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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XII.
Gleichgültigkeit ist Feindschaft. Seine Kaltsinnigkeit
ist Widerwille. Alle sehr guten Menschen, alle vor-
züglich edle
Charakter, die man zu kennen Gelegenheit
hat, können das von sich sagen: Wer nicht mit mir
ist, der ist wider mich.
Wer mich nicht liebt, haßt
mich. Wer nicht mein Freund ist, der ist mein Feind.
Nämlich, wenn Sie sehr gut, und ihre Güte auffal-
lend,
und keinem Zweifel ausgesetzt ist. Christus war
unvergleichlich gut -- So gut, daß man böse seyn müß-
te, um seine Güte nicht zu erkennen. Wer sich nicht
für Ihn, als einen guten Menschen erklärte, mußte
Ihn für einen bösen halten. Es ist bey einem Cha-
rakter, bey Menschen von so grossen Eigenschaften kein
Mittel. Entweder ists Heucheley, was sie thun, und
dann sind sie in einem hohen Grade verächtlich. Oder es
ist Wahrheit; Und dann sind sie in einem hohen Grade
verehrenswerth. Eins von beyden muß Christus
seyn. Entweder der allergottesvergessenste Betrüger --
und welche Menschenzunge darf dieß aussprechen? Oder
-- Er muß der Sohn Gottes, die höchste Person in
der Schöpfung, das Reinste und Erhabenste aller We-
sen seyn. Hier kann kein Mittel statt haben. Wer also
Ihn nicht für das erklärt, kann Ihn nicht bloß für ei-
nen gleichgültigen Charakter, sondern muß Ihn für
den vorsetzlichsten Betrüger halten. Wenn ich mich,
bey gesundem Verstand, für einen Arzt ausgebe, der ge-
gen das tödtlichste Gift Arzeneyen in Bereitschaft habe
-- so ist kein Mittel -- Entweder muß man diese Aus-
sage für wahr halten -- oder mich für einen mordsüchti-

gen

Matthäus XII.
Gleichgültigkeit iſt Feindſchaft. Seine Kaltſinnigkeit
iſt Widerwille. Alle ſehr guten Menſchen, alle vor-
züglich edle
Charakter, die man zu kennen Gelegenheit
hat, können das von ſich ſagen: Wer nicht mit mir
iſt, der iſt wider mich.
Wer mich nicht liebt, haßt
mich. Wer nicht mein Freund iſt, der iſt mein Feind.
Nämlich, wenn Sie ſehr gut, und ihre Güte auffal-
lend,
und keinem Zweifel ausgeſetzt iſt. Chriſtus war
unvergleichlich gut — So gut, daß man böſe ſeyn müß-
te, um ſeine Güte nicht zu erkennen. Wer ſich nicht
für Ihn, als einen guten Menſchen erklärte, mußte
Ihn für einen böſen halten. Es iſt bey einem Cha-
rakter, bey Menſchen von ſo groſſen Eigenſchaften kein
Mittel. Entweder iſts Heucheley, was ſie thun, und
dann ſind ſie in einem hohen Grade verächtlich. Oder es
iſt Wahrheit; Und dann ſind ſie in einem hohen Grade
verehrenswerth. Eins von beyden muß Chriſtus
ſeyn. Entweder der allergottesvergeſſenſte Betrüger —
und welche Menſchenzunge darf dieß ausſprechen? Oder
— Er muß der Sohn Gottes, die höchſte Perſon in
der Schöpfung, das Reinſte und Erhabenſte aller We-
ſen ſeyn. Hier kann kein Mittel ſtatt haben. Wer alſo
Ihn nicht für das erklärt, kann Ihn nicht bloß für ei-
nen gleichgültigen Charakter, ſondern muß Ihn für
den vorſetzlichſten Betrüger halten. Wenn ich mich,
bey geſundem Verſtand, für einen Arzt ausgebe, der ge-
gen das tödtlichſte Gift Arzeneyen in Bereitſchaft habe
— ſo iſt kein Mittel — Entweder muß man dieſe Auſ-
ſage für wahr halten — oder mich für einen mordſüchti-

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[164[184]/0192] Matthäus XII. Gleichgültigkeit iſt Feindſchaft. Seine Kaltſinnigkeit iſt Widerwille. Alle ſehr guten Menſchen, alle vor- züglich edle Charakter, die man zu kennen Gelegenheit hat, können das von ſich ſagen: Wer nicht mit mir iſt, der iſt wider mich. Wer mich nicht liebt, haßt mich. Wer nicht mein Freund iſt, der iſt mein Feind. Nämlich, wenn Sie ſehr gut, und ihre Güte auffal- lend, und keinem Zweifel ausgeſetzt iſt. Chriſtus war unvergleichlich gut — So gut, daß man böſe ſeyn müß- te, um ſeine Güte nicht zu erkennen. Wer ſich nicht für Ihn, als einen guten Menſchen erklärte, mußte Ihn für einen böſen halten. Es iſt bey einem Cha- rakter, bey Menſchen von ſo groſſen Eigenſchaften kein Mittel. Entweder iſts Heucheley, was ſie thun, und dann ſind ſie in einem hohen Grade verächtlich. Oder es iſt Wahrheit; Und dann ſind ſie in einem hohen Grade verehrenswerth. Eins von beyden muß Chriſtus ſeyn. Entweder der allergottesvergeſſenſte Betrüger — und welche Menſchenzunge darf dieß ausſprechen? Oder — Er muß der Sohn Gottes, die höchſte Perſon in der Schöpfung, das Reinſte und Erhabenſte aller We- ſen ſeyn. Hier kann kein Mittel ſtatt haben. Wer alſo Ihn nicht für das erklärt, kann Ihn nicht bloß für ei- nen gleichgültigen Charakter, ſondern muß Ihn für den vorſetzlichſten Betrüger halten. Wenn ich mich, bey geſundem Verſtand, für einen Arzt ausgebe, der ge- gen das tödtlichſte Gift Arzeneyen in Bereitſchaft habe — ſo iſt kein Mittel — Entweder muß man dieſe Auſ- ſage für wahr halten — oder mich für einen mordſüchti- gen

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 164[184]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/192>, abgerufen am 24.11.2024.