glauben. Weil sie die Liebe der Wahrheit nicht haben angenommen, so sendet ihnen Gott kräf- tige Irrthümer, auf daß alle gerichtet werden, so der Wahrheit nicht geglaubt haben.
112. Sehendes Aug; Hörendes Ohr.
Seelig sind euere Augen, daß sie sehen, undMatth. XIII. 16. euere Ohren, daß sie hören. Die größte Gnade, die ein Mensch empfangen kann, ist die Gnade zu sehen, und zu hören; Zerstreutheit, Unaufmerksamkeit, flüchti- ges Wesen, starres Staunen, ist den meisten Menschen natürlich. Sehr wenige hören, was man ihnen sagt; Sehen, was ihnen sich darstellt, sie übersehen gemeiniglich das Gegenwärtige und eilen mit ihren Blicken in die Zu- kunft hinaus. Sie hören nicht -- Indem sie hören, denken sie schon wieder auf Antwort; Das was sie sa- gen wollen, schwebt ihnen schon auf der Lippe. Ihre einmahl gefassten Meynungen, ihre einmahl gefällten Ur- theile machen ihnen jede neue Wahrheit unzugänglich. Entweder denken sie: Sie wissen alles schon, oder sie wollen nichts weiter wissen. Sie hören immerdar, und vernehmen nichts. Sie lernen immerdar, und kommen nicht zur Erkenntniß der Wahrheit. Sie laufen immer, ohne daß sie dem Ziel' um Einen Schritt näher kommen -- wie glücklich der hingegen, der hören und sehen kann; Der immer ein offnes Ohr hat für die Wahrheit; Dem alles um Gottes willen willkommen ist; Der für alles Gute, Edle, Göttliche Raum hat in seinem Herzen --
was
M 4
Sehen und Hören.
glauben. Weil ſie die Liebe der Wahrheit nicht haben angenommen, ſo ſendet ihnen Gott kräf- tige Irrthümer, auf daß alle gerichtet werden, ſo der Wahrheit nicht geglaubt haben.
112. Sehendes Aug; Hörendes Ohr.
Seelig ſind euere Augen, daß ſie ſehen, undMatth. XIII. 16. euere Ohren, daß ſie hören. Die größte Gnade, die ein Menſch empfangen kann, iſt die Gnade zu ſehen, und zu hören; Zerſtreutheit, Unaufmerkſamkeit, flüchti- ges Weſen, ſtarres Staunen, iſt den meiſten Menſchen natürlich. Sehr wenige hören, was man ihnen ſagt; Sehen, was ihnen ſich darſtellt, ſie überſehen gemeiniglich das Gegenwärtige und eilen mit ihren Blicken in die Zu- kunft hinaus. Sie hören nicht — Indem ſie hören, denken ſie ſchon wieder auf Antwort; Das was ſie ſa- gen wollen, ſchwebt ihnen ſchon auf der Lippe. Ihre einmahl gefaſſten Meynungen, ihre einmahl gefällten Ur- theile machen ihnen jede neue Wahrheit unzugänglich. Entweder denken ſie: Sie wiſſen alles ſchon, oder ſie wollen nichts weiter wiſſen. Sie hören immerdar, und vernehmen nichts. Sie lernen immerdar, und kommen nicht zur Erkenntniß der Wahrheit. Sie laufen immer, ohne daß ſie dem Ziel’ um Einen Schritt näher kommen — wie glücklich der hingegen, der hören und ſehen kann; Der immer ein offnes Ohr hat für die Wahrheit; Dem alles um Gottes willen willkommen iſt; Der für alles Gute, Edle, Göttliche Raum hat in ſeinem Herzen —
was
M 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0211"n="183[203]"/><fwplace="top"type="header">Sehen und Hören.</fw><lb/><hirendition="#fr">glauben. Weil ſie die Liebe der Wahrheit nicht<lb/>
haben angenommen, ſo ſendet ihnen Gott kräf-<lb/>
tige Irrthümer, auf daß alle gerichtet werden,<lb/>ſo der Wahrheit nicht geglaubt haben.</hi></p></div><lb/><divn="3"><head>112.<lb/>
