Lieblingsgesinnungen aller von Gott und der Wahrheit gleichweit entfernten Menschen gewesen. Wem es um ächte Religion und Gottesverehrung zu thun ist, dem sey es auch darum zu thun -- sich vor diesen beyden Abwegen zu hüten, und sich oft zu prüfen: Ob keine dieser ungöttlichen Gesinnungen seine Seele beflecke?
Uebrigens ist über diese Stelle auch noch das an- zumerken: Wie sehr Christus seine Jünger zum Ver- trauen auf Gott und seine sie nie verlassende Fürsor- ge zu ermuntern bemüht war. Die wunderthätige Spei- sung und Sättigung vieler tausend Menschen vermit- telst weniger Brodte sollte offenbar nicht bloß als eine, einmahl nur zur Schau geschehene Handlung von ihnen an- gesehen werden. Sie sollten dadurch für die Zukunft, für alle Fälle des Bedürfnisses im Glauben an Gottes Fürsorge und seine nie zu erschöpfende Allmacht und Allgnugsamkeit gestärkt werden. Auch wenn sie wirklich aus Mißverstand oder Unklugheit Brod mit sich zu nehmen vergessen hätten -- So sollten sie deßwegen nicht ängstlich seyn, sondern ruhig und angstlos erwar- ten: Der so Einmahl und Zweymahl mit wenigen Brod- ten viele Tausende sättigte, werde wohl auch Zwölfe von ihnen zu erhalten ausser Verlegenheit seyn. Oder was ists, ich möchte abermahl alle Leser der Schrift mit offnen Augen fragen, was ist's, das unser Herr seinen Jüngern in unse- rer Stelle vorwirft? Etwa ihre Unvorsichtigkeit, daß sie vergessen hatten, Brod mitzunehmen? -- Ist's et- was anders, als das, daß sie über diesem Vergessen ängst-
lich
Matthäus XVI.
Lieblingsgeſinnungen aller von Gott und der Wahrheit gleichweit entfernten Menſchen geweſen. Wem es um ächte Religion und Gottesverehrung zu thun iſt, dem ſey es auch darum zu thun — ſich vor dieſen beyden Abwegen zu hüten, und ſich oft zu prüfen: Ob keine dieſer ungöttlichen Geſinnungen ſeine Seele beflecke?
Uebrigens iſt über dieſe Stelle auch noch das an- zumerken: Wie ſehr Chriſtus ſeine Jünger zum Ver- trauen auf Gott und ſeine ſie nie verlaſſende Fürſor- ge zu ermuntern bemüht war. Die wunderthätige Spei- ſung und Sättigung vieler tauſend Menſchen vermit- telſt weniger Brodte ſollte offenbar nicht bloß als eine, einmahl nur zur Schau geſchehene Handlung von ihnen an- geſehen werden. Sie ſollten dadurch für die Zukunft, für alle Fälle des Bedürfniſſes im Glauben an Gottes Fürſorge und ſeine nie zu erſchöpfende Allmacht und Allgnugſamkeit geſtärkt werden. Auch wenn ſie wirklich aus Mißverſtand oder Unklugheit Brod mit ſich zu nehmen vergeſſen hätten — So ſollten ſie deßwegen nicht ängſtlich ſeyn, ſondern ruhig und angſtlos erwar- ten: Der ſo Einmahl und Zweymahl mit wenigen Brod- ten viele Tauſende ſättigte, werde wohl auch Zwölfe von ihnen zu erhalten auſſer Verlegenheit ſeyn. Oder was iſts, ich möchte abermahl alle Leſer der Schrift mit offnen Augen fragen, was iſt’s, das unſer Herr ſeinen Jüngern in unſe- rer Stelle vorwirft? Etwa ihre Unvorſichtigkeit, daß ſie vergeſſen hatten, Brod mitzunehmen? — Iſt’s et- was anders, als das, daß ſie über dieſem Vergeſſen ängſt-
lich
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[218[238]/0246]
Matthäus XVI.
Lieblingsgeſinnungen aller von Gott und der Wahrheit
gleichweit entfernten Menſchen geweſen. Wem es um
ächte Religion und Gottesverehrung zu thun iſt, dem
ſey es auch darum zu thun — ſich vor dieſen beyden
Abwegen zu hüten, und ſich oft zu prüfen: Ob keine
dieſer ungöttlichen Geſinnungen ſeine Seele beflecke?
Uebrigens iſt über dieſe Stelle auch noch das an-
zumerken: Wie ſehr Chriſtus ſeine Jünger zum Ver-
trauen auf Gott und ſeine ſie nie verlaſſende Fürſor-
ge zu ermuntern bemüht war. Die wunderthätige Spei-
ſung und Sättigung vieler tauſend Menſchen vermit-
telſt weniger Brodte ſollte offenbar nicht bloß als eine,
einmahl nur zur Schau geſchehene Handlung von ihnen an-
geſehen werden. Sie ſollten dadurch für die Zukunft,
für alle Fälle des Bedürfniſſes im Glauben an Gottes
Fürſorge und ſeine nie zu erſchöpfende Allmacht und
Allgnugſamkeit geſtärkt werden. Auch wenn ſie wirklich
aus Mißverſtand oder Unklugheit Brod mit ſich zu
nehmen vergeſſen hätten — So ſollten ſie deßwegen
nicht ängſtlich ſeyn, ſondern ruhig und angſtlos erwar-
ten: Der ſo Einmahl und Zweymahl mit wenigen Brod-
ten viele Tauſende ſättigte, werde wohl auch Zwölfe von
ihnen zu erhalten auſſer Verlegenheit ſeyn. Oder was iſts,
ich möchte abermahl alle Leſer der Schrift mit offnen Augen
fragen, was iſt’s, das unſer Herr ſeinen Jüngern in unſe-
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 218[238]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/246>, abgerufen am 30.11.2024.
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