und ungeachtet der Herr und seine Jünger so

arm

Matthäus XVII.
ſprachen: Pflegt euer Meiſter nicht den Zinsgro-
ſchen zu geben? Er ſprach: Ja! Und als Er heim
kam, kam Ihm Jeſus zuvor, und ſprach: Was
dünket dich, Simon? Von wem nehmen die Kö-
nige auf Erden den Zoll oder Zinſe? Von ihren
Söhnen, oder von den Fremden? Petrus ant-
wortete: Von den Fremden! — Jeſus: So ſind
ja die Söhne frey? Auf daß wir ſie aber nicht
ärgern, ſo gehe hin an das Meer, und wirf den
Angel aus, und den erſten Fiſch, der herauf-
fährt, den nimm, und wenn du ſeinen Mund
aufthuſt, wirſt du einen Stater
(Pfenning) fin-
den, denſelben nimm, und gieb ihn für mich und
dich!

In zehen oder zwölf Zeilen, welche Geſchichte!
Welch ein Text! — Wenn wir auch nichts von Je-
ſus
wüßten, als dieß einzige, wie viel wüßten wir
ſchon von Ihm! Wie liebenswürdig erſcheint Er uns
hier! Man ſieht ſo ganz ſeine Manier, die lauter Frey-
heit, Natur — und Dehmuth und Gefälligkeit zugleich
iſt. Soll ein Sohn an das Haus ſeines Vaters ſteuern?
Soll Ich zu des Tempels Unterhaltung ſteuern? Wär
Ich als Sohn nicht frey von aller Abgabe an meinen
Vater? Aechte Kinder Gottes — ſollten ſie nicht dieſes
Zolles und Zinſes überhoben ſeyn? Sollten ſie ihn nicht
den Unterthanen, den Fremden, die nicht ſo eigentlich
zur Familie Gottes gehören, überlaſſen dürfen? — Un-
geachtet aber dieſe Frage ſich ſelbſt mit Ja beantworte-
te — Und ungeachtet der Herr und ſeine Jünger ſo

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[246[266]/0274] Matthäus XVII. ſprachen: Pflegt euer Meiſter nicht den Zinsgro- ſchen zu geben? Er ſprach: Ja! Und als Er heim kam, kam Ihm Jeſus zuvor, und ſprach: Was dünket dich, Simon? Von wem nehmen die Kö- nige auf Erden den Zoll oder Zinſe? Von ihren Söhnen, oder von den Fremden? Petrus ant- wortete: Von den Fremden! — Jeſus: So ſind ja die Söhne frey? Auf daß wir ſie aber nicht ärgern, ſo gehe hin an das Meer, und wirf den Angel aus, und den erſten Fiſch, der herauf- fährt, den nimm, und wenn du ſeinen Mund aufthuſt, wirſt du einen Stater (Pfenning) fin- den, denſelben nimm, und gieb ihn für mich und dich! In zehen oder zwölf Zeilen, welche Geſchichte! Welch ein Text! — Wenn wir auch nichts von Je- ſus wüßten, als dieß einzige, wie viel wüßten wir ſchon von Ihm! Wie liebenswürdig erſcheint Er uns hier! Man ſieht ſo ganz ſeine Manier, die lauter Frey- heit, Natur — und Dehmuth und Gefälligkeit zugleich iſt. Soll ein Sohn an das Haus ſeines Vaters ſteuern? Soll Ich zu des Tempels Unterhaltung ſteuern? Wär Ich als Sohn nicht frey von aller Abgabe an meinen Vater? Aechte Kinder Gottes — ſollten ſie nicht dieſes Zolles und Zinſes überhoben ſeyn? Sollten ſie ihn nicht den Unterthanen, den Fremden, die nicht ſo eigentlich zur Familie Gottes gehören, überlaſſen dürfen? — Un- geachtet aber dieſe Frage ſich ſelbſt mit Ja beantworte- te — Und ungeachtet der Herr und ſeine Jünger ſo arm

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 246[266]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/274>, abgerufen am 27.11.2024.