Sehendes Aug; Hörendes Ohr.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Seelig ſind euere Augen, daß ſie ſehen, und</hi><noteplace="right">Matth.<lb/><hirendition="#aq">XIII.</hi> 16.</note><lb/><hirendition="#fr">euere Ohren, daß ſie hören.</hi> Die größte Gnade,<lb/>
die ein Menſch empfangen kann, iſt die Gnade <hirendition="#fr">zu ſehen,</hi><lb/>
und <hirendition="#fr">zu hören;</hi> Zerſtreutheit, Unaufmerkſamkeit, flüchti-<lb/>
ges Weſen, ſtarres Staunen, iſt den meiſten Menſchen<lb/>
natürlich. Sehr wenige hören, was man ihnen ſagt;<lb/>
Sehen, was ihnen ſich darſtellt, ſie überſehen gemeiniglich<lb/>
das Gegenwärtige und eilen mit ihren Blicken in die Zu-<lb/>
kunft hinaus. Sie hören nicht — Indem ſie hören,<lb/>
denken ſie ſchon wieder auf Antwort; Das was <hirendition="#fr">ſie</hi>ſa-<lb/>
gen wollen, ſchwebt ihnen ſchon auf der Lippe. Ihre<lb/>
einmahl gefaſſten Meynungen, ihre einmahl gefällten Ur-<lb/>
theile machen ihnen jede neue Wahrheit unzugänglich.<lb/>
Entweder denken ſie: Sie wiſſen alles ſchon, oder ſie<lb/>
wollen nichts weiter wiſſen. Sie hören immerdar, und<lb/>
vernehmen nichts. Sie lernen immerdar, und kommen<lb/>
nicht zur Erkenntniß der Wahrheit. Sie laufen immer,<lb/>
ohne daß ſie dem Ziel’ um Einen Schritt näher kommen<lb/>— wie glücklich der hingegen, der hören und ſehen kann;<lb/>
Der immer ein offnes Ohr hat für die Wahrheit; Dem<lb/>
alles um Gottes willen willkommen iſt; Der für alles<lb/>
Gute, Edle, Göttliche Raum hat in ſeinem Herzen —<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">was</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[183[203]/0211]
Sehen und Hören.
glauben. Weil ſie die Liebe der Wahrheit nicht
haben angenommen, ſo ſendet ihnen Gott kräf-
tige Irrthümer, auf daß alle gerichtet werden,
ſo der Wahrheit nicht geglaubt haben.
112.
Sehendes Aug; Hörendes Ohr.
Seelig ſind euere Augen, daß ſie ſehen, und
euere Ohren, daß ſie hören. Die größte Gnade,
die ein Menſch empfangen kann, iſt die Gnade zu ſehen,
und zu hören; Zerſtreutheit, Unaufmerkſamkeit, flüchti-
ges Weſen, ſtarres Staunen, iſt den meiſten Menſchen
natürlich. Sehr wenige hören, was man ihnen ſagt;
Sehen, was ihnen ſich darſtellt, ſie überſehen gemeiniglich
das Gegenwärtige und eilen mit ihren Blicken in die Zu-
kunft hinaus. Sie hören nicht — Indem ſie hören,
denken ſie ſchon wieder auf Antwort; Das was ſie ſa-
gen wollen, ſchwebt ihnen ſchon auf der Lippe. Ihre
einmahl gefaſſten Meynungen, ihre einmahl gefällten Ur-
theile machen ihnen jede neue Wahrheit unzugänglich.
Entweder denken ſie: Sie wiſſen alles ſchon, oder ſie
wollen nichts weiter wiſſen. Sie hören immerdar, und
vernehmen nichts. Sie lernen immerdar, und kommen
nicht zur Erkenntniß der Wahrheit. Sie laufen immer,
ohne daß ſie dem Ziel’ um Einen Schritt näher kommen
— wie glücklich der hingegen, der hören und ſehen kann;
Der immer ein offnes Ohr hat für die Wahrheit; Dem
alles um Gottes willen willkommen iſt; Der für alles
Gute, Edle, Göttliche Raum hat in ſeinem Herzen —
was
Matth.
XIII. 16.
M 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 183[203]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/211>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